Er hielt für einen Moment inne, stellte sein Sichtgerät neu ein und schaute zum Himmel empor.
Gewöhnlich war der Himmel völlig konturlos, aber Billys Sichtgerät zeigte ihm zu viele Sterne, als dass er sie hätte zählen können. Wie am Himmel über Ohio, dachte Billy.
Er verspürte plötzlich eine tiefe Sehnsucht, so intensiv, dass es ihn erschreckte. Die Rüstung schüttete komplizierte Neurochemikalien aus, um ihn wachsam zu machen, um ihm bei der Jagd zu helfen — um ihn am Leben zu erhalten. Hier war kein Raum für Nostalgie. Es sei denn, der Deckflügel oder die Lanzette oder die seltsame elektronische Drüse in der Rüstung hatten zu versagen begonnen.
Aber das hatten sie nicht. Und selbst wenn es so gewesen wäre, dann wäre die Wirkung nur vorübergehend gewesen. Billy saß auf einer Parkbank, bis das Heimweh verflog. Dann war der Himmel nur noch der Himmel, rein und bar jeder besonderen Bedeutung. Er justierte sein Sichtgerät neu, überquerte den menschenleeren Washington Square und ging zur Sullivan Street, um seine Suche fortzusetzen.
Und hatte keinen Erfolg. Er verbrachte einen weiteren, unruhigen Tag.
Am frühen Abend ging er ohne Rüstung nach draußen und wanderte durch die geschäftigen Straßen des Village. Eine Zeit lang saß er auf der Terrasse des Café Figaro, wo die Stammgäste ihn irrtümlich für einen der vielen Touristen mittleren Alters hielten. Dabei fragte er sich, ob der Eindringling in der Menge an ihm vorbeigeschlendert war oder ob er gar am nächsten Tisch saß und sich auf seine dreißig Jahre billigen Vorwissens etwas einbildete. Oder ob er vielleicht die Stadt verlassen hatte. Auch das war immer noch eine Möglichkeit. In diesem Fall befände Billys Opfer sich hoffnungslos außer Reichweite, und er bekäme nichts anderes mehr von ihm zu sehen als winzige Reste abnehmender Strahlung.
Aber Billy hatte seine Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Er ging nach Hause, zog seine Rüstung an und wanderte in einem groben Muster drei Stunden lang ohne Erfolg umher.
Er beendete die Nacht, ohne jemanden getötet zu haben, zutiefst enttäuscht.
Und träumte von blauem Licht.
Drei Nächte später, als er durch die Eighth Street nach Westen ging, entdeckte er am Eingang und im Innern eines kleinen Ladens namens Lindner’s Radio Supply ein mattes Leuchten.
Billy lächelte zufrieden, ging nach Hause und legte sich schlafen.
Er erwachte in der Nachmittagshitze.
Er legte seine goldene Rüstung an, aktivierte die Lanzette und zog seinen Tarnanzug darüber. Er verzichtete auf den Helm. Den brauchte er heute nicht.
Er fühlte sich ein wenig seltsam, als er sich bei Tageslicht nach draußen wagte.
Er ging in seinem Mantel zu Lindner’s, handelte sich ein paar neugierige Blicke ein, aber nicht mehr. Er blieb auf dem Bürgersteig vor dem Laden stehen und drückte sein Gesicht gegen die Schaufensterscheibe.
Es war kein großer Laden, aber die Geschäfte schienen recht gut zu gehen. Eine HiFi-Anlage stand im Schaufenster und präsentierte ihre Vakuumröhren. Davor lag eine Karte mit der Aufschrift STEREOPHON! Er sah einen alten Mann hinter einer Holztheke. Billy empfand einen Anflug von Enttäuschung. War dieses schwache Geschöpf seine Beute?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es war noch zu früh, um das eindeutig zu entscheiden.
Er ging über die Straße zu einem Imbissrestaurant, bestellte sich ein Schinkensandwich und Kaffee und besetzte einen Tisch am Fenster.
Bei Lindner’s herrschte mäßiger Betrieb. Leute kamen, Leute gingen. Und jeder hätte der Eindringling sein können. Aber Billy schloss aus dem verschwommenen Leuchten in der vergangenen Nacht, dass der Mann öfter hierhergekommen war. Der Staub — von dem mittlerweile nur noch ein paar winzige Körnchen an seinen Schuhen oder Hosenaufschlägen klebten — konnte nur durch wiederholtes Auftauchen an dieser Stelle hinterlassen worden sein.
Wahrscheinlich ist er ein Angestellter, dachte Billy. Ein Lieferant oder ein Verkäufer.
