„Kam Ihnen unsere Arbeit nicht nebensächlich und eintönig vor, nachdem Sie doch nun sechs Jahre an den Kosmos gewöhnt waren?“ Weda sah forschend in sein Gesicht.
„Ihre Arbeit ist durchaus nicht nebensächlich und eintönig“, entgegnete Dar Weter, „doch gibt sie mir nicht die Spannung, die ich gewohnt bin. Dafür fühle ich mich in bester Laune und bin so ausgeglichen, als würde ich mit hellblauen Träumen behandelt.“
„Mit hellblauen?“ fragte Weda zurück, und ihr stockender Atem sagte Dar Weter mehr, als es die im Dunkeln unsichtbare Röte ihrer Wangen getan hätte. „Als nächstes untersuche ich eine alte Höhle“, fuhr sie rasch fort, „aber nicht eher, als bis sich wieder ein Freiwilligentrupp mit Archäologen zusammengefunden hat. In der Zwischenzeit nehme ich an Ausgrabungen im Meer teil — Kollegen haben mich dazu eingeladen.“
Dar Weter hatte sie verstanden, und sein Herz klopfte vor freudiger Erregung. Doch er beherrschte sich und fragte ruhig: „Sie meinen die Ausgrabungen der versunkenen Stadt südlich von Sizilien? Im Atlantis-Palast habe ich phantastische Dinge von dort gesehen.“
„Nein. Zur Zeit graben wir an den Küsten des östlichen Mittelmeers, des Roten Meers und Indiens. Wir suchen nach erhalten gebliebenen Kulturschätzen, angefangen bei der kretisch-indischen Kultur bis zum Beginn des Dunklen Zeitalters.“
„Ach, nach dem, was man versteckte oder häufiger einfach ins Meer warf, als die Inseln der Zivilisation unter dem Ansturm der ungestümen frischen Kräfte der Barbaren untergingen. Ich verstehe“, sagte nachdenklich Dar Weter, während seine Augen weiterhin aufmerksam die dämmerige Ebene absuchten. „Ich verstehe auch die Zerstörung der alten Kultur, als die antiken Staaten, einst stark durch ihre Naturnähe, nicht imstande waren, die Welt zu verändern und mit der abscheulichen Sklaverei und ihrer parasitären Oberschicht fertig zu werden.“
„Und dann wurde die antike Sklaverei durch den Feudalismus und die religiöse Finsternis des Mittelalters abgelöst“, setzte Weda fort. „Aber was ist Ihnen noch unklar?“
„Ich kann mir unter dem Begriff kretisch-indische Kultur kaum etwas vorstellen.“
„Sie kennen also die neuesten Forschungsergebnisse noch nicht! Spuren dieser Kultur wurden in dem ausgedehnten Gebiet von Amerika über Kreta, das südliche Zentralasien und Nordindien bis nach Westchina gefunden.“
„Ich hätte nie gedacht, daß es in so alter Zeit bereits Verstecke für Kunstschätze gab, wie wir sie von Karthago, Griechenland oder Rom kennen.“
„Fahren Sie mit mir, und Sie werden es sehen“, sagte Weda leise.
Dar Weter ging eine Weile stumm neben ihr her. Sie kletterten auf einen sanft ansteigenden Hügel. Auf der Spitze blieb Dar Weter plötzlich stehen.
„Ich danke für die Einladung. Ich fahre mit.“
Weda sah ihn ein wenig ungläubig an, doch in der nächtlichen Dämmerung waren die Augen ihres Begleiters schwarz und undurchdringlich.
Auf dem Hügel stellten sie fest, daß sie den Lichtern schon sehr nahe waren. Die Lampen in den polarisierenden Glocken zerstreuten das Licht nicht und schienen deshalb weiter entfernt. Die konzentrische Beleuchtung ließ erkennen, daß hier nachts gearbeitet wurde. Immer stärker wurde das Heulen der Hochspannung. Die Konturen eines Zauns schimmerten silbrig im bläulichen Licht der hochhängenden Lampen. Sirenengeheul veranlaßte die beiden stehenzubleiben — der automatische Wächter war in Tätigkeit getreten.
„Vorsicht! Links halten! Kommen Sie den Pfählen nicht zu nahe!“ brüllte ein unsichtbarer Lautsprecher. Gehorsam schritten sie auf die fahrbaren weißen Häuschen zu.
„Blicken Sie nicht zu dem Feld hinüber!“ fuhr der fürsorgliche Automat fort.
In zwei der Häuschen gingen gleichzeitig die Türen auf, zwei Lichtkegel kreuzten sich auf dem dunklen Weg. Freudig begrüßten mehrere Männer und Frauen die Forscher und zeigten sich über ihre — zumal bei Nacht — unvollkommene Art der Fortbewegung höchst verwundert.
