„Hallo, Tommeee, wie gehss dir, Junnge?“ Er zwinkerte. Er blies mir seinen Atem ins Gesicht. „Guter alter Tommeee. Lass unsss tanssen, Tommeee!“
„Mirrik, du bist ja sternhagelvoll!“ tadelte ich ihn.
„Unssinn.“ Mit seinen Stoßzähnen knuffte er mich scherzhaft in die Rippen. „Tanssen! Tanssen!“
Ich sprang zurück. „Wo hast du Blumen gefunden?“
„Blummen gibss hier nich. Binn einnfach nnur glückkklich!“ Seine Schnauze war von den Pollen der Mexiko-Sterne goldfarben bestäubt. Ich runzelte die Stirn und wischte es fort. Mirrik kicherte erneut. „Halt still, du überdimensionaler Ochse!“ sagte ich. „Wenn dich Dr. Horkkk so sieht, zieht er dir das Fell über die Ohren!“
Beim Laboratorium wollte Mirrik haltmachen, um mit Pilazinool über Philosophie zu diskutieren. Ich redete ihm das aus. Dann begann es zu regnen, was ihn ein wenig ernüchterte. Soweit jedenfalls, daß er begriff, in Schwierigkeiten geraten zu können, wenn ihn einer der Chefs entdeckte. „Geh mit mir spazieren, bis mein Kopf wieder klar wird“, sagte er, und ich erfüllte ihm seinen Wunsch. So diskutierten wir über die Entwicklung religiöser Mystik, bis er wieder ganz bei Verstand war. „Ich schäme mich für meine Schwäche, Tom“, sagte er bekümmert, als wir zum Lager zurückkehrten. „Aber ich glaube, durch deine Hilfe kann ich der Versuchung nun widerstehen. Ich werde dem Fleckchen mit den Mexiko-Sternen nicht noch einmal einen Besuch abstatten.“ Am nächsten Tag kam er ebenfalls betrunken zurück. Ich war im Laboratorium und reinigte und sortierte die letzte Förderung von zerbrochenen Inschriftsknoten und verbeulten Plaketten, als draußen eine Stimme zu dröhnen begann:
„Komm, füll dden Kelch, und ddie Frühlingsssflamme
Sssollen die Kühle dess Winterss verbannen;
Der Vogel dder Zseit,
er musss nur noch eine kursse Sstrecke fliegen,
Der Vogel dder Zseit,
er wird den Winter bessiegen.“
„Es ist das Ruba’ijat!“ [5] Ruba’ijat: Titel der Dichtung von Omar Chajjam oder deren freie Übersetzung von Edward Fitz-Gerald ( Anm. d. Übers. )
rief Jan, als sie eintrat. „Es ist Mirrik!“ keuchte ich. Dr. Horkkk sah finster von seinem Computer-Terminal auf.
Dr. Schein runzelte die Stirn. 408b gab seinem Widerwillen mit einem undeutlichen Murmeln Ausdruck — es konnte solche Laster einfach nicht begreifen. Mirrik fuhr fort:
„Ein Bissssen für ddie Pracht diessess Ortesss,
Ein Seufssen für dass Paradiess dess Propheten Wortess;
Oh, nimm dass Geld und lasss dden Rubel rollen,
Und achte nicht auf dasss ferne Dröhnen der Trommeln!“
Jan und ich stürzten aus dem Laboratorium heraus und entdeckten Mirrik, der mit seinen Stoßzähnen den Boden vor dem Gebäude durchwühlte.
Hinter seinen Ohren ragten zerknitterte Blüten von Mexiko-Sternen hervor, und sein ganzes Gesicht war mit Pollen bestäubt. Einen Augenblick lang sah er mich betrübt an, als versuche ein nüchterner Mirrik, hinter der betrunkenen Maske zum Vorschein zu kommen. Dann kicherte er wieder und fuhr fort:
„Oh, meine innig geliebte Maidd, ssso füll dden Kelch mit Wwein,
Der ddas Heute befreit von vergangenem Leid und ssukünftiger Ppein:
Mmorrrrgen! — Jja, morgen musss ich die Wwelt wieder meisstern,
nach den sssiebentaussend Jahren des Gessstern.“
„Morgen bist du vielleicht schon auf dem Weg nach Hause“, sagte ich scharf. „Um Omar Chajjans willen, den du hier so vergewaltigst, verschwinde von hier! Wenn Dr. Horkkk dich so sieht…“
Zu spät.