Das Sandwich schmeckte sehr gut. Er hatte seit Tagen nicht mehr richtig gegessen. Er bestellte ein zweites, eine zweite Tasse Kaffee. Er aß langsam und beobachtete das Kommen und Gehen bei Lindner’s.
Er zählte fünfzehn Personen, die hineingingen, und fünfzehn, die herauskamen, alles Kunden, vermutete Billy. Dann fuhr ein Lieferwagen vor und hielt am Bordstein an. Ein schwitzender Mann in einem blauen Oberhemd lud drei Kartons aus und packte sie auf eine Sackkarre. Billys Interesse wurde geweckt. Das war eine Möglichkeit. Es gab keine Chance, den Lieferwagen zu verfolgen, aber er merkte sich die Zulassungsnummer und den Namen der Speditionsfirma.
Und setzte seine Beobachtung fort.
Kurz nach vier Uhr kam der Imbissinhaber an seinen Tisch. »Sie können nicht einfach hier herumsitzen. Die Plätze sind für zahlende Kunden reserviert.«
Der Gastraum war fast menschenleer. Billy schob einen Zehndollarschein über den Tisch und sagte: »Ich möchte noch einen Kaffee. Den Rest dürfen Sie behalten.« Und dachte dabei: Wenn ich dich töten wollte, könnte ich es hier auf der Stelle tun.
Der Mann starrte auf das Geld, dann sah er Billy an.
Er machte ein finsteres Gesicht und kam mit dem Kaffee zurück. Mit kaltem Kaffee in einer unsauberen Tasse.
»Danke sehr«, sagte Billy.
»Keine Ursache, glaube ich.«
Der letzte Kunde verließ Lindner’s um Viertel nach fünf. Der Laden sollte um sechs Uhr schließen. Billy teilte seine Aufmerksamkeit zwischen der Ladenfront und der Uhr an der Wand des Imbissrestaurants. Um sechs nahm seine Spannung schlagartig zu.
Er beobachtete, wie der alte Mann — der Inhaber, vermutete Billy — mit einem Schlüsselbund in der Hand zur Tür ging und das Schild umdrehte, sodass dort GESCHLOSSEN zu lesen war.
Billy verließ seinen Tisch im Restaurant und trat auf die Straße.
Ein warmer, sonniger Nachmittag.
Bei Lindner’s kam der Inhaber — grauhaarig, mit Halbglatze und fett — durch die Tür und hielt die Schlüssel in der Hand. Dann blieb er stehen, drehte sich um, sagte etwas, schloss die Tür und entfernte sich.
Billys Interesse war sofort geweckt. Der alte Mann musste jemanden dort drinnen zurückgelassen haben.
Es war auf jeden Fall kaum wahrscheinlich, dass der fette Inhaber seine Zielperson war. Er machte viel zu sehr den Eindruck, hier zu Hause zu sein, er wirkte zu gelangweilt. Lass dir Zeit, dachte Billy. Warte und beobachte.
Er stand am Zeitungskiosk und tat so, als sehe er sich eine Ausgabe von Life an.
Der zweite Mann kam einen Moment später durch die Tür und schloss mit seinem eigenen Schlüssel ab.
Dieser Mann, dachte Billy. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
Billy folgte in sicherer Entfernung.
Er gehorchte seiner Intuition, aber er zweifelte eigentlich nicht daran, dass dies sein Opfer war. Es war ein relativ junger Mann in verwaschenen Bluejeans, Baumwollhemd und Turnschuhen, die verdächtig anachronistisch aussahen. Staub im Sohlenprofil dieser Schuhe, dachte Billy. Etwas Staub klebte vielleicht auch noch im Stoff seiner Hose. Im Dunkeln würde dieser Mann leuchten wie eine Neonröhre. Dessen war Billy sicher.
Er blieb ein, zwei Straßen zurück und folgte dem Unbekannten.
Der Mann spürte Billys Nähe. Manchmal geschah das bei einem Opfer. Manchmal nicht. Es gab Leute, die nahmen keine Besonderheiten wahr. Man konnte neben ihnen in der U-Bahn sitzen, ihnen auf einer Rolltreppe folgen, über ihre Schultern mitlesen, sie bemerkten es einfach nicht. Häufig meldete sich jedoch beim Opfer ein warnender Instinkt. Es ging ein wenig schneller, warf einen nervösen Blick über die Schulter. Am Ende war es natürlich gleichgültig. Opfer war Opfer. Aber Billy wollte jetzt vorsichtig sein. Er konnte seine Rüstung nicht zu auffällig einsetzen, und er wollte die Spur des Mannes nicht verlieren.
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