Sie ließ sich am Küchentisch nieder, während er eine Kanne Kaffee zubereitete. »Hier sieht es aber nicht aus wie in einem Junggesellenhaushalt.«
Sein Lächeln war geheimnisvoll. »Ich denke, ich habe seit dem College einiges dazugelernt.«
»Tony erzählte, du arbeitest in seinem Geschäft.«
»Stimmt.«
»Wie läuft es?«
Er kam mit zwei Tassen Kaffee an den Tisch und stellte eine vor sie hin. »Lausig. Vielleicht hat Tony das auch erwähnt. Ich habe keine Begabung dafür, den Leuten ihr Geld abzuknöpfen.«
»Du warst auch immer ein schlechter Kartenspieler. Hast du vor zu kündigen?«
Er nickte. »Ich denke daran wegzugehen.«
Diese Unterscheidung — nicht »kündigen«, sondern »weggehen« — kam ihr sehr seltsam vor. »Du gehst nicht ans Telefon, der Job gefällt dir nicht… Willst du umziehen?«
»Ich habe noch keine festen Pläne.«
»Du willst also nicht darüber reden.«
Er zuckte mit den Schultern.
Sie sagte: »Naja, ich kann es Tony und Loreen nachfühlen, dass sie sich Sorgen machen. So wie jetzt habe ich dich noch nie erlebt.«
Sie meinte seine Stimmung, aber es war auch die Art und Weise, wie er aussah. Seine Schwammigkeit war verschwunden. Er bewegte sich, als habe er irgendeine verborgene Energiequelle gefunden. Sie überlegte, ob sie in seinem Medizinschrank nach irgendwelchen Aufputschmitteln suchen sollte, aber das war keine chemisch bedingte Lebhaftigkeit. Das lag viel tiefer, dachte sie. Es war eine zweckbedingte, zielgerichtete Energie.
»Ich bin nicht krank«, sagte er. »Und ich bin nicht verrückt.«
»Kannst du mir einen Hinweis geben, was los ist?«
Er zögerte lange. Schließlich gab er sich einen Ruck. »Ich habe mich entschlossen, weder mit Tony noch mit Loreen noch mit irgendjemand sonst darüber zu reden. Ich glaube, ich habe das Recht dazu.«
»Und du willst auch nicht mit mir darüber reden.«
Eine längere Pause. Er lächelte nicht mehr.
»Ich habe sehr lange auf dich gewartet«, sagte er. »Ich wünschte mir, dass du zurückkommst. Ich stellte mir vor, wie du durch diese Tür trittst. Um zu mir zu kommen und dazubleiben. Aber du bist nicht deshalb hergekommen.«
»Nein«, gab sie zu.
»Wir haben keine gemeinsamen Geheimnisse mehr! Das ist eine Tatsache, an der sich nichts ändern lässt.«
»Ich denke auch. Aber du verstehst, weshalb ich gekommen bin?«
»Ja.«
»Du hättest das Gleiche getan, nicht wahr?«
»Ja, das hätte ich.«
Sie tranken ihren Kaffee in der Stille der Küche. Ein sanfter Lufthauch bewegte die Fenstervorhänge über der Spüle.
Gegen Mittag begriff Barbara, dass er tatsächlich Vorbereitungen traf, um für lange Zeit wegzugehen; dass er seine Geheimnisse hatte, aber offenbar nicht an Selbstmord dachte; und dass sie ihn wahrscheinlich nie Wiedersehen würde.
Sich mit der letzten Erkenntnis abzufinden, fiel ihr schwerer, als sie erwartet hatte. Sie hatte ihn vor Monaten verlassen, und die Trennung war endgültig gewesen. Sie hatte nie die Absicht gehabt, noch einmal mit ihm zusammenzutreffen. Das Getrenntsein war schwierig gewesen, aber kein traumatisches Erlebnis. Das lag vielleicht daran, dass er in ihrem Hinterkopf immer noch da war, so solide und unverletzbar wie ein Monument, ein Teil ihres Lebens in Stein gemeißelt.
Sein Absturz in den Alkoholismus hatte diese Gewissheit erschüttert, doch nun war sie in ihrer Existenz ernsthaft bedroht. Das war nicht der Tom, den sie verlassen hatte. Dies war ein neuer Tom. Ein wilderer Tom, der tief in eine Sache verwickelt war, über die er nicht sprechen wollte.
Der Wunsch, dass er sich nicht ändern möge, war natürlich selbstsüchtig. Aber sie hatte auch Angst um ihn.
Er bereitete mittags einen kleinen Imbiss zu — Omeletts, Schinken und Zwiebeln. »Ich ernähre mich nicht nur von Fertiggerichten«, sagte er grinsend. Sie bedankte sich für das Essen, wusste jedoch, dass es nur eine Geste der Höflichkeit war. Sie würde sich bald verabschieden müssen.
