Auf der Grundlage des vorgelegten Beweismaterials ist kein Zweifel möglich, daß Sie diese Absicht weiter verfolgt hätten, ja, daß Sie es sogar zugelassen hätten, daß Ihr unschuldiges Opfer an Ihrer Stelle angeklagt, schuldig gesprochen und verurteilt worden wäre. Glücklicherweise ist es dank der Wachsamkeit anderer nicht dazu gekommen. Aber Ihrer Einkehr oder Ihrer >Reue< verdanken wir das keineswegs.«
Von seinem Platz mitten im Gerichtssaal aus konnte Nolan Wainwright Eastins Gesicht, das dunkelrot angelaufen war, zu einem Teil sehen.
Richter Underwood blätterte erneut in seinen Papieren, dann sah er auf. Wieder durchbohrte er den Untersuchungsgefangenen mit seinen Blicken.
»Damit hätte ich mich zu dem Teil geäußert, den ich für den verächtlichsten Ihrer Handlungsweise halte. Es gibt dann noch die eigentliche Tat selbst - Ihr Vertrauensbruch als verantwortlicher Bankmann, nicht nur in einem Einzelfall, sondern in fünf, zeitlich weit auseinanderliegenden Fällen. Bei einem einzigen derartigen Fall hätte man vielleicht noch von einer unbedachten impulsiven Handlung sprechen können. Für fünf sorgfältig geplante und mit kriminellem Geschick ausgeführte Diebstähle kann diese Entschuldigung jedoch nicht geltend gemacht werden.
Eine Bank hat als kommerzielles Unternehmen das Recht, von Angestellten, die - wie es bei Ihnen der Fall war - für eine besondere Vertrauensstellung ausgewählt werden, absolute Redlichkeit zu erwarten. Aber eine Bank ist mehr als nur ein kommerzielles Unternehmen. Sie ist ein Institut des öffentlichen Vertrauens, und deshalb hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, vor denjenigen geschützt zu werden, die dieses Vertrauen mißbrauchen - vor Individuen also, wie Sie eines sind.«
Der Blick des Richters wanderte zu dem jungen Verteidiger hinüber, der pflichtgemäß neben seinem Mandanten ausharrte. Jetzt wurde der Ton des Richters schärfer und formeller.
»Wäre dies ein gewöhnlicher Fall, und auch angesichts der Tatsache, daß Sie nicht vorbestraft sind, hätte ich auf Bewährung erkannt, wofür Ihr Verteidiger in der vorigen Woche so beredt plädiert hat. Aber dies ist kein gewöhnlicher Fall. Es ist aus den von mir genannten Gründen ein exzeptioneller Fall. Deshalb, Eastin, werden Sie ins Gefängnis gehen, wo Sie Zeit haben werden, über Ihre eigene Handlungsweise nachzudenken, die Sie dorthin gebracht hat.
Das Urteil des Gerichts lautet, daß Sie dem Gewahrsam des Justizministers für eine Dauer von zwei Jahren überstellt werden.«
Auf ein Kopfnicken des Gerichtsbeamten hin trat ein Strafvollzugsbeamter vor.
Wenige Minuten nach dem Urteilsspruch fand in einem der kleinen, verschlossenen und bewachten Zimmer hinter dem Gerichtssaal, die für Gefangene und deren Anwälte bereitstanden, eine kurze Besprechung statt.
»Als Wichtigstes müssen Sie sich vor Augen halten«, sagte der junge Anwalt zu Miles Eastin, »daß eine Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis keine zweijährige Gefängnishaft bedeutet. Nach Verbüßung eines Drittels der Strafe kommen Sie für eine Begnadigung in Frage. Das heißt also, schon nach weniger als einem Dreivierteljahr.«
Miles Eastin, versunken in Elend und Unwirklichkeit, nickte stumpf.
