Bacos schwieg. Das Herz pochte ihm immer noch bis zum Halse. Im ersten Moment hatte er gedacht, ein überlebender der Besatzung dieses Schiffes spreche zu ihm. Die Unsinnigkeit dieses Gedankens war ihm im Schreck nicht bewußt geworden. Im Grunde mußte er aber dem Piloten dankbar sein für seine Sorge um ihn. Unvermittelt fragte Bacos den Piloten: „Hast du über den Bordfunk gesprochen?“
„Hast du mich etwa gehört und verstanden?“ antwortete Kioto erstaunt mit einer Gegenfrage.
„Nein, aber ich habe zufällig gesehen, daß der Staub auf den Tonträgern durch die Membranschwingungen vibrierte.“
„Ach so, ja, ich habe zur Probe ins Mikrophon gesprochen. Aber ich hatte nicht im geringsten gehofft, daß der Bordfunk noch funktionieren könnte“, sagte Kioto.
„Dann warst du also im Steuerraum? Wie sieht es dort aus?“
„Die im Steuerraum waren bestimmt gleich alle tot, als der Meteorit einschlug. Ein abgesplitterter Brocken ist dort hineingeschleudert worden“, berichtete Kioto. „Es ist alles zertrümmert.“ Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden. Bacos starrte zur offenen Katapultkammer hinaus in das Sternenmeer.
„Wir müssen Nachricht an AJ-408 geben“, mahnte Kioto.
Bacos schien nicht gehört zu haben. Er blieb sitzen. Ob es meinem vor acht Jahren im Weltraum verunglückten Freund ähnlich ergangen ist? grübelte er. Ob dieses Wrack gar jenes Raumschiff war? Die Forschungsrakete des Freundes trug den Namen „Baalbek“. Das Forschungsschiff „Baalbek“ war nach jenen weltberühmten Terrassen im Orient benannt, die mit ihren titanischen Quadern 3000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, also im frühesten Altertum, unbekannten Raumfahrern aus einem fernen Sonnensystem als Starttisch gedient hatten. Kioto muß mir sagen, ob diese zerknickte Rakete, in der ich sitze, die „Baalbek“ ist. Er muß es wissen, denn er war im Steuerraum gewesen. Und in der Steuerzentrale war der Name eines jeden Schiffes mit goldenen Lettern in die Stirnseite geprägt.
Bacos fürchtete sich vor dieser Frage. Schließlich siegte doch der Wunsch nach Klarheit.
„Kioto! — Wie hieß…?“ Bacos brach ab.
Der Pilot hob den Kopf. Prüfend blickte er zu seinem Gefährten. Langsam begriff er, verstand er die Frage, denn auch er kannte die Freundesgeschichte. — Der Pilot erinnerte sich sofort. Der große Bildschirm war zersplittert, über ihm stand der Name. Das Gold der Buchstaben hatte aufgeglänzt, als der Lichtstrahl der Handlampe auf sie gefallen war.
„Dieses Raumschiff heißt Astronautic“, antwortete Kioto.
Von Bacos wich der seelische Druck. Er fühlte sich auf einmal erleichtert. Er war froh, daß es nicht die „Baalbek“ war. Eine Begegnung mit diesem Schiff, mit seinem toten Freund, hätte er nur schwer ertragen können. Das fühlte er. Die Furcht davor hatte vom ersten Augenblick, vom Erscheinen des V-Schiffes an, auf ihm gelastet. Jetzt wich dieser Druck. Seine Gedanken begannen wieder normal zu arbeiten.
Unvermutet sagte er: „Ich habe in der Sektion der Laboratorien ein hermetisch abgeschlossenes System von Räumen gefunden, in dem noch Licht brannte und Luft und Wärme kreisten.“
Diesmal war der Pilot der überraschte.
Er sprang auf und schüttelte Bacos.
„Das sagst du erst jetzt?“ rief er.
Auch Bacos stand von der Startrampe auf. Aber er ging an der angeschweißten kleinen Rakete vorbei zum offenen Katapulttor. Dort wandte er sich um. „Sie haben nicht geantwortet. Ich habe alles versucht. Sie sind schon lange tot. Die Tür blieb verschlossen. Alles ist sinnlos, das Licht, die Luft, die Wärme. Es hat sie nicht retten können.“
Resigniert stieß er sich ab. Langsam schwebte er in den schwarzen Abgrund des Sternenmeeres hinaus. Kioto eilte ihm nach. Auch er schwang sich hinaus. Sie trieben ein Stückchen nebeneinander her. Kioto ergriff ein kurzes Seil, das um seine Hüften geschlungen war, und hakte es am Gurt seines Kameraden fest. Dann zog er die Rückstoßpistole und schoß mehrmals in die Richtung, aus der sie kamen. Der Rückstoß stieß sie vom Wrack weg. Sie flogen jetzt auf ein schwaches Blinklicht zu. Es war die kleine Erkundungsrakete. Sie hing etwa 1000 Meter vom Wrack entfernt in der schwarzen Leere.