In engen Kabinen erfrischten sich die beiden Reisenden unter einer Dusche von aromatischem Wasser, das mit Kohlensäure und Elektrizität angereichert war, und ließen sich anschließend mit punktförmigen elektrischen Entladungen massieren.
Zum Essen trafen sie sich dann wieder.
„Stellen Sie sich vor, Dar, wir sind bei Kollegen zu Gast!“
Weda goß ein goldgelbes Getränk in schmale Gläser, die sofort beschlugen.
„Hier läßt sich’s leben!“ sagte Dar Weter fröhlich und langte nach seinem Glas.
„Bezwinger des Stiers, Sie sind in der Steppe verwildert“, protestierte Weda. „Ich erzähle Ihnen eine interessante Neuigkeit, Sie aber denken nur an Essen und Trinken.“
„Hier Ausgrabungen?“ meinte Dar Weter zweifelnd.
„Ja, aber keine archäologischen, sondern paläontologische. Sie untersuchen die fossile Fauna des Perms — zweihundert Millionen Jahre sind seitdem vergangen. Dagegen komme ich mir mit unseren wenigen Jahrtausenden erbärmlich vor.“
„Sie untersuchen, ohne erst zu graben? Wie ist denn das möglich?“
„Ja. Aber wie sie das machen, habe ich noch nicht erfahren können.“
Ein hagerer gelbhäutiger Mann, der mit ihnen am Tisch saß, mischte sich ins Gespräch: „Unsere Gruppe löst jetzt eine andere ab. Die Vorbereitungsarbeiten sind abgeschlossen, und wir beginnen jetzt mit der Durchleuchtung.“
„Mit elektromagnetischer Strahlung?“ fragte Dar Weter.
„Ja. Wenn Sie nicht zu müde sind, sehen Sie sich das an. Morgen werden wir schon wieder an einem anderen Ort arbeiten, aber dort ist es wenig interessant.“
Weda und Dar Weter stimmten erfreut zu. Ihre freundlichen Gastgeber standen vom Tisch auf und führten sie in das Haus nebenan. Dort hingen mehrere Schutzanzüge, jeweils in Nischen mit einem Geigerzähler darüber.
„Die Ionisation unserer großen Röhren ist sehr stark“, sagte, leicht entschuldigend, eine etwas gebeugte Frau, die Weda in den dichtgewebten Anzug und den durchsichtigen Helm half und die Taschen mit den Batterien auf ihrem Rücken befestigte.
In dem polarisierten Licht zeichnete sich jede kleine Erhebung in dem hügeligen Steppengelände unnatürlich deutlich ab. Hinter dem dünnen Zaun, der um ein quadratisches Feld gezogen war, ertönte dumpfer Lärm. Die Erde hob sich und riß auf zu einem Trichter, aus dem ein spitz zulaufender glänzender Zylinder auftauchte. Um seine polierte Wandung ringelte sich ein Spiralkamm, und an seinem Vorderende drehte sich eine komplizierte Elektrofräse aus bläulichem Metall. Der Zylinder schlängelte sich über den Trichterrand hinweg und grub sich wenige Meter entfernt mit der blanken Spitze fast senkrecht wieder in den Boden, wobei die Schaufeln an seinem hinteren Ende nur kurze Zeit sichtbar waren.
Der Zylinder zog zwei Kabel hinter sich her, ein isoliertes und ein blankes. Weda berührte Dar Weters Arm und zeigte auf einen Punkt jenseits des Magnesiumzauns. Dort wand sich ein zweiter, ebensolcher Zylinder aus dem Erdreich, schlängelte sich nach links und tauchte nach wenigen Metern wieder in den Boden wie in Wasser.
Ihr gelbhäutiger Begleiter forderte sie durch ein Zeichen zur Eile auf.
„Jetzt weiß ich, wer das ist“, flüsterte Weda, während sie der vorausgegangenen Gruppe nacheilten. „Das ist Ljau Lan, der Paläontologe. Er hat das Rätsel um die Besiedlung des asiatischen Festlandes im Paläozoikum gelöst.“
„Er ist chinesischer Abstammung?“ fragte Dar Weter und dachte an den dunklen Blick der schräggestellten Augen des Wissenschaftlers. „Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich seine Arbeiten nicht kenne.“
„Ich sehe schon, Sie haben wenig Ahnung von der Paläontologie unseres Planeten“, entgegnete Weda. „In der Paläontologie anderer Welten kennen Sie sich wahrscheinlich besser aus.“
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