In jener Nacht hatte Mirrik eine lange Unterredung mit unseren Chefs, die sich darum sorgen, eines Tages könne er wirklich den Verstand verlieren und das ganze Lager dem Boden gleichmachen. Ein betrunkener und herumtollender Dinamonianer ist so wenig ungefährlich wie eine umherschwirrende Cruise Missile, und wenn Mirrik nicht die Finger von den Mexiko-Sternen lassen könne, würde er fortgeschickt. 408b hatte einen reizenderen Vorschlag: Man solle Mirrik einfach wie einen widerspenstigen Stier anketten, wenn er nicht arbeitet. Unser guter alter 408b findet immer sofort die humanste Lösung.
Die meisten von uns versuchen Mirrik zu helfen, wenn er betrunken ins Lager zurückkehrt. Wir gehen mit ihm spazieren, bis er nüchtern ist, oder wir führen ihn von den Aufblashütten weg, wenn er versucht, sie zu betreten, oder wir schützen ihn auf andere Art und Weise vor sich selbst. Aber wir machen uns nichts vor. Dr. Schein und Dr. Horkkk sind beide besorgt in dieser Angelegenheit. Und wenn die beiden in irgend etwas übereinstimmen, dann bedeutet das Ärger.
Leroy Chang glaubt übrigens, ich hätte eine Liebesaffäre mit Jan. Das ist wirklich komisch.
Ich gebe zu, eines Nachts habe ich mit ihr einen langen Spaziergang gemacht. Und einige kleinere Streifzüge. Kann ich etwas dafür, wenn ich ihre Gesellschaft zu schätzen weiß? Sie ist die einzige menschliche Frau hier… ähem, ich meine, Kelly Wachmann nicht mitgezählt! Jedenfalls ist sie hier die einzige Person meines Alters, Steen Steen ausgenommen, der/die mich nicht besonders interessiert, und sie ist das einzige Mädchen hier — Kelly ist über neunzig und außerdem ein Android —, und ich habe mit ihr mehr gemeinsam als etwa mit 408b oder Dr. Horkkk. Also ist es ganz verständlich, wenn ich dazu neige, die Zeit mit ihr zu verbringen.
Aber eine Liebesaffäre?
Leroy ist eifersüchtig auf seine Phantasie. Er ist einer dieser nervösen Junggesellen, die den Frauen krampfhaft nachjagen — meistens ohne viel Glück —, und seine Erfolgsaussichten bei Jan sind gleich Null. Sie hält ihn — ziemlich treffend — für einen Widerling. Da er das nicht als Erklärung für seinen mangelnden Erfolg bei ihr akzeptieren kann, hat er eine bessere gefunden: Ich sei jünger und schlanker und dünner als er, und deshalb sei Jan in ihrer nachpubertären Oberflächlichkeit mir zugefallen.
Die Art, wie er seinen Verdruß mir gegenüber zum Ausdruck bringt, besteht darin, mich in die Seite und die Rippen zu knuffen und zu sagen: „Ihr beiden hattet ein paar feurige Stunden letzte Nacht, eh? Darauf wette ich! Du bist wirklich ein biologischer Artist, eh, mein Jungchen?“
„Nun mach mal halblang, Leroy“, antworte ich. „Jan und ich haben nicht die gleiche Wellenlänge.“
„Und das behauptest du auch noch mit einem ehrlichen Gesicht. Aber du kannst mich nicht an der Nase herumführen. Wenn du sie zurückbringst, hat sie diesen erhitzten und aufgeregten Ausdruck im Gesicht — und ein Mann von Welt wie ich weiß dann sehr gut, was ihr getrieben habt.“
„Für gewöhnlich unterhalten wir uns über die Funde des Tages.“
„Aber natürlich! Natürlich!“ Er senkt seine Stimme. „Hör mal, Tommy, ich kann dir keinen Vorwurf machen, wenn du deiner Leidenschaft soweit wie möglich freien Lauf läßt, aber hab’ doch auch ein Herz! Es gibt noch andere Männer bei dieser Expedition, und Frauen sind knapp.“ Ein plumpes Zwinkern. „Macht es dir etwas aus, wenn ich sie in einer der kommenden Nächte hinter die Felsen abschleppe?“
Ja, das bin ich, Tom Rice, der egoistische junge Mann, der das Frauenmonopol an sich gerissen hat! Hättest du dir das vorstellen können? Es gibt keine taktvolle Möglichkeit, Leroy zu erklären, daß er selbst sein schlimmster Feind ist, was seine bisherige Beziehung zu Jan angeht, daß ihn Jan vielleicht sogar ein wenig erdulden könnte, wenn er nicht so gierig und besessen und lüstern und vulgär wäre. Es ist ganz gewiß nicht so, daß ich all ihre Zuneigung für mich beanspruche, denn meine Beziehungen zu Jan sind die von Bruder zu Schwester, was immer Leroy auch denken mag.
Nun… mehr oder weniger jedenfalls…
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