Zum Glück ahnte Benj nichts davon, so daß er keinen Grund dazu sah, an den Worten des Captains zu zweifeln. Allerdings befriedigte ihn weder die Antwort noch die unveränderte Situation.
Er war der Meinung, daß besonders für Beetchermarlf entschieden zu wenig getan wurde; er war zum Zuhören verdammt, aber konnte persönlich keine Hilfe leisten. Er mußte hier untätig herumsitzen und auf Berichte warten. Selbst viele Menschen, die sowohl reifer als auch geduldiger als Benj Hoffman waren, hätten sich mit dieser erzwungenen Untätigkeit nicht weniger schwer abfinden können.
Seine Empfindungen flossen in seine nächsten Worte deutlich genug ein. Easy vollführte ihre protestierende Geste nur halb. Es war zu spät, und es bestand die Chance, daß der Mesklinit von Wortwahl und Tonfall nicht den gleichen Eindruck bekam wie der menschliche Zuhörer. „Aber du kannst doch nicht einfach dort auf deiner Plattform liegen und nichts tun!“ rief Benj. „Deine Steuerleute könnten in diesem Moment ersticken.
Weißt du, wie viel Ateml uft sie in ihren Schutzanzügen mitführten?“
Diesmal erlag er der Versuchung. Innerhalb von Sekunden begriff er, was er geäußert hatte, und kaum eine halbe Minute später befand sich eine Durchsage, von der er hoffte, daß sie besser formuliert sei, unterwegs nach Dhrawn. „Ich weiß, es ist nicht so, daß du überhaupt nichts unternimmst, aber ich begreife einfach nicht, wie du es fertig bringst, nur auf Ergebnisse zu warten.
Ich würde persönlich nach draußen gehen und Eis hacken oder etwas anderes tun, aber hier oben im Satelliten, hier kann ich es nicht.“
„In bezug auf Rettungsaktionen habe ich bereits alles gegenwärtig Mögliche veranlaßt“, lautete Dondragmers Erwiderung auf den ersten Teil von Benjs Durchsage. „Es besteht noch für viele Stunden kein Anlaß, sich über die Ate mluftvorräte zu beunruhigen. Wir reagieren auf Atemluftmangel nicht in der gleichen Weise wie Menschen. Selbst wenn die Wasserstoffkonzentration für sie zu gering wird, um bei Bewußtsein bleiben zu können, werden ihre Körperfunktionen über Stunden hinweg nur langsam schwächer. Du brauchst dich also vorerst nicht zu beunruhigen. Alle unsere Werkzeuge befinden sich bereits im Einsatz; draußen gäbe es für mich nichts zu tun, und es würde länger dauern, bis ich über euch die Berichte von Reffel erhalte. Vielleicht kannst du mir sagen, wie seine Suche nach Kervenser verläuft. Ich nehme an, daß sie noch erfolglos ist, denn der Scheinwerfer des Seouls ist noch sichtbar und seine Flugweise unverändert. Womöglich könnt ihr mir einige Geländebeschreibunge n durchgeben. Ich würde gern soviel wie möglich über dieses Gebiet wissen.“
Easy unterdrückte erneut eine Äußerung, bevor Benj ihre Absicht bemerkte. Während der Junge seine Aufmerksamkeit dem Bildschirm widmete, der die von dem im Helikopter befindlichen Kommunikatorsatz übermittelten Bilder wiedergab, fragte sie sich, ob Dondragmer ihren Sohn nur abzuwimmeln suc hte, oder ob er einen wirklichen Begriff von dem menschlichen Bedürfnis nach Geschäftigkeit und dem Gefühl der Nützlichkeit besaß. Letzteres war unwahrscheinlich, aber selbst Easy Hoffman, die die mesklinitische Natur wahrscheinlich besser kannte als jeder lebende Mensch, war sich dessen nicht sicher.
Benj hatte den betreffenden Bildschirm nicht beobachtet und mußte sich deshalb erkundigen, ob es inzwischen Neuigkeiten gab. Einer der Beobachter antwortete knapp, daß bis jetzt nichts als eine steinübersäte Oberfläche, unterbrochen von gefrorenen Tümpeln, ähnlich jenem in dem die Kwembly steckte, in Sicht gekommen sei. Noch gäbe es keine Spur von dem anderen Helikopter oder seinem Piloten. Vorerst rechnete auch niemand damit. Hätte Kervenser nur in geringer Entfernung Bruch erlitten, wäre das Ereignis wahrscheinlich vom Fahrzeug aus gesehen worden.
Benj gab die Information weiter und fügte eine Frage hinzu. „Warum sucht Reffel so langsam und sorgfältig in der Nähe des Fahrzeugs? Befand sich Kervenser nicht schon lange außer Sicht?“
Diesmal verschaffte die Antwort der Hilflosigkeit des Jungen ein wenig Erleichterung. „Doch, Benj.