»Was immer du vorhast«, sagte sie, »ich hoffe, dass es gut ist für dich. Ich meine das ganz aufrichtig.«
Er bedankte sich mit einem Kopfnicken, dann legte er seine Gabel beiseite. Sein Gesicht war ernst. »Barbara«, sagte er, »was bedeutet dir das Jahr 1989?«
Es war eine seltsame Frage. »Ich finde, es ist ziemlich mies«, sagte sie. »Weshalb?«
»Es ist schlecht, weil… tja, warum?«
»Ich weiß es nicht. Wo soll man da anfangen? Es ist eine schlimme Zeit für die Welt, weil Menschen verhungern, weil das Klima sich ändert, weil wir dabei sind, die Ozonschicht zu zerstören, aus allen möglichen Gründen. Und es ist eine schlechte Zeit in Amerika, weil jedermann sehr, sehr unruhig und sehr, sehr vorsichtig ist. Bis auf die Bösen, die Übeltäter.
Erinnerst du dich noch an Yeats? ›Den Besten fehlt die Überzeugung, während die Schlimmsten vor Leidenschaft übersprudeln.‹ Warum fragst du?«
»Was wäre, wenn du eine Wahl hättest?«
»Wie bitte?«
»Ich meine es ernst. Wenn du die Welt verlassen könntest? Wenn du einen Ort kennen würdest — keinen perfekten Ort, sondern einen Ort, an dem du ohne einige dieser Ungewissheiten leben könntest? Einen Ort, an dem du sicher wüsstest, dass dort während der nächsten dreißig Jahre kein Atomkrieg stattfindet. Wo es zwar Krankheiten gibt, aber kein Aids. Auch all die Leiden der Menschheit — Unterdrückung, Qual, Hässlichkeit —, aber in einem weitaus geringeren Maße. Und angenommen, du könntest einiges vorhersehen. Du könntest es zwar nicht verhindern, aber du könntest dich davon fernhalten: Überschwemmungen, Flugzeugabstürze, Terroristenattentate. Wie fändest du das, Barbara, wäre das ein gutes Angebot?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Es ist eine rein hypothetische Frage.«
»Selbst hypothetisch ergibt sie keinen Sinn.«
»Aber wenn es einen solchen Ort gäbe. Wenn du dorthin könntest.«
Sie dachte darüber nach. Sie wollte eine überlegte Antwort geben. Die Frage mochte zwar hypothetisch sein, aber sie war ganz gewiss nicht zufällig gestellt worden. Sie betrachtete den gespannten Ausdruck in Toms Gesicht. »Ich fände es verlockend«, sagte sie. »Tja, wirklich, es würde mich ungemein reizen. Wen nicht? Aber letztendlich — nein, ich glaube, ich würde nicht dorthin gehen.«
Er schien enttäuscht zu sein. »Warum nicht?«
»Aus vielen Gründen. Ich habe hier sehr viel zu tun.«
»Die Welt retten?«
Ein Anflug von Sarkasmus. Sie ging nicht darauf ein. »Meinen Anteil beizutragen. Und dann gibt es da noch Menschen…«
»Rafe, zum Beispiel?«
»Rafe. Neben anderen, ja. Es gibt sehr viel, wofür ich lebe, Tom.«
»Ich habe auch nicht vom Sterben gesprochen.«
Hoffentlich nicht, dachte sie.
Aber wovon dann?
Hatte jemand ihm ein solches Angebot gemacht?
Zu verrückt, dachte sie. Viel zu verrückt. »Ich würde hierbleiben«, erklärte sie mit Nachdruck.
Tom betrachtete sie lange. Sie vermutete, dass er ihre Antwort zu werten versuchte, dass er darüber nachdachte. Schließlich nickte er. »Ja, das würdest du wahrscheinlich tun.«
»Ist das die falsche Antwort?«
»Nein… wirklich nicht.«
»Aber es ist nicht deine Antwort.«
Er lächelte. »Nein.«
Sie stand auf. »Sag es mir noch einmal. Ehe ich aufbreche. Sag mir, dass es dir gutgeht.«
Er brachte sie zur Tür. »Mir geht es wirklich gut. Ich werde nur für einige Zeit fort sein.«
»Tatsächlich?«
»Tatsächlich.«
Sie studierte sein Gesicht. Er verschwieg irgendetwas. Aber er meinte das ernst, was er sagte. Ihre Furcht hatte sich etwas gelegt — er dachte nicht an Selbstmord —, aber ein letzter Rest Ungewissheit, Unsicherheit blieb zurück, denn irgendetwas hatte von ihm Besitz ergriffen, irgendeine seltsame Strömung, eine Kraft, die ihn mitriss, sodass sie ihn nicht mehr erreichen konnte.
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