»Ach, wirklich«, sagte Lawler.
»Ja, das meine ich. Damit ist die Grenze für menschliches Denken gesteckt. Die Götter leben jenseits dieser Grenze. Götter sind per definitionem demnach Wesen, die nicht durch die Gödelschen Grenzen eingeschränkt sind. Wir Menschlichen leben in einer Welt, in der die Realität letztendlich zu irrationalen Annahmen und Vermutungen immer feiner zerspellt, oder doch zumindest zu Annahmen, die nicht-rational, da unbeweisbar sind. Götter leben in einem Bereich des Absoluten, in dem das Real-Existente nicht nur festgelegt und erfahrbar ist, bis weit über das uns denkmögliche axiomatische Niveau hinaus, sondern wo auch göttliche Steuerung es neu bestimmen und umgestalten kann.«
Hier nun fühlte Lawler in diesem Gespräch zum erstenmal so etwas wie Interesse in sich aufflackern. »Die Galaxis wimmelt von Wesen, die nichtmenschlich sind, aber ihre Mathematik ist auch nicht besser als unsere, oder? Wie passen die denn in dein Schema?«
»Laß uns doch alle mit Intelligenz behafteten Wesen, die in den Bereich der Gödelschen Beschränkung fallen, einfach als menschlich bezeichnen, ungeachtet ihrer wirklichen biologischen Gattungsbezeichnung. Dann sind alle Wesen, gleich welcher Art, die in ultra-gödelianischen Bereichen der Logik denken können, eben Götter.«
Lawler nickte. »Weiter.«
»Laß mich dir nun mein Konzept unterbreiten, das mir heute morgen zukam, während ich dort oben saß und über dieses Land über den Wassern nachdachte. Ich gebe zu, es ist die schwärzeste Häresie. Aber ich hatte auch früher schon abweichlerische Gedanken — und hab es überlebt. Allerdings ging ich nie so weit wie jetzt.« Und wieder lächelte Father Quillan seelenvoll-verzückt und milde. »Nehmen wir einmal an, daß diese Götter nun ihrerseits an eine Gödelsche Grenze stoßen müssen, einen Punkt, an dem ihr Ratio-Potential — also ihre ihnen eigenen Kräfte des Schöpferischen, beziehungsweise Neuschöpferischen — ebenfalls gegen eine Barriere läuft. So wie es bei uns ist, nur auf einem qualitativ verschiedenen Niveau, gelangen sie dann eventuell an einen Punkt, an dem es heißt, bis hierher und nicht weiter.«
»Die äußerste Grenze des Universums«, sagte Lawler.
»Nein! Nur ihre äußerste Grenze. Es kann doch durchaus sein, daß es über ihnen noch größere Götter gibt. Die Götter, von denen wir hier reden, sind genau wie wir Sterblichen in einer umfangreicheren Realität eingekapselt, die von einer anderen Mathematik bestimmt ist, zu der sie keinen Zugang haben. Sie blicken aufwärts zu der nächsthöheren Realität und der übergeordneten Schar von Göttern. Und die wiederum — also die Bewohner jener höheren weiteren Realität — haben gleichfalls wieder eine Gödelsche Begrenzungsmauer um sich, außerhalb derer sogar noch größere Götter als sie hausen. Und so geht es weiter und weiter und weiter.«
Lawler war ganz benommen. »Und das geht so weiter bis ins Unendliche?«
»Ja.«
»Aber definierst du nicht einen Gott als etwas Unendliches? Wie kann dann ein Unendliches kleiner sein als die Unendlichkeit?«
»Ein bestehendes Unendliches kann in einem anderen bestehenden Unendlichen enthalten sein. Ein bestehendes Unendliches kann eine unendliche Zahl von Untergruppen des Unendlichen enthalten.«
»Wenn du meinst«, sagte Lawler. Er wurde allmählich etwas unruhig. »Aber was hat das alles mit diesem ›Antlitz‹ zu tun?«
»Wenn dieses Land ein wahres Paradies ist, unverderbt, jungfräulich — eine Heimstatt des Heiligen Geists —, dann ist es sehr wohl möglich, daß es von höheren Wesenheiten bewohnt ist, die von hoher Reinheit und Macht sind. Wir von der Kirche nannten das einst ›Engel‹. Oder ›Götter‹, wie die Vertreter älterer Religionen gesagt haben mögen.«
