Als die Konferenz vertagt wurde, hob Mirrik die Kugel ehrfurchtsvoll mit seinen Stoßzähnen an — sie sei so schwer wie ein Mensch, behauptet er — und trug sie ins Laboratorium. Das war vor drei Stunden. Dr. Schein, Dr. Horkkk und Pilazinool sind während der ganzen Zeit drüben gewesen. 408b ist ebenfalls bei ihnen. Saul Shahmoon geht ein und aus. Jedesmal, wenn er wieder herauskommt, macht er einen aufgeregteren Eindruck als vorher, aber er verrät überhaupt nichts und sagt nur, bisher habe man noch nichts Bestimmtes herausgefunden.
Mirrik, Kelly, Steen Steen und Leroy Chang sind zur Ausgrabungsstelle zurückgekehrt. Leroys Gesicht ist ein bißchen verbeult, und er scheint ziemlich sauer darüber zu sein, wie die Dinge gelaufen sind. Jan und ich sind beauftragt worden, bis zum Nachmittag alles aufzuräumen, sie in ihrer Hütte und ich in meiner.
Das ist eine großartige Belohnung dafür, einen bedeutenden Fund gemacht zu haben, nicht wahr?
Zwei Stunden später. Die Konferenz im Laboratorium dauert noch immer an. Ich würde zu gern wissen, was dort drüben vor sich geht, aber wenn sie Lehrlinge dabeihaben wollten, dann hätten sie uns gerufen. Saul ist eine ganze Zeitlang nicht mehr herausgekommen. Die Gräber sind noch bei der Arbeit, aber sie haben nichts Ungewöhnliches mehr entdeckt. Wenn wir sie ließen, würden Kelly und Mirrik die ganze Nacht weitergraben. Als ich mit dem Aufräumen fertig war, ging ich zur anderen Aufblashütte, um mit Jan zu sprechen.
Sie war weniger an einer Diskussion über die seltsame, uralte Kugel interessiert als daran, über Leroy Chang und sein unschickliches Verhalten zu sprechen. Ich würde sagen, so sind die Mädchen eben, aber damit beleidigte ich dich wahrscheinlich, und außerdem bin ich mir dessen nicht ganz sicher.
„Du hast gesehen, wie er an mir herumgetätschelt hat“, warf mir Jan vor. „Warum hast du nicht irgend etwas unternommen?“
„Mir ist nicht aufgefallen, daß er dich ernsthaft bedrängte.“
„Ernsthaft? Hätte es überhaupt noch ernsthafter sein können? Er hat mir praktisch die Kleidung vom Leib gerissen!“
„Der gute, alte Leroy. Er kennt sich wirklich damit aus, wie man ein Mädchen rumkriegt.“
„Sehr witzig. Angenommen, er hätte mich vergewaltigt…“
„Er kam dir nicht nahe genug, um das zu bewerkstelligen, oder?“
„Nein. Ich danke dir vielmals. Während ich um Hilfe geschrien habe, warst du unten in der Grube nur wie verrückt am Graben.“
„Weißt du“, gab ich zurück, „man sagt, eine Vergewaltigung sei eigentlich nicht möglich, es sei denn, das Opfer kooperiert. Ich meine, die Frau muß sich nur verteidigen, und wenn sie über normale Körperkraft verfügt und es sich bei ihrem Angreifer nicht gerade um eine Art Supermann handelt, dann sollte sie in der Lage sein, ihn abzuwehren. Wenn es also zu einer Vergewaltigung kommt, dann deshalb, weil die Frau entweder vor Angst gelähmt ist oder sie insgeheim vergewaltigt werden möchte. Übrigens kann ich mich nicht daran erinnern, dich schreien gehört zu haben.“
„Ich finde deine Sandkasten-Psychologie nicht sonderlich überzeugend“, sagte Jan. „Ich weiß nicht, woher du diese blöde Theorie hast, aber du kannst mir glauben, so einfach ist es nicht. Wie die meisten Männer hast du nicht die blasseste Ahnung davon, wie eine Frau solche Dinge sieht.“
„Ich vermute, du bist schon ein paarmal vergewaltigt worden, so daß du alles darüber weißt.“
„Können wir das Thema wechseln? Ich kann mir einige hunderttausend Dinge vorstellen, über die ich lieber mit dir sprechen würde. Und um deine Frage zu beantworten: Nein, ich bin nicht vergewaltigt worden, und ich habe auch kein Verlangen danach, danke vielmals.“
„Wie hast du Leroys Absicht vereitelt?“
„Ich hab’ ihm ins Gesicht geschlagen. Es war keine Ohrfeige. Es war ein Schlag. Dann hab’ ich getreten.“
„Und er gab auf. Was meine Theorie beweist, daß…“
„Wir wollten das Thema wechseln.“
„Du hast zuerst von Vergewaltigung zu sprechen begonnen“, sagte ich.
