Aber es war nicht leicht, gestand sie. »Jeder hier hat die gleichen Sorgen. Von Monat zu Monat verliert unser Geld an Kaufkraft. Diese Inflation! Wie soll das enden?«
Wenn Lewis D'Orsey recht behielt, dachte Margot, dann würde es in Katastrophe und Anarchie enden. Sie behielt den Gedanken für sich, aber ihr fiel die Unterhaltung wieder ein, die vor drei Tagen zwischen Lewis, Edwina und Alex stattgefunden hatte.
»Ich hab' von den Schwierigkeiten gehört«, sagte sie, »die Sie kürzlich in Ihrer Bank gehabt haben.«
Juanitas Miene verdüsterte sich. Einen Augenblick lang schien sie den Tränen nahe zu sein, und Margot sagte eilig: »Es tut mir leid. Ich hätte den Mund halten sollen.«
»Nein, nein! Mir ist nur plötzlich wieder eingefallen... Ach was, es ist ja jetzt vorbei. Aber wenn Sie wollen, erzähle ich es Ihnen.«
»Eines sollten Sie über uns Rechtsanwälte wissen - wir sind immer neugierig«, bemerkte Margot.
Juanita lächelte, dann wurde sie ernst, als sie von den verschwundenen sechstausend Dollar in bar berichtete und von dem achtundvierzigstündigen Alptraum des Verdachts und der Vernehmungen. Beim Zuhören kam Margot der Zorn hoch, der bei ihr nie tief unter der Oberfläche wartete.
»Die Bank hatte kein Recht, Sie immer weiter unter Druck zu setzen, ohne daß Sie einen Anwalt zur Seite hatten. Warum haben Sie mich nicht gerufen?«
»Daran hab' ich überhaupt nicht gedacht«, gestand Juanita.
»Das ist es ja gerade. Unschuldige denken meistens gar nicht an so was.« Margot überlegte einen Augenblick, dann fügte sie hinzu: »Edwina D'Orsey ist meine Kusine. Ich werde mal mit ihr darüber sprechen.«
Juanita sah sie erschrocken an. »Das wußte ich nicht. Bitte tun Sie's nicht! Schließlich war es ja Mrs. D'Orsey selbst, die der Wahrheit auf die Spur gekommen ist.«
»Na schön«, sagte Margot, »wenn es Ihnen lieber ist, halte ich den Mund. Aber ich werde mit jemand anderem reden, den Sie nicht kennen. Und merken Sie sich eins: Wenn Sie mal wieder in Schwierigkeiten geraten, ganz gleich, wie und wodurch, dann rufen Sie mich. Ich werde Ihnen helfen.«
»Danke«, sagte Juanita. »Das will ich tun, wenn es dazu kommen sollte. Bestimmt.«
»Wenn Juanita Nunez tatsächlich entlassen worden wäre«, sagte Margot am Abend jenes Tages zu Alex Vandervoort, »dann hätte ich ihr geraten, euch zu verklagen, und wir hätten kassiert - und das nicht schlecht.«
»Das mag schon sein«, gab Alex zu. Sie waren auf dem Weg zu einer Party, und er steuerte Margots Volkswagen. »Vor allem dann, wenn die Wahrheit über unseren Langfinger herausgekommen wäre - und sie wäre todsicher herausgekommen. Zum Glück hat Edwinas fraulicher Instinkt funktioniert - und uns vor deinem gerettet.«
»Das ist kein bißchen komisch!«
Er schlug einen anderen Ton an. »Du hast recht, es ist wirklich nicht komisch. Wir haben uns der jungen Frau gegenüber schäbig benommen, das wissen alle Beteiligten. Ich, weil ich sämtliche Akten über den Fall gelesen habe; Edwina weiß es, und auch Nolan Wainwright weiß es. Zum Glück ist die Sache ja am Ende noch gutgegangen. Mrs. Nunez hat ihren Job behalten, und unsere Bank hat einiges dazugelernt. Es wird in Zukunft so leicht nicht wieder passieren.«
»Das hört sich schon besser an«, sagte Margot.
Damit beendeten sie das Thema, was angesichts ihrer Vorliebe für Streitgespräche eine nicht unbeträchtliche Leistung war.
In der Woche vor Weihnachten erschien Miles Eastin vor dem zuständigen Bundesgericht unter der Anklage der Unterschlagung in fünf Fällen. Vier Anklagepunkte bezogen sich auf betrügerische Transaktionen in der Bank zur eigenen Bereicherung in Höhe einer Gesamtsumme von dreizehntausend Dollar. Der fünfte Anklagepunkt bezog sich auf den Diebstahl von sechstausend Dollar Bargeld.
Den Vorsitz führte Richter Winslow Underwood; zwölf Geschworene verfolgten das Verfahren und sollten am Ende ihren Spruch über Schuld oder Unschuld fällen.