Es schien mir vernünftiger, uns erst einen vollständigen Überblick der unmittelbaren Umgebung zu verschaffen und die Suche dann auszudehnen, zumal sich hieraus der Vorteil ergibt, daß mehr Informationen für eure Wissenschaftler gesammelt werden. Falls sie jedoch darauf warten können, richte Reffel bitte aus, er solle sich westwärts halten, so lange er das Licht der Brücke sehen kann, und die Suche über dieser Stelle fortsetzen.“
„Selbstverständlich, Captain.“ Die Unterhaltung war auf Stennish geführt worden, so daß keiner der anwesenden Wissenschaftler sie verstanden hatte.
Benj hielt sich nicht damit auf, ihre Zustimmung einzuholen, bevor er die Anweisung in derselben Sprache weitergab. Offenbar bereitete Benjs Akzent Reffel keine Schwierigkeiten, denn sogleich wandte sich seine kleine Maschine nach Westen.
„Und was soll mit unseren Karten werden? Wir sind jetzt mitten in der Arbeit“, grollte ein Topografiker.
„Der Captain wollte es so“, antwortete Benj knapp.
„So? Hätte ich ihn verstanden, ich hätte mich dagegen ausgesprochen, aber ich vermute, daß es nun zu spät ist. Darf man wenigstens annehmen, daß sie diese Lücke später ausfüllen werden?“
„Ich frage Dondragmer“, antwortete der Junge mit einem unsicheren Blick zu seiner Mutter. Sie trug jene ausdruckslose Miene zur Schau, die er nur allzu gut kannte. Glücklicherweise verließ der Wissenschaftler, nicht ohne einige erboste Bemerkungen zu murmeln, den Kommunikationsraum, und Benj wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu, der mit dem Kommunikatorsatz von Reffels Helikopter korrespondierte, bevor Easy ihre Gefaßtheit verlor.
Mehrere andere der Anwesenden, die den Inhalt des Gesprächs mit Dondragmer ebenfalls erfaßt hatten, mußten sich nicht minder anstrengen, ernste Gesichter zu bewahren. Aus mancherlei Gründen bereitete es ihnen Vergnügen, wenn die Wissenschaftler eins ausgewischt bekamen. Benj bemerkte davon nichts. Er sorgte sich noch immer um Beetchermarlf.
Dondragmers Versicherung, daß Wasserstoffmangel kein akutes Problem sei, hatte ihn ein wenig beruhigt, aber der Gedanke, die beiden vermißten Steuerleute könnten ebenfalls im Eis festfrieren, quälte ihn genug. Unter dem Rumpf der Kwembly mochte dies längere Zeit beanspruchen, doch ausbleiben würde es letztlich nicht. Es konnte sogar schon geschehen sein. Etwas mußte getan werden können.
Hitze schmilzt Eis. Hitze ist Energie. Die Kwembly enthielt genug Energie, um unter dem Einfluß von Dhrawns Gravitation fahren zu können, aber es gab keinen Weg, ihre Energie zum Schmelzen des Eises zu verwenden. Besaß das Fahrzeug nicht irgendwelche Wärmequellen innerhalb seines Versorgungssystems, die sich demontieren und auf der Oberfläche einsetzen lassen konnten?
Nein. Es war unwahrscheinlich, daß die Meskliniten auf Dhrawn jemals Wärmequellen benötigten. Selbst jene Gebiete des Planeten, die der Eigenwärme zu entbehren schienen, wurden von der Sonne auf Temperaturen um fünfzig Grad gehalten. Jene Regionen, in denen sie noch für viele Jahre hauptsächlich zu tun haben würden, zum Beispiel das Zentrum des Tiefdruckgebiets Alpha, waren für sie eher zu warm als zu kalt. Die Kwembly besaß ein Kühlsystem, das sich mittels der Konverter in Betrieb setzen ließ, doch soweit Benj wußte, war es seit dem ersten Testlauf niemals mehr benutzt worden. Man erwartete, es erst während der Erkundungen im Zentralbereich des Tiefdruckgebiets Alpha, also nicht vor Ablauf eines weiteren Erdjahres, vielleicht sogar erst später gebrauchen zu müssen. Das Schicksal der Esket hatte einige der ursprünglichen Pläne ein wenig ins Wanken gebracht.
Aber eine Kühlanlage war unvermeidlich auch eine Wärmepumpe. Soviel war Benj klar. Und wenigstens theoretisch ließ die Funktion der meisten Pumpen sich umkehren. Das Kühlsystem mußte irgendwo außerhalb der Fahrzeughülle eine Vorrichtung zur Abgabe von Wärme haben. Wo befand sie sich? Konnte sie verlegt werden?
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