Verlier nicht die Geduld, befahl sich Lawler. Der meint diesen Quatsch offensichtlich ganz ernst. »Und diese höheren Wesen oder Engel oder Götter, egal, welchen Namen wir ihnen geben wollen — die sind dann jeweils die post-gödelianischen Lokal-Genien, hab ich das so richtig begriffen? Götter für uns. Götter für die Gillies ebenfalls, denn das ›Antlitz‹ scheint ja so was wie ein Heiliger Ort für sie zu sein. Aber nicht für GOTT-PERSÖNLICH, den ALLMÄCHTIGEN, deinen Gott, den deine Kirche verehrt, den Ur-Schöpfer der Gillies und Menschen und alles sonstigen im Universum. Den wirst du hier aber nicht finden, jedenfalls nicht sehr oft. Dieser Gott steht auf der Realitätsskala ein bißchen weiter oben. Und er lebt bestimmt nicht auf irgendeinem bestimmten Planeten. Der ist irgendwo weiter droben in viel Höheren Bezirken, in einem größeren Universum. Aber vielleicht schaut er gelegentlich mal runter, um zu überprüfen, wie sich die Sache hier so anläßt.«
»Genau.«
»Und sogar der ist nicht ganz oben an der Spitze?«
»Es gibt keine Spitze«, beschied ihm Father Quillan. »Es gibt nur eine immer höher aufsteigende, sich entfernende Leiter, eine Stufung von Göttlichkeit, und sie reicht vom Wenig-mehr-als-ein-Sterblicher ins äußerst Unfaßbare. Ich weiß nicht, welchen Rang die Bewohner des ›Antlitzes‹ auf dieser Stufenleiter einnehmen, aber höchstwahrscheinlich stehen sie ein wenig höher als wir. Und — GOTT — der — ALLMÄCHTIGE ist diese ganze Leiter. Denn Gott ist unendlich, also kann es kein festbestimmtes einzelnes Niveau des Göttlichen geben, sondern nur eine ewiglich sich fortsetzende Reihe… es gibt keinen Höchsten Gott, sondern nur Höhere und Höhere und Noch Höhere — ad infinitum. Und dieses ›Antlitz‹ da, das hat wohl nur einen mittleren Platz auf dieser Skala.«
»Ich verstehe«, sagte Lawler zweifelnd.
»Und durch die Meditation über derartige Dinge kann man sich dem Verständnis der höheren Unendlichkeiten annähern, auch wenn wir natürlich definitionsgemäß niemals die Allerhöchste von ihnen werden erfassen können, denn um dies zu tun, müßte man ja größer als die größte der Unendlichkeiten sein.« Quillan blickte zum Himmel auf und breitete die Arme auf beinahe selbstparodistische Weise aus. Dann wandte er sich wieder Lawler zu und sprach mit völlig veränderter Stimme weiter. »Endlich, mein lieber Doktor, habe ich erkannt, warum ich als Priester versagt habe. Es muß mir irgendwie die ganze Zeit hindurch bewußt gewesen sein, daß der Gott, nach dem ich suchte, die Eine Höchste Wesenheit, die uns behütet und bewacht, aufs äußerste unerreichbar ist. Was unser kleines Leben angeht, so gibt es IHN gar nicht. Oder wenn es IHN gibt, dann in einer Gegend, die von unserem Leben dermaßen weit entfernt ist, daß es IHN auch gleich ganz und gar nicht zu geben brauchte. Jetzt, endlich, begreife ich, daß ich mich auf die Suche nach einem kleineren, weniger erhabenen und enthobenen Gott machen muß, einem Gott, der unserem Bewußtseinsniveau näher ist. Lawler, begreifst du, zum erstenmal in diesem meinem Leben sehe ich eine Möglichkeit für mich, ein wenig Ruhe zu finden!«
»Was quasselt ihr zwei denn da für ’n Scheiß?« sagte Delagard, der unbemerkt hinter ihnen aufgetaucht war.
»Theologischen Scheiß«, sagte Father Quillan.
»Aha — aha! Wohl wieder ’ne neue Offenbarung?«
»Setz dich«, sagte der Priester. »Dann erkläre ich dir alles.«
* * *
Im Feuer der Begeisterung über die Logik seiner neuesten Offenbarung strich Quillan auf dem Schiff umher und erbot sich, sie jedem zuteil werden zu lassen, der ihm zuhören wollte. Doch er stieß meist auf taube Ohren.
Einzig Gharkid zeigte gesteigertes Interesse. Lawler hatte stets vermutet, daß das seltsame Männchen einen tiefen Hang zum Mystizismus in sich trug; und jetzt konnte man Gharkid in höchster Konzentration dasitzen und mit leuchtenden Augen in sich hineintrinken sehen, was der Priester absonderte. Aber wie gewohnt, bot Gharkid auch jetzt keine eigenen Kommentare, sondern stellte nur ab und zu leise eine Frage.
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