»Sie können natürlich Berufung gegen das Urteil einlegen, und Sie brauchen sich jetzt noch nicht zu entscheiden. Aber offen gesagt, ich würde Ihnen nicht dazu raten. Einmal glaube ich nicht, daß man Sie bis zur Berufungsverhandlung auf freien Fuß setzen würde. Zweitens haben Sie sich schuldig bekannt, was die Möglichkeiten einengt, den Berufungsantrag zu begründen. Außerdem haben Sie Ihre Strafe wahrscheinlich schon verbüßt, ehe es zur Berufungsverhandlung kommt.«
»Nein, nein. Keine Berufung.«
»Ich bleibe in Kontakt mit Ihnen für den Fall, daß Sie es sich anders überlegen. Und weil wir gerade davon sprechen es tut mir leid, daß die Sache so gelaufen ist.«
Eastin sagte mit einem blassen Lächeln: »Mir auch.«
»Hereingerissen hat uns natürlich Ihr Geständnis. Ohne dieses Geständnis, meine ich, hätte die Staatsanwaltschaft Ihnen nichts beweisen können - jedenfalls nichts, was den Diebstahl der sechstausend Dollar angeht, und der ist beim Richter am schwersten ins Gewicht gefallen. Natürlich ist mir klar, warum Sie die zweite Erklärung unterschrieben haben die beim FBI; Sie glaubten, die erste sei gültig, deshalb würde es auf die zweite nun auch nicht mehr ankommen. Aber es ist auf dieses zweite Geständnis entscheidend angekommen. Ich glaube, der Sicherheitsboß, dieser Wainwright, hat Sie ganz schlicht reingelegt.«
Der Gefangene nickte. »Ja, jetzt weiß ich das auch.«
Der Anwalt warf einen Blick auf die Uhr. »Tja, ich muß jetzt gehen. Ich habe heute abend eine anstrengende Verabredung. Sie wissen ja, wie das ist.«
Ein Vollzugsbeamter ließ ihn hinaus.
Am nächsten Tag wurde Miles Eastin in das Bundesgefängnis eines anderen Bundesstaates verlegt.
Als die Nachricht von Miles Eastins Verurteilung in der First Mercantile American Bank eintraf, empfanden einige, die ihn gekannt hatten, Bedauern; andere waren der Auffassung, daß er nur bekommen habe, was er verdient hatte. Einhelligkeit herrschte darüber: Nie wieder würde man in der Bank etwas von Eastin zu hören bekommen.
Die Zeit sollte zeigen, wie irrig diese letzte Annahme war.
Wie eine Luftblase, die an die Oberfläche steigt, machte sich Mitte Januar die erste Andeutung nahenden Unheils bemerkbar. In der Sonntagsausgabe einer Zeitung war folgende Notiz erschienen:
...In der Stadt wird gemunkelt, daß Forum East bald ganz erheblich gedrosselt werden soll. Es heißt, dieses gigantische Sanierungsprojekt habe Sorgen mit der Bankseite. Nun ja, wer hat die heute nicht?...
Alex Vandervoort erfuhr von dieser Notiz erst am Montag vormittag; seine Sekretärin hatte die Notiz rot umrandet und ihm die Zeitung zusammen mit anderen Papieren auf den Schreibtisch gelegt.
Am Montag nachmittag rief Edwina D'Orsey an und fragte Alex, ob er schon von dem Gerücht gehört habe und ob er wisse, was oder wer dahinterstecken könnte. Daß Edwina sich dafür interessierte, war nicht verwunderlich. Ihre Filiale war von Anfang an für die gesamten Baudarlehen, einen großen Teil der Hypotheken und den damit verbundenen Schriftverkehr verantwortlich gewesen. Mittlerweile beanspruchte das Projekt Forum East einen erheblichen Teil des Gesamtarbeitsvolumens ihrer Filiale.
»Wenn da etwas in der Luft liegt«, sagte Edwina energisch, »dann möchte ich informiert werden.«
»Soviel ich weiß«, sagte Alex beruhigend, »hat sich nichts verändert.«
Sekunden später hatte er schon begonnen, Jerome Pattertons Nummer zu wählen, doch dann legte er den Hörer wieder auf. Falschinformationen über Forum East waren nichts Neues. Das Projekt hatte starke Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden; unweigerlich mußte manches, was darüber geschrieben wurde, falsch oder bösartig sein.
Es hatte keinen Zweck, fand Alex, den neuen Bankpräsidenten mit Bagatellen zu belästigen, vor allem, da er Patterton für eine sehr bedeutende Angelegenheit gewinnen wollte - eine erhebliche Ausweitung der FMA-Sparabteilung, die jetzt geplant wurde und dem Direktorium bald zur Prüfung vorgetragen werden sollte.
Doch der längere Artikel, der einige Tage später erschien, und dieses Mal in den normalen Nachrichtenspalten der Tageszeitung »Times-Register«, war schon etwas besorgniserregender, fand Alex.
Der Text lautete:
Die Sorge über die Zukunft von Forum East hält an; Gerüchte verstärken sich, daß die Finanzierung in Kürze drastisch eingeschränkt oder ganz zurückgezogen wird. Das Projekt Forum East, dessen langfristiges Ziel die Sanierung des gesamten Stadtkerns, der Geschäfts-ebenso wie der Wohnviertel, ist, wird von einem Konsortium finanziert, an dessen Spitze die First Mercantile American Bank steht.
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