Er runzelte die Stirn. Aus welchem Grund sollte sie sich so exponieren?
»Bist du sicher, daß keine anderen Lebensformen auf der Brücke sind?«fragte er betroffen.
»Keine anderen«, bestätigte der Computer. »Außer, der Yugash ist bei ihr. Er würde viel näher herankommen müssen, damit ich ihn wahrnehmen kann — es sei denn, er befindet sich in ihrem Körper, dann wäre er überhaupt nicht zu entdecken.«
Yulin nickte. Das mußte es sein. Sie bot sich als Köder an, und wenn er sie hereinholte, würde der Yugash mit eindringen.
»Obie«, sagte er, »könnte der Yugash sich mit dir in Verbindung setzen?«
»Ja, Ben, natürlich.«
»Aber niemand in diesem Raum könnte von ihm übernommen werden.«
»Nein, Ben.«
Er überlegte.
»Obie, Standardprogrammierung.«Er gab an der Tastatur eine lange Zahlenreihe ein.
»Läuft«, sagte der Computer.
»Du nimmst keinerlei Befehle von einem Yugash an, ob er für sich ist oder sich im Körper eines anderen Wesens befindet«, sagte er tonlos. »Außerdem läßt du alle von einem Yugash stammende Informationen außer acht.«
»Verstanden«, erwiderte der Computer.
Yulin nickte zufrieden. Gut, dachte er. Soll der Yugash nur hereinkommen. Ohne Körper und unfähig, sich mit Obie zu verständigen, würde er mit ihm einen Kompromiß schließen oder ziellos herumschweben müssen. Er konnte ihm anbieten, ihn heimzuschicken, ihn irgendwie unter seine Kontrolle zu bringen.
Er lächelte. Das mochte sich sogar noch als ausgesprochen vorteilhaft erweisen. Er stand auf, ging zum Geländer und rief:»Wooly! Vistaru! Nikki! Mavra! Kommt her!«
Vier Frauen hasteten zu ihm hinauf.
»Auf der anderen Seite der Brücke steht ein Pferd«, sagte er. »Es ist mehr als ein Pferd. Es ist eine Person im Leib eines Pferdes, und sie kann reden. Sie gehört zu meinen Gegnern. Sie ist sehr gefährlich, die gefährlichste von allen. Wir müssen sie hier hereinholen. Andere warten aber in Deckung und fallen vielleicht über euch her.«Er dachte angestrengt nach. »Wenn ihr das Pferd erreicht habt, benützt ihr eure Hypnonadeln. Sagt ihm, daß es euer Pferd sei und es euch folgen müsse. Führt es oder reitet es hierher. Ihr müßt es unbedingt zu mir bringen.«
»Und die anderen, Lord Yulin?«fragten sie.
»Nummer Eins und Drei, mit euren Waffen heraufkommen!«schrie er.
Zwei andere Frauen mit schweren Energiepistolen eilten zu ihm hinauf.
Obie konnte keine organische Abwehr gegen Energiepistolen schaffen, aber die Pistolen selbst herzustellen, vermochte er mühelos.
»Ihr folgt den anderen ungefähr bis zur Mitte der Brücke«, sagte er. »Gebt ihnen Deckung und achtet auf den Torbogen. Wenn da irgend etwas herauskommt, sofort töten! Macht das Pferd euren Schwestern Schwierigkeiten, dann betäubt sie alle miteinander und bringt sie zurück! Verstanden?«
»Wir hören und gehorchen, Lord Yulin.«
Er nickte und setzte sich wieder an die Konsole.
»Obie, auf mein Kommando schaltest du den Abwehr-Status ab und öffnest die Tür. Du nimmst den Abwehr-Status sofort wieder auf, wenn ich es befehle. Kapiert?«
»Kapiert, Ben.«
»Macht euch fertig, Mädels. Also, Obie — fünf… vier… drei… zwei… eins… jetzt !«
Die Tür glitt zur Seite, und Wooly, Vistaru, Nikki und Mavra stürzten hinaus. Einige Sekunden später folgten die beiden anderen, mit den Pistolen im Anschlag. In zwei Gruppen liefen sie über die Brücke.
Mavra entdeckte sie sofort.
»Okay, Bozog, Ghiskind. Los!«zischte sie.
Wie der Blitz war der Bozog über der Brücke und verschwand an der Seite. Die Frauen, die immer noch geduckt dahinliefen, bemerkten ihn nicht.
Renard wurde von dem sich ungeheuer schnell abspulenden Draht beinahe in den Torbogen hinausgerissen. Mavra war sich bewußt, daß der Draht sichtbar war und unter einigem Lärm abrollte. Da sie unbedingt verhindern mußte, daß man ihn bemerkte, blieb ihr nur eine Wahl. Sie bäumte sich auf wie ein Wildpferd, schnellte nach vorn und hetzte über die breite Brücke.