„Ich will dieses Wort nicht mehr hören!“
„In Ordnung.“
„Und ich meine noch immer, es war gemein von dir, einfach weiterzugraben, als Leroy mich zu… attackieren begann.“
„Ich bitte um Entschuldigung. Ich war ganz besessen von dem, was ich tat.“
„Was war dieses Ding überhaupt?“
„Das würde ich selbst gern wissen“, sagte ich. „Sollen wir zum Laboratorium rübergehen, um zu sehen, ob sie inzwischen eine Antwort auf diese Frage gefunden haben?“
„Lieber nicht. Wir würden sie nur stören.“
„Wahrscheinlich hast du recht.“
„Es geht mir nicht darum, jetzt unbedingt herumzunörgeln, Tom“, sagte sie. „Es ist nur so, daß Leroy mir einen Schrecken eingejagt hat. Und als mir niemand zu Hilfe kam…“
„Willst du dich bei Dr. Schein über ihn beschweren?“
Sie schüttelte den Kopf. „Leroy wird mich nicht wieder belästigen. Es gibt keinen Grund, die Sache an die große Glocke zu hängen.“
Ich bewundere Jans Haltung. Und ich kann hier genausogut zugeben, daß ich Jan selbst ebenfalls bewundere. Was das betrifft, bin ich in meinen Hörbriefen bisher ein wenig flüchtig gewesen. Einerseits deshalb, weil ich nur ganz allmählich entdeckt habe, wie interessant ein Mädchen wie Jan in Wirklichkeit ist und wie anziehend auch in physischer Hinsicht und so. Andererseits deshalb — nun, verzeih mir, Lorie —, weil mir immer mulmig dabei zumute war, mit dir über mein Liebesleben zu diskutieren. Nicht etwa, weil es mich verlegen machte, dich an solchen Dingen teilhaben zu lassen, sondern weil ich fürchte, dich damit zu verletzen.
Nun, jetzt ist’s raus. Doch vielleicht lösche ich all dies aus dem Würfel, bevor ich ihn dir gebe.
Was ich dir zu sagen versuche ist folgendes: Ich möchte bestimmte Aspekte des Lebens, die dir aufgrund deiner physischen Verfassung verschlossen sind, nicht ansprechen. Wie Liebe und Heirat und so etwas. Es ist schon schlimm genug, daß ich ein körperlich aktives Leben führe, herumgehen und allerlei Dinge tun kann und du nicht. Aber du bist auch von all den gesellschaftlichen und emotionalen Aspekten ausgeschlossen — wie etwa sich zu verabreden oder zu verlieben oder eine zeitbegrenzte oder permanente Ehe einzugehen —, und mir ist unbehaglich zumute, dich an all dies zu erinnern, indem ich über meine eigenen Abenteuer mit Mädchen spreche. Und die sind umfangreich und zahlreich genug, trotz der Ansicht Mutters, in meinem Alter sollte ich mich ernsthafter nach einer dauerhaften Partnerin umsehen.
Ist das nicht großartig? Wie taktvoll ich dir erkläre, warum ich dir bestimmte Dinge nicht sagen möchte — wie ich mir so große Mühe gebe, dir zu erklären, daß ich dich nicht an Dinge erinnern möchte, an die ich dich trotzdem dauernd erinnere. Prima. Sobald ich einen etwas umständlicheren Weg gefunden habe, dir zu verdeutlichen, warum ich mich in solchen Dingen so unklar ausdrücke, werde ich diese Stelle im Würfel ganz bestimmt löschen.
Weißt du, warum ich jetzt interessierter an Jan bin, als ich es zu Beginn dieser Expedition war?
Nein, du Neunmalkluge, nicht deswegen, weil ich nach all diesen Wochen in arge Bedrängnis gerate. Sondern deshalb, weil sie mir letzte Woche erzählt hat, daß sie zum Teil nichtmenschlich ist. Ihre Großmutter war eine Brolagonianerin.
Irgendwie macht sie das ungewöhnlicher. Und begehrenswerter, als wenn sie nur eine gewöhnliche Schwedin wäre. Ein wenig Exotik hat mich schon immer fasziniert.
Brolagonianer sind humanoide Aliens, wie du weißt. Sie haben eine glänzende, graue Haut und mehr Zehen und Zähne als wir. Sie sind eine von rund sechs oder sieben Fremdrassen in der Galaxis, die sich aufgrund einer fast genau parallel verlaufenden Evolution erfolgreich mit dem Homo sapiens kreuzen können. Um eine erfolgreiche Vereinigung möglich zu machen, sind zahlreiche DNA-Manipulationen und andere Gentechniken erforderlich, aber es kann bewerkstelligt werden, und es ist bewerkstelligt worden, trotz der Agitation der Liga für Rassenreinheit und anderer reaktionärer Gruppen.
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