Auf den Rat des Verteidigers, eines eifrigen, aber wenig erfahrenen jungen Mannes, den das Gericht zum Pflichtverteidiger bestellt hatte, da Eastin über keine persönlichen Mittel verfügte, bekannte sich der Angeklagte als »nicht schuldig« in allen Punkten der Anklage. Wie sich dann herausstellte, war es ein schlechter Rat. Ein Anwalt von größerer Erfahrung hätte in Anbetracht des vorliegenden Beweismaterials dringend empfohlen, sich schuldig zu bekennen und so vielleicht zu einem das ganze Verfahren überflüssig machenden Arrangement mit der Anklagevertretung zu gelangen, anstatt gewisse Einzelheiten - in erster Linie Eastins Versuch, Juanita Nünez fälschlich zu belasten - vor Gericht und Geschworenen zur Sprache kommen zu lassen.
So aber kam alles ans Licht.
Edwina D'Orsey machte ihre Aussage, ebenso Tottenhoe, Gayne von der Revisionszentrale und ein anderer Revisor. FBI-Spezialagent Innes legte als Beweismittel das von Miles Eastin unterzeichnete schriftliche Geständnis des Diebstahls vor; das Dokument war im städtischen FBI-Hauptquartier aufgesetzt worden, nachdem Nolan Wainwright in Eastins Wohnung das vorläufige Schuldgeständnis aufgenommen hatte.
Zwei Wochen vor Prozeßbeginn hatte der Anwalt des Angeklagten während eines Untersuchungstermins gegen das FBI-Dokument protestiert und beantragt, es nicht als Beweismaterial zuzulassen. Der Antrag war abgelehnt worden. Richter Underwood wies darauf hin, daß Eastin in Gegenwart von Zeugen auf seine gesetzlichen Rechte hingewiesen worden war, bevor er dieses schriftliche Geständnis ablegte.
Das frühere Geständnis, das Nolan Wainwright ihm in seiner Wohnung abgerungen hatte und dessen Rechtmäßigkeit wirksamer hätte angefochten werden können, wurde nicht mehr benötigt und war deshalb gar nicht erst als Beweis eingebracht worden.
Der Anblick Miles Eastins vor Gericht war für Edwina sehr deprimierend. Er sah blaß und eingefallen aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Von seiner gewohnten guten Laune war nichts übriggeblieben, und er, der sonst immer äußerst gepflegt gewesen war, erschien mit unordentlichen Haaren und einem zerknitterten Anzug vor Gericht. Er schien gealtert seit der Nacht der Revision.
Edwinas eigene Aussage war kurz. Sie bezog sich auf den Ablauf der Ereignisse, und sie sprach ohne Umschweife. Während sie vom Anwalt der Verteidigung in ein sanftes Kreuzverhör genommen wurde, sah sie mehrfach zu Miles Eastin hinüber, aber er hielt den Kopf gesenkt und vermied es, ihrem Blick zu begegnen.
Juanita Nunez war ebenfalls als Zeugin der Anklage aufgerufen worden, obwohl es ihr sehr zuwider war. Sie war nervös und machte ihre Aussage mit so leiser Stimme, daß der Richter sie zweimal ermahnen mußte, lauter zu sprechen, aber in aller Freundlichkeit, da mittlerweile bekanntgeworden war, was sie schuldlos hatte mitmachen müssen.
Juanitas Aussage verriet weder Haß noch Feindseligkeit gegen Eastin. Sie antwortete in ganz kurzen Sätzen, so daß der Staatsanwalt sie immer wieder bitten mußte, sich ausführlicher zu äußern. Sie war sichtlich nur von dem einen Wunsch erfüllt, den Saal möglichst bald wieder verlassen zu dürfen.
Der Anwalt der Verteidigung traf endlich eine kluge Entscheidung und verzichtete auf sein Recht, sie ins Kreuzverhör zu nehmen.
Unmittelbar nach Juanitas Aussage und nach einer im Flüsterton geführten kurzen Besprechung mit seinem Mandanten bat der Verteidiger um die Erlaubnis, sich mit dem Gericht beraten zu dürfen. Die Erlaubnis wurde erteilt. Staatsanwalt, Richter und Verteidiger hielten daraufhin mit leiser Stimme ein Kolloquium, in dessen Verlauf der Anwalt Miles Eastins Wunsch vortrug, seine ursprüngliche Erklärung, »nicht schuldig«, in ein »schuldig« umwandeln zu dürfen.
Richter Underwood, ein Patriarch mit ruhiger Stimme, aber einer gewissen inneren Härte, musterte den Verteidiger und dann den Staatsanwalt. Ebenso leise sprechend wie sie, so daß die Geschworenen seine Worte nicht verstehen konnten, sagte er: »Nun gut, das Gericht läßt die Änderung der Erklärung zu, wenn der Angeklagte es wünscht. Aber ich weise den Herrn Verteidiger darauf hin, daß es in diesem Stadium wenig oder gar nichts mehr bewirkt.«
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