Die Frauen waren überrascht, erholten sich aber schnell und warteten.
Mavra wurde so schnell, daß sie beschloß, einfach an ihnen vorbeizustürmen, durch die offene Tür in den Kontrollraum. Die vier Frauen sprangen auseinander und ließen eine Gasse frei, durch die Mavra hindurchhetzte. Als sie vorbeilief, spürte sie eine Reihe scharfer Stiche, dann sprang eine Gestalt auf ihren Rücken. Wieder fühlte sie Stiche, diesmal am Hals.
Sie versuchte den Reiter abzuwerfen, aber plötzlich verlangsamte sich alles, ihr Denken verschwamm, und sie blieb stehen.
»Nur weiter, Pferdchen«, sagte eine leise Frauenstimme. »Im Trab durch die Tür.«
Sie gehorchte. Die drei anderen Frauen liefen neben ihr her, die beiden übrigen bildeten die Nachhut.
»Abwehr-Status, Obie!«schrie Yulin. Die Tür schloß sich, als das Pferd hereindrängte. »Obie, sind noch Lebensformen auf der Brücke?«
»Nein, Ben, niemand.«
Vistaru saß immer noch auf Mavras Rücken und lächelte wie ein Kind mit neuem Spielzeug.
»So ein nettes Pferdchen«, sagte sie zu Yulin. »Können wir es behalten? Als Haustier?«
Er lachte leise. Der Gedanke gefiel ihm. Je mehr er darüber nachdachte, desto besser hörte es sich an.
»Bring es zur Plattform, Schatz. Du bekommst ein Haustier, aber ein anderes.«
Die Mädchen hatten einige Schwierigkeiten, die Wendeltreppe mit Mavra zu bewältigen, aber es gelang ihnen. Mavra wurde auf die Scheibe gestellt.
»Obie, du hast doch noch Mavra Tschangs Original-Codierung, nicht?«fragte er.
»Ja, Ben.«
»Gut. Wesen auf der Scheibe codieren«, sagte er.
Der kleine Parabolspiegel schwang herüber, das blaue Licht erfaßte die Scheibe darunter, das Pferd flackerte und verschwand.
»Neue Codierung«, sagte Yulin. »Den Körper von Mavra Tschang mit Pferdeschwanz wie früher. Arme und Beine die eines kleinen Pferdes, mit dem Körper nach unten, auf ihnen ruhend, Länge und Muskulatur in Übereinstimmung mit dem menschlichen Körper. Belastungsfähigkeit von Muskeln und Knochen für Lasten bis zu hundert Kilogramm, Zugkraft noch höher. Ohren wie bei einem Maulesel. Alle Hautmchen und Hautfarben menschlich, das Verdauungssystem jedoch wie das meine, mit der Fähigkeit, alles Organische zu essen und zu verarbeiten. Verstanden?«
»Verstanden, Ben. Hat schon jemand erwähnt, daß Sie Antor Trelig immer ähnlicher werden?«
»Wer sagt, daß mir das etwas bedeutet?«gab er zurück. »Weitere Anweisungen: Brüste so vergrößern, daß sie fast bis zum Boden reichen; Sinneswahrnehmung in allen Bereichen nach menschlicher Norm; mach den Schwanz so lang, daß er den Boden erreicht; die Haare an Kopf und Nacken dicht, aber kurz. Okay? Und sie soll ein Zwitter sein — Fortpflanzung durch Jungfernzeugung. Identische Kopien. Klar?«
»Ja, Ben.«
»Innere Anpassung: Sie soll Menschen sehr mögen, vor allem die im Kontrollraum hier, und ständig Liebe und Aufmerksamkeit brauchen, völlig gutmütig und gehorsam sein, keine Erinnerung vor diesem Zeitpunkt, keine Denkfähigkeit über das Maß eines hochintelligenten Hundes hinaus. Verstanden?«
»Verstanden. Ben, Sie sind wirklich eine Ratte.«
»Danke, Obie. Programm ab.«Es dauerte nicht einmal sechs Sekunden.
* * *
Der Bozog floß an der Schachtwand hinunter, knapp hinter dem Yugash, ohne den Draht loszulassen. Nachdem er, wie es schien, an Tausenden von Schalttafeln und Öffnungen vorbeigekommen war, erreichten sie einen Zugang, auf den der Yugash hinwies, bevor er hineinglitt. Der Bozog folgte ihm.
Der Draht blieb hängen, und das Wesen aus dem Norden mußte ihn vorsichtig lösen, in der Befürchtung, Renard könnte den Ruck als Signal mißverstehen.
Der Weg führte geraume Zeit an großen, summenden Moduln vorbei, hinauf, zurück und im Kreis herum. Das Ganze war ein Labyrinth, und der Bozog hielt sich ganz nah am Yugash, weil er wußte, daß er sonst nie wieder hinausfinden würde.
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