Jan entstammt einer langen Ahnenreihe von Diplomaten. Ihr Großvater war vor sechzig Jahren unser Botschafter auf Brolagon, und er verliebte sich dort in ein einheimisches Mädchen. Sie heirateten und hatten vier Kinder, und eins von ihnen war Jans Vater. Der seinerseits eine Schwedin ehelichte. Doch die brolagonianischen Gene sind nun für immer in der Familie.
Jan zeigte mir einige Merkmale ihres gemischten Blutes. Ich muß schamhaft eingestehen, daß sie mir vorher überhaupt nicht aufgefallen sind.
„Ich habe dunkle Augen“, sagte sie. „Statt blaue, die den blonden Haaren entsprächen. So außergewöhnlich ist das aber eigentlich nicht. Dies hingegen schon.“ Sie öffnete ihre Sandalen. Sie hatte sechs Zehen an jedem Fuß. Reizende Zehen noch dazu. Aber sechs. „Außerdem habe ich vierzig Zähne“, fuhr sie fort. „Du kannst sie zählen, wenn du mir nicht glaubst.“
„Ich glaube dir auch so“, sagte ich, als sie mir ein dentales Gähnen zeigte.
„Meine inneren Organe sind ebenfalls ein wenig verschieden. Ich habe keinen Dickdarm. Das kannst du mir ebenfalls glauben. Der brolagonianische Verdauungsvorgang unterscheidet sich von deinem. Ich besitze auch das brolagonianische Muttermal; es ist genetisch dominant und tritt bei allen Brolagonianern auf, auch bei Mischlingen. Es ist ein recht hübsches Muttermal, eine Art geometrisches Muster in einem ungewöhnlichen Farbton, und wenn ich jemals auf einem von Brolagonianern beherrschten Planeten in Schwierigkeiten geraten sollte, dann brauche ich nur dieses Muttermal zu zeigen — es ist ebenso gut wie ein brolagonianischer Paß.“
„Kann ich es sehen?“ fragte ich.
„Sei kein Lüstling. Es befindet sich an einer peinlichen Stelle.“
„Ich bin nur aus rein wissenschaftlicher Neugier interessiert. Außerdem gibt es keine peinlichen Stellen, nur peinliche Leute. Ich wußte nicht, daß du so prüde bist.“
„Bin ich auch nicht“, sagte Jan. „Aber ein Mädchen muß ein bißchen sittsam sein.“
„Warum?“
„Gemeiner Kerl!“ sagte sie, aber es klang nicht sehr ärgerlich.
Also konnte ich ihr Muttermal nicht sehen.
Aber es macht mich froh zu wissen, daß sie eins hat. Vielleicht hältst du mich für extravagant, aber ich bin sehr angetan von der Neuigkeit, daß Jan nicht ganz menschlich ist. Es erscheint mir so langweilig, sich nur auf die Mädchen der eigenen Spezies zu beschränken.
Natürlich ist sie noch immer schrecklich in Saul Shahmoon verliebt. Zumindest behauptet sie das. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es ernst meint. Ich küßte sie, nur als wissenschaftliches Experiment. Um herauszufinden, ob ein Mädchen, das zu einem Viertel Brolagonianerin ist, auf exotische Weise küßt.
Ich habe überhaupt nichts Brolagonianisches an ihrer Art zu küssen entdeckt. Und in Anbetracht der Tatsache, daß sie nach wie vor an ihrer unerwiderten Liebe zu Saul leidet, war sie sogar mit erstaunlichem Enthusiasmus bei der Sache. Vielleicht verliert sie die Geduld mit ihm. Vielleicht hat die Tätschelei mit Leroy heute morgen ihren Geschlechtstrieb zeitweilig erschüttert. Vielleicht…
Ich werde all dieses Zeug ganz bestimmt löschen, bevor sich Lorie den Wüfel anhört. Ich spreche in diesem Augenblick nur noch zu mir selbst. Und diese Methode ist so gut wie jede andere, um seine Gefühle und Empfindungen und all die anderen Dinge eines Tages zu ordnen, an dem man nicht nur eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung gemacht, sondern sich darüber hinaus zumindest ein wenig in einen ungewöhnlichen und attraktiven weiblichen Sonderling verliebt hat. Doch ich möchte es Lorie nicht noch schwerer machen, indem ich ihr diese kleinen Streiflichter einer archäologischen Romanze zeige. Wie schrecklich es doch sein muß, für sein ganzes Leben lang in einem Krankenzimmer eingesperrt zu sein, mit einer Million verschiedener Überwachungsinstrumente, deren Sensoren an die Haut geklebt oder direkt mit dem Nervensystem verbunden sind, und zu wissen, man kann nie aufstehen, küssen oder geküßt werden, zu einer Verabredung gehen, heiraten, eine Familie haben, nichts! Sie hat ihre Telepathie… aber reicht das aus? Dies alles wird gelöscht.
