Sie bohrte ihm die Faust in die Magengrube. Leroys Gesicht lief purpurfarben an. Er faltete sich zusammen und warf sein Verzeichnis in die Grube. Jan nahm die Beine in die Hand und lief durch den Regen davon. Leroy folgte ihr und rief Worte wie: „Jan! Jan! So laß mich doch erklären!“
„Wir sind ungestört“, sagte ich zu Kelly und Mirrik. „Graben wir weiter!“
Also gruben wir weiter, unbehindert. Kelly bohrte nun unterhalb der Kugel, und ich überprüfte sie vorsichtig und versuchte, sie aus ihrer Einbettung freizurütteln. Aber es klappte nicht. Mirrik gab ihr ebenfalls einen behutsamen Stoß. Daraufhin neigte sie sich ein wenig zur Seite, verblieb ansonsten aber an Ort und Stelle. Wir konnten sehen, daß es sich um ein Prachtexemplar von Artefakt handelte, so groß, daß ich es kaum mit den Armen umspannen konnte, und an der einen Seite mit allerlei Kontrolleinrichtungen bedeckt. Weitere fünf Minuten, schätzte ich, und wir hatten die Kugel freigelegt.
„Warte“, sagte Mirrik. „Ich glaube, genau in diesem Augenblick sollte ich für den Erfolg unserer Arbeit beten.“
Mirrik machte das oft. Er ist sehr religiös, weißt du. Als Paradoxist verehrt er die gegensätzlichen Kräfte des Universums, und er platzt immer dann mit Gebeten heraus, wenn diese Kräfte besänftigt werden müssen, was ziemlich oft der Fall ist. Kelly zog ihren Bohrer zurück, und Mirrik kniete sich demütig in der Grube nieder, faltete seine riesigen Beine unter seinem massigen Körper zusammen und lehnte seine Stoßzähne an die Kugel. Er begann, in Dinamonianisch zu seufzen und zu stöhnen. Später bat ich ihn, mir das Gebet zu übersetzen, und er nannte mir diese Version:
„O Herr der Konfusionen und des Kummers, steh uns bei.
O Du, dessen Sein wir bezweifeln, bezweifle uns nicht gerade jetzt.
O Regent des Unregierbaren, o Schöpfer des Unschöpfbaren,
o Sprecher der Wahrheit, der Du lügst, laß unseren Geist wachsam sein und unsere Augen scharf.
O enthülltes Mysterium, o tugendhafte Schlechtigkeit,
o Dunkelheit im Licht, tröste uns und führe uns und geleite uns.
Laß uns keine Fehler machen.
Auf daß wir kein Bedauern empfinden.
Sei nun bei uns wie am ersten und am letzten aller Tage.
Du Hüter von Schicksalen und Zerschmetterer von Mustern,
gib uns Deine Gnade,
denn im Haß liegt die Liebe, in Blindheit liegt
Sehen, in Falschheit liegt Aufrichtigkeit.
Amen. Amen. Amen.“
Du stimmst sicher mit mir überein, daß dies eine seltsame Art von Gebet ist. Und eine seltsame Art von Religion ebenfalls. Das Problem mit den Fremden besteht darin, daß sie dazu neigen, so fremdartig zu sein. Aber ich habe Mirrik darum gebeten, mir an einem der nächsten Tage den Paradoxismus zu erklären, und vielleicht macht er das.
Als er sein Gebet beendet hatte, schob er sich zurück, bohrte seine Stoßzähne unter die große Kugel, gab ein enthusiastisches Ächzen von sich und stieß zu. Die Kugel zitterte ein wenig. Er stieß erneut zu. Die Kugel zitterte stärker.
„Her mit dem Bohrer!“ schrie ich. „Kratz einfach diese kleine Steinkruste weg, und wir haben’s geschafft!“
Mit einer Art von glücklichem Wahnsinn, der uns drei am Boden der Grube erfaßt hatte, zerrten wir, gruben mit den Stoßzähnen und bohrten. Wir behinderten uns gegenseitig, rangen um den besten Platz und grapschten nach der Kugel, was zusammen ein idiotisches Bild erster Güteklasse ergab. Wir glaubten, die Kugel nun freizubekommen, doch sie war fester eingebettet, als wir angenommen hatten, und wir waren erschreckend nahe daran, sie zu beschädigen in unserer verrückten Hast, sie freizulegen.
Plötzlich sagte eine frostige und dünne und wütende Stimme:
„Was macht ihr da? Ihr Idioten! Ihr Vandalen! Ihr Verbrecher!“
Ich sah hinauf. Dr. Horkkk starrte zu mir herunter. Seine Augen waren rot unterlaufen vor Zorn und fünfmal so groß wie sonst. Er gestikulierte mit allen seinen Armen zugleich und hüpfte auf drei Beinen herum, während er sich mit dem vierten selbst heftige Tritte versetzte: ein Verhalten, das bei den Bewohnern von Thhh helle Aufregung zum Ausdruck bringt. Sowohl sein Eß- als auch sein Sprechmund waren vor Wut weit aufgesperrt.
