Eine Rasse, um den markovischen Traum utopischer Perfektion zu erfüllen, eine Rasse von Göttern.
All das lag in seiner Reichweite, hier, jetzt, heute!
»Erhebt euch und erfüllt eure Pflichten«, befahl er, und sie taten es. Dank Obie waren ihre Unterkünfte bereits behaglich eingerichtet, mit großen, weichen Betten von Seide und Satin. Obie hatte außerdem exotische Früchte, Gemüse- und Fleischsorten geliefert, die von ihren Originalen nicht zu unterscheiden waren.
Yulin setzte sich wieder an eine Konsole und drückte auf die Taste.
»Obie? Hast du unsere Position genau fixiert?«fragte er.
»Ja, Ben. Wir sind wieder im ursprünglichen Orbit von Neu-Pompeii, zusammen mit den Roboterstationen. Innerhalb eines Lichtjahrs ist nichts festzustellen. Ich nehme an, daß inzwischen selbst der neugierigste Beobachter aufgegeben hat. Es sind mehr als zweiundzwanzig Jahre vergangen.«
Ben Yulin nickte.
»Wie sieht es mit unserer Bewegungsfähigkeit aus, Obie? Kannst du uns zu einer anderen Stelle, vielleicht sogar zu einem anderen Sektor des Weltraumes befördern?«
»In jeden Bereich, dessen Koordinaten in mir gespeichert sind. Dazu gehören natürlich alle Kom-Welten und Grenzgebiete aus der Zeit, in der wir zuletzt hier waren.«
Ben Yulin überlegte kurz.
»Obie, gibt es eine Möglichkeit für dich, die Atmosphäre an der Oberfläche zu verändern? Die Mischung ändern, die Luft absaugen oder einen Giftstoff zuführen?«
»Diese Bereiche werden von völlig unbeeinflußbaren Schaltungen gesteuert«, antwortete der Computer. »Ich kann da überhaupt nichts tun. Das müßten Sie eigentlich wissen. Antor Trelig wollte nicht, daß Sie oder Zinder oder sonst irgend jemand eine solche Macht besitzt — und ich schon gar nicht. Aus irgendeinem Grund hat er mir nie recht getraut.«
Yulin gluckste. Er vertraute Obie etwa so weit, wie er ihn werfen konnte.
»Nun gut«, sagte er seufzend. »Ich muß mit den Leuten aus dem Norden fertig werden, so gut ich kann. Im Augenblick brauche ich wirksame Betäubungsmittel für Agitar, Yaxa und Lata.«Obie besaß die erforderlichen Informationen.
Ein bewaffneter Posten wurde in der Nähe des Lifts aufgestellt, und man verlegte das Lager in die Mitte des Parks.
»Warum nicht das Schiff nehmen und fortfliegen, um Hilfe zu holen?«sagte Renard. »Wir sind weiß Gott der lebende Beweis für unsere Behauptungen, und der Rat könnte dafür sorgen, daß hier alles in die Luft gesprengt wird.«
»Genau darauf wartet Yulin«, gab Mavra zurück. »Wenn wir im Schiff unterwegs sind, könnte er die große Schüssel auf uns richten und uns mit einem Schlag erledigen.«
Renard blickte zum Lift hinüber, der vielleicht hundert Meter entfernt war und von Wooly und Vistaru bewacht wurde.
»Sie werden uns holen«, sagte er tonlos. »Und zwar bald.«
Sie nickte.
»Den Draht haben wir. Dreihundert Meter, das ist mehr als genug. Wenn wir nur nah genug herankommen, um ihn zu benützen.«
»Sie müssen den Abwehr-Status abschalten, wenn sie ihre Leute herauslassen«, sagte der Bozog. »Das wäre der logische Augenblick.«
»Ja, vielleicht sollten wir an der Brücke warten«, warf Renard ein. »Sozusagen im Startblock.«
»Das finde ich nicht«, meinte sie. »Nein, die Pläne lassen erkennen, daß Obie den ganzen Bereich vom Ende des Zugangskorridors bis zu seiner Tür sehen kann. Und wenn wir im Korridor bleiben, stehen wir mit dem Rücken zum Lift. Yulin kann seine Zombies in alles verwandeln, was ihm einfällt, und uns überfallen lassen. Nein, ich glaube —«
»He, da kommt etwas herauf!«schrie Wooly.
Die anderen fuhren herum.
Die Lifttür öffnete sich und ließ eine schrecklich aussehende Wolke aus orangeroten und grünen Gasen austreten. Sie war dicht und hüllte sie ein. Ein Schuß fiel, dann herrschte Stille.