Bacos erwachte aus seiner Trauer, und stummen Verzweiflung. Er blickte erstaunt auf den Asteroiden, auf den verkrüppelten Halbmond. Ihm schien, als sei der Planetoid jetzt dem V-Schiff näher als vorhin.
Kurz vor der Rakete schossen beide in Richtung auf das Blinklicht. Ihr Tempo verlangsamte sich, und sie konnten sich an der Rakete fangen und festhalten. Nachdem sie in ihr kleines Raumfahrzeug hineingeklettert waren, setzten sie sich sofort mit Kerulen in Verbindung.
„Hallo Kommandant! Hier Kundschafter!“ rief der Pilot.
„Hier AJ-408! Wir hören!“ tönte die Antwort. „V-Schiff ist Forschungsrakete Astronautic. Kabelverbindungen zu den Triebwerken gelöst. Paro Bacos wohlbehalten. Haben hermetisch verschlossene Schiffzellen mit Licht entdeckt. Besatzung der Astronautic jedoch wahrscheinlich tot.“
Paro Bacos und Kioto Yokohata erstatteten, nachdem sie nach AJ-408 zurückgekehrt waren, dem Kommandanten ausführlich Bericht. Das dauerte lange, weil sich Kerulen alles — das Eindringen in das V-Schiff, das Lösen der Kabel und den Gang durch das Wrack — ausführlich schildern ließ.
Danach wurden beide in ihre Kabinen entlassen, um noch ein paar Stunden Schlaf zu genießen, bevor die Astronautic gründlich durchforscht wurde. Es war beabsichtigt, das Logbuch zu suchen, die Forschungsergebnisse der Toten zu ermitteln und die Unterlagen dazu an Bord des Raumjägers zu nehmen sowie die Ursachen der Katastrophe festzustellen.
Die Unterredung mit dem Kommandanten hatte im zentralen Steuerraum stattgefunden. Bevor Kioto Yokohata seine Kabine aufsuchte, ging er noch einmal zum Registrierschreiber des Funk- und Radarpultes. In der Zeit ihrer Abwesenheit waren einige Funksprüche gewechselt worden.
Nachdem die grüne Leuchtkugel gesichtet worden war und sich die Kundschafter wieder von Bord der Aufklärungsrakete gemeldet hatten, hatte der Raumjäger eine kurze Sendung für die Basis zum Mars ausgestrahlt. Der Pilot las: „V-Schiff untersucht und als Forschungsrakete Astronautic identifiziert. Triebwerke reaktionsunfähig gemacht. Astronautik von Meteoriten angeschlagen und in der Mitte zerknickt. — Vermuten, daß sich einzelne Besatzungsmitglieder noch längere Zeit am Leben gehalten haben. Halten einen Zusammenhang zwischen Transuran-Meteoriten und Astronautic- Katastrophe für möglich.“
Die Basis hatte darauf geantwortet:“Mars an alle! Funkstille im Ekliptikkubik 14-4 aufgehoben.“
An die Leitrakete hatte Kerulen gefunkt, die Hilfe der Flottille sei nun nicht mehr notwendig. AJ-408 werde wie vorgesehen das zerstörte Funkwarnfeuer auf dem Asteroiden Adonis instand setzen, die Anti-Falle errichten und zum festgesetzten Zeitpunkt wieder zur Flottille stoßen.
Etwa eine Stunde später gab der Funkschreiber eine weitere Mitteilung Kerulens an die Basis durch. „Astronautic flug- und steuerunfähig. Das Ausmaß der Zerstörung macht eine Instandsetzung der Forschungsrakete unmöglich. Haben durch Messungen festgestellt, daß zwischen dem Raketenwrack und dem Asteroiden Adonis eine kleine Geschwindigkeitsdifferenz besteht. Astronautik und Adonis werden in etwa zwölf Stunden zusammenstoßen. Wir beabsichtigen, den Rumpf auf dem Planetoiden zu verankern. Im Rumpf der Rakete sind noch eine große Anzahl von brauchbaren Räumen und technischen Einrichtungen. Wir halten das Wrack noch für sehr geeignet als gelegentliche Unterkunft für wissenschaftliche Beobachtergruppen oder für driftende Forschungsexpeditionen.“
Die Basis auf dem Mars hatte darauf geantwortet: „Wir stimmen eurem Vorschlag zu und raten, die Astronautic als Notunterkunft herzurichten und einen kleinen Vorrat an Lebensmitteln, Speisewasser, Luft und Energie einzulagern. Diese Notunterkunft könnte bei eventuellen späteren Havarien und Unglücksfällen für Kosmonauten Schutz und Rettung sein.“
Читать дальше