„Wir haben diese Kugel gefunden“, erklärte ich, „und jetzt versuchen wir, die Sandsteinschicht beiseite zu schaffen, und…“
„Ihr werdet alles zugrunde richten! Dummköpfe! Mörder!“
„Nur noch einen Augenblick, Dr. Horkkk, dann haben wir’s geschafft.“
Du mußt wissen, daß während meiner Diskussion mit Dr. Horkkk Mirrik und Kelly und ich unsere Bemühungen, die Kugel freizulegen, fortsetzten. Womöglich noch eiliger und hastiger, als hinge das Schicksal des Universums davon ab, ob wir die Kugel innerhalb der nächsten zwei Minuten aus dem Gestein herausholten. Dr. Horkkk kreischte und schrie und sprang herum. Ich hörte ihn undeutlich sagen: „… oder ich werde Sie alle drei rauswerfen!“
Andere Gesichter starrten nun in die Grube hinab. Ich warf einen Blick über die Schulter und erkannte Pilazinool, 408b, Saul Shahmoon und Jan. Halb verrückt vor Zorn, konfiszierte Dr. Horkkk Pilazinools Bein und zeigte damit auf uns, während er sich mit einem Schwall von Worten ereiferte, bei denen es sich, wie ich vermute, um die thhhianische Sprache handelte. Pilazinool versuchte ihn zu beruhigen.
Dr. Schein tauchte auf, erfaßte die Lage und sprang zu uns in die Grube herab.
Die seltsame, berserkerartige Besessenheit, die uns überwältigt hatte, löste sich in dem Augenblick auf, als er auf der Bildfläche erschien. Kelly ließ ihren Bohrer sinken, Mirrik kroch von der Kugel fort, und ich richtete mich auf und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
„Was haben wir denn hier?“ fragte Dr. Schein freundlich.
„Ein… äh, Artefakt, Sir…“ murmelte ich.
„Höchst ungewöhnlich. Höchst ungewöhnlich. Aber warum deshalb die Eile?“
„Ich weiß nicht, Sir. Wir wurden einfach… mitgerissen…“
„Nun, wir wollen doch aber nicht mitgerissen werden, oder? Wir müssen nach einem systematischen Verfahren vorgehen, wie Dr. Horkkk bereits sagte. Ich verstehe Ihre Begeisterung, aber dennoch…“ Er runzelte die Stirn. „Wer führt das Verzeichnis bei dieser Schicht?“
„Leroy Chang“, antwortete ich.
„Wo ist er?“
Ich wußte nicht, was ich darauf sagen sollte, also sagte ich gar nichts. Ich starrte zu Jan hinauf, und sie lächelte grimmig. Ihre Kleidung war ein bißchen zerknittert, und sie war durchnäßt von ihrer Flucht durch den Regen, aber sie blinzelte mir zu. Wie ich bereits erwähnte: Jan kann sehr gut auf sich selbst aufpassen.
„Wo ist Professor Chang?“ wiederholte Dr. Schein.
„Er hat die Fundstelle vor etwa zehn Minuten verlassen“, gab ich zurück Dr. Schein sah sich verwirrt um, dann tat er diesen Umstand mit einem Achselzucken ab und hob das Verzeichnis auf. „Dann lassen Sie uns jetzt weitermachen“, sagte er. „Ich führe die Aufsicht. Beenden Sie die Freilegung der Kugel… in aller Ruhe.“
Unter den aufmerksamen Blicken aller anderen und einem Dr. Schein, der das Tempo bestimmte, brachten wir die Arbeit auf fachgerechtere Weise zu Ende. Ich war verlegen und fühlte mich schuldig für die verrückte Hast, und als Dr. Horkkk in die Grube hüpfte, um die Kugel näher zu betrachten, brachte ich es nicht fertig, ihm in die Augen zu sehen. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, die Kugel aus dem Gestein herauszulösen. Pilazinool, Dr. Schein und Dr. Horkkk diskutierten an Ort und Stelle über den Fund. Sie waren sich darin einig, es mit einer Art Maschine der Erhabenen zu tun zu haben, aber sie wußten genausowenig wie ich, welchem Zweck sie gedient hatte. Niemand beglückwünschte mich dafür, den seit der Entdeckung der ersten Lagerstätte von Erhabenen-Artefakten wichtigsten Fund auf diesem Gebiet gemacht zu haben. Ich selbst bin auch nicht gerade stolz auf mich, wenn ich an die idiotische Art und Weise denke, mit der ich die Ausgrabungsarbeit vorangetrieben habe.
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