Heiliger Strohsack! Mirrik galoppiert gerade heran. Er muß vor einigen Stunden mit dem Graben aufgehört haben und zum Mexiko-Stern-Wäldchen gegangen sein, um sich ein wenig zu erfrischen, denn er ist so voll, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Mit Donnergetöse kommt er dahergerannt, mit glänzendem, schweißnassen Körper, und er brüllt etwas, bei dem es sich vermutlich um dinamonianische Poesie handelt. In diesem Augenblick stampft er direkt vor dem Laboratorium eine Art Kriegstanz. Ich gehe besser rüber und führe ihn weg, bevor…
Oh, nein!
Er geht ins Laboratorium hinein! Ich kann es dort drüben poltern und krachen hören!
Eine Stunde später. Mirrik hat ein ziemliches Durcheinander angerichtet, aber daran verliert im Augenblick niemand einen Gedanken. Denn es hat sich herausgestellt, daß die Maschine, die ich gefunden habe, noch immer funktionsfähig ist. Sie stellt eine Art Filmprojektor dar.
Der genau in diesem Augenblick eine Milliarde Jahre alte Bilder von den Erhabenen und ihrer Zivilisation zeigt.
6. September 2375
Higby V
Mirrik hat das Glück eines Narren. Normalerweise hätten die Kapriolen des gestrigen Nachmittags sein Schicksal besiegelt. Statt dessen ist er dadurch auf verrückte Art und Weise zu einem Helden geworden, denn jetzt vergeben ihm alle seine vergangenen Sünden.
Es sah nach einer Katastrophe aus, als er ins Laboratorium geschneit kam. Beim Laboratorium handelt es sich zunächst einmal um eine kleinere Aufblashütte, die als Arbeitsplatz eingerichtet ist, und sie bietet nicht die räumlichen Voraussetzungen für das Herumtollen eines betrunkenen Dinamonianers. Als ich hinzukam, versuchte Mirrik gerade, sich auf die Hinterbeine aufzurichten, was für ein Geschöpf mit der Statur eines Rhinozeros ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Mit jedem plumpen Satz wischte er Gegenstände von Tischen und zerschmetterte sie. Dr. Horkkk war an die Decke der Blashütte gekrabbelt und klammerte sich dort erschrocken fest. 408b saß oben auf dem Computer. Dr. Schein hatte einen der kleinen Laser gepackt und hielt ihn wie eine tödliche Waffe in der Hand. Und Pilazinool schraubte hastig seine Beine wieder an und bereitete sich zur Selbstverteidigung vor. Mirrik versuchte lautstark zu erklären, daß er im Mexiko-Stern-Wäldchen eine tiefgründige, geistige Erfahrung gemacht hatte. „Ich habe Einblick gehabt in wirkliche Weisheit!“ brüllte er. „Ich habe die Offenbarung gesehen!“
Er wirbelte herum, und sein Schwanz schleuderte meine Erhabenen-Kugel zu Boden.
Sie prallte zurück. Sie gab ein protestierendes, durchdringendes Knirschen von sich.
Und sie schaltete sich ein. Mirrik hatte einen festgeklemmten Schalter gelöst.
Zunächst wußten wir das nicht. Wir konnten nicht verstehen, was geschah. Mirriks gewaltiges Hinterteil war plötzlich grün anstatt so blau wie sonst, und auf seiner Haut begannen Bilder zu erscheinen und sich zu bewegen. Das war völlig rätselhaft. Doch einen Augenblick später begann ich zu begreifen, daß er als Leinwand für projizierte Abbildungen diente und daß die Bilder aus der Kugel stammten.
Dann erweiterte sich der Projektionsbereich und umfaßte das ganze Laboratorium. Seltsame und bizarre Gestalten glitten über die Wände, flossen auseinander und wieder zusammen. Beängstigende Szenerien schimmerten in der Luft.
„Raus hier!“ befahl Dr. Schein. „Alle raus! Schnell!“
Durch die Art und Weise, wie er dies sagte, gewann ich den Eindruck, irgend etwas drohe zu explodieren. Mirrik muß das ebenfalls angenommen haben, denn er wandte sich um und floh in vollem Galopp. Wir anderen folgten ihm, bis auf Dr. Schein, Dr. Horkkk und Pilazinool, der die Tür des Laboratoriums hinter uns zuknallte und verriegelte. Draußen bildeten wir wie benommen eine kleine Gruppe und versuchten zu verstehen, was passiert war. Mirrik war dadurch sogar wieder nüchtern geworden. Er schwankte umher, ließ sich zu Boden fallen, schüttelte den Kopf und klopfte mit den Stoßzähnen.
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