Die anderen erreichten die Wolke, hielten aber Abstand, als der scharfe Geruch sich bemerkbar machte. Yugash und Bozog drangen hinein und tauchten bald danach wieder auf. Die große Rauchwolke stieg empor und verdünnte sich, als die Entlüftung wirkte.
»Sie sind fort!«rief der Bozog. »Beide! Einfach verschwunden!«
Renard schüttelte traurig den Kopf.
»Jetzt sind wir noch vier, verdammt!«
»Und auf der anderen Seite stehen elf, selbst ohne ihn«, fügte Mavra hinzu. »Das verändert alles.«
»Wir könnten mit dem anderen Wagen hinterherfahren«, schlug der Bozog vor.
Sie schüttelte den Kopf.
»Das hat keinen Sinn. Er hält immer an der oberen Tür. Und er ist zu hören. Wenn wir ankommen, geht die Tür auf, und er hat uns alle.«Sie sah Renard an. »Haben Sie Ihre Energiepistole noch?«
»Hier«, sagte er und klopfte auf seine Pistolentasche.
»Gut. Wir lassen ihnen etwas Zeit, dann rufen wir eine Kabine. Sie schießen mit Streufeuer hinein, bevor wir einsteigen, und der Ghiskind und der Bozog sehen ebenfalls nach. Wenn wir unten ankommen, feuern Sie wieder, bis wir in der unteren Etage sind. Wenn wir schon umkommen müssen, dann im Kampf!«
»Aber genau das wird ihn aufmerksam machen«, wandte der Bozog ein. »Er wird seine Leute im Inneren festhalten, bis er sie hinausschicken muß. Er wird vermeiden wollen, daß einem etwas zustößt. Er kann alle unsere Fähigkeiten nicht kennen.«
»Darauf zähle ich«, sagte sie. »Und darauf, daß die untere Kabine unten war und man die obere benützt hat. Wenn das zutrifft, sind wir fast eine Stunde gesichert. Ghiskind, Sie und der Bozog bleiben für alle Fälle auf dem Posten. Renard, ein letzter Ausflug zum Schiff, dann geht es los. Handeln oder sterben!«
»Oder lernen, Ben Yulin zu lieben«, sagte er seufzend.
* * *
Lichter blinkten, Zahlen zuckten unter Renards Händen, geleitet von Mavra. Es dauerte mehrere Minuten.
»Eine automatische Abfolge«, sagte sie. »Wenn uns die Explosion gelingt, besteht durchaus die Möglichkeit, daß die Lebenserhaltungssysteme weiterlaufen, zumindest vorübergehend. Dann könnten Sie hier heraufkommen — mit den anderen, wenn das geht — und das Schiff erreichen. Verliert keine Zeit, wenn die Zündung erfolgt ist! Fällt der Strom aus, dann erstickt ihr im Lift. Schaffen Sie alle hinein, hier herauf, in das Schiff, schließen Sie die Schleusen und drücken Sie auf ›N-Start‹ an der Konsole. Das Schiff wird abheben und einen Kurs einschlagen, der euch innerhalb von zwei Tagen in Funkreichweite des Rates bringt. Dann ruft ihr um Hilfe. Man wird an Bord kommen und euch glauben. Sagt den Leuten, daß Neu-Pompeii völlig zerstört werden muß. Atomisiert. Sonst werden andere Wissenschaftler kommen und Politiker die Macht übernehmen, und alles wird umsonst gewesen sein. Alles muß verschwinden.«
»Sie reden so, als würden Sie nicht dabei sein«, sagte Renard.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wir können nicht damit rechnen, daß ich hiersein werde. Wenn es geht, dringen Sie in den Kontrollraum ein, und holen Sie die Leute heraus.«
»Aber sie sind alle Yulins Sklaven!«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Physisch, gewiß. Aber alle geistigen Kontrollen werden versagen. Nikki Zinder stand unter einem Liebessklavenzwang gegenüber Yulin, als sie hierhergelockt wurde. Aber als man Obie abschaltete, um ihn hierherzuschaffen, war der Bann gebrochen. Es sollte diesmal nicht anders sein.«
»Also gut, doch ich gehe nicht ohne Sie.«
»Wenn es notwendig ist, müssen Sie es tun!«fuhr ihn Mavra an. »Glauben Sie mir, Renard. Sie sind jetzt der einzige, der sich auskennt. Und lassen Sie nicht zu, daß mich jemand holt oder irgendeinen anderen rettet, wenn das nicht auf der Stelle möglich ist. Sie können nicht meinetwegen alle diese Leute töten. Versprechen Sie mir, daß Sie es nicht tun!«
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