»Unsere Aktien werden sich wieder erholen«, sagte Alex. »Die Ertragslage ist gut, und es hat sich im Grunde gar nichts geändert.«
»Das weiß ich«, stimmte Lewis zu. »Deshalb werde ich morgen nachmittag verkaufen.«
Edwina sah schockiert aus. »Was? Du stößt FMA ab?«
»Aber gewiß. Habe auch ein paar Kunden geraten, das gleiche zu tun. Im Moment ist da ein hübscher Profit rauszuholen.«
Aufgebracht sagte sie: »Du weißt ganz genau, daß ich nie mit dir über etwas Vertrauliches spreche, Lewis. Die andern aber wissen das nicht. Wenn du jetzt verkaufst, kann es heißen, du hättest irgendwelche Informationen von mir bekommen.«
Alex schüttelte den Kopf. »In diesem Falle nicht, Edwina. Bens Krankheit war ja allgemein bekannt.«
»Wenn wir später das kapitalistische System überwunden haben«, prophezeite Margot, »dann werden BaisseSpekulationen an der Börse als erstes verschwinden.«
Lewis hob die Augenbrauen in die Höhe. »Warum?«
»Weil sie total negativ sind. Sie sind eine zerstörerische Spekulation, die darauf basiert, daß ein anderer Verluste erleidet. Es ist reine Leichenfledderei und das genaue Gegenteil eines konstruktiven Beitrags. Solche Verkäufe schaffen nichts, sie zerstören«
»Sie schaffen einen blitzblanken Kapitalgewinn.« Lewis grinste breit; er hatte sich mit Margot schon oft und gern gestritten. »Und den heimst man heute nicht mehr so leicht ein, am wenigsten mit amerikanischen Papieren.«
»Trotzdem will es mir nicht gefallen, daß du es ausgerechnet mit FMA-Aktien machst«, sagte Edwina. »Dafür steht mir die Sache doch zu nahe.«
Lewis D'Orsey sah seine Frau mit großem Ernst an. »Wenn dem so ist, meine Liebe, dann werde ich nach meinen Verkäufen von morgen keine FMA-Aktien mehr anrühren.«
Margot warf ihm einen scharfen Blick zu.
»Du weißt doch, daß er es ernst meint«, sagte Alex.
Alex dachte manchmal darüber nach, wie Edwina und ihr Mann wohl miteinander standen. Rein äußerlich schienen sie schlecht zueinander zu passen - Edwina, elegant, attraktiv und selbstbewußt; Lewis, hager, unansehnlich, introvertiert gegenüber allen, die er nicht sehr gut kannte, wenn auch niemand diese persönliche Zurückhaltung unter dem Löwengebrüll seines Finanz-Informationsbriefes vermutete. Aber ihre Ehe schien gut zu funktionieren, und jeder respektierte den anderen und empfand deutliche Zuneigung zu ihm, wie es sich eben wieder bei Lewis gezeigt hatte. Vielleicht, dachte Alex, ziehen Gegensätze sich nicht nur an; sie bleiben wohl auch miteinander verheiratet.
Alex' Cadillac aus dem Fuhrpark der Bank reihte sich in die lange Wagenschlange vor der Kathedrale ein, und die vier gingen dem Wagen entgegen.
»Es wäre schon ein zivilisierteres Versprechen gewesen«, bemerkte Margot, »wenn Lewis sich bereit erklärt hätte, nun überhaupt nicht mehr auf Baisse zu spekulieren.«
»Alex«, sagte Lewis, »zum Teufel noch mal, was finden Sie eigentlich an dieser roten Zicke?«
»Wir sind fabelhaft im Bett«, sagte Margot zu ihm. »Reicht das nicht?«
»Und ich würde sie gern bald heiraten«, setzte Alex hinzu.
Edwina sagte mit Wärme in der Stimme: »Dann hoffe ich, daß ihr es bald tut.« Seit ihrer Kindheit war sie eng mit Margot befreundet, trotz gelegentlicher Differenzen in Temperament und Einstellung. Gemeinsam war ihnen, daß es in beider Familien immer Frauen gegeben hatte, die starke Persönlichkeiten waren und traditionell Aufgaben im öffentlichen Leben übernommen hatten. Edwina fragte Alex leise: »Irgend etwas Neues über Celia?«
Er schüttelte den Kopf. »Es hat sich nichts geändert. Es ist eher noch schlimmer geworden mit ihr.«
Sie waren jetzt bei dem Wagen angelangt. Alex bedeutete dem Chauffeur, er solle am Steuer sitzen bleiben, dann öffnete er die hintere Tür für die anderen und folgte ihnen in den Wagen. Drinnen war die Glasscheibe geschlossen, die den Fahrer von den Mitfahrern trennte. Sie setzten sich zurecht, während der sich noch immer formierende Trauerzug schrittweise vorrückte.
Für Alex hatte die Erwähnung Celias die Traurigkeit des Augenblicks noch vertieft; außerdem empfand er sie schuldbewußt als Mahnung, daß er sie bald wieder besuchen sollte. Seit dem deprimierenden Gespräch im Pflegeheim Anfang Oktober war er noch einmal dort gewesen, aber Celia hatte sich noch weiter in sich selbst zurückgezogen; sie hatte nicht durch das leiseste Zeichen zu erkennen gegeben, daß sie ihn wahrnahm, und hatte die ganze Zeit lautlos vor sich hin geweint. Noch Tage später war er niedergeschlagen, und es graute ihm vor einer Wiederholung dieses Erlebnisses.
Ihm kam der Gedanke, daß Ben Rosselli da vorn in seinem Sarg besser daran war als Celia, denn sein Leben hatte ein schlüssiges Ende gefunden. Wenn Celia doch sterben würde... Voller Scham erstickte Alex den Gedanken in sich.
Auch zwischen ihm und Margot hatte sich nichts Neues ereignet. Sie blieb eisern gegen eine Scheidung eingestellt, jedenfalls so lange, bis eindeutig feststand, daß Celia nicht mehr davon berührt werden würde. Margot schien bereit, ihr Arrangement unbegrenzt fortzusetzen. Alex hatte sich noch nicht damit abgefunden.
Zu Edwina gewandt sagte Lewis: »Ich wollte dich schon längst fragen, was aus eurem jungen Assistenten geworden ist. Du weißt doch, der bei euch in die Kasse gelangt hat. Wie hieß er doch noch?«
»Miles Eastin«, antwortete Edwina. »Er muß nächste Woche vor Gericht erscheinen, und ich soll als Zeugin aussagen. Schön ist das nicht.«
»Wenigstens hat's den Richtigen erwischt«, sagte Alex. Er hatte den Bericht des Chefrevisors über die Unterschlagung und den Bargeldverlust gelesen; auch den Bericht von Nolan Wainwright kannte er. »Was ist eigentlich aus der Kassiererin geworden - Mrs. Nunez? Ist mit ihr alles in Ordnung?«
»Es scheint so. Ich fürchte, wir haben ihr ganz schön zugesetzt, und zu Unrecht, wie sich gezeigt hat.«
Margot, die nur halb zugehört hatte, merkte auf. »Ich kenne eine Juanita Nunez. Nette junge Frau, wohnt in Forum East. Ich glaube, ihr Mann hat sie sitzenlassen. Sie hat ein Kind.«
»Das scheint unsere Mrs. Nunez zu sein«, sagte Edwina. »Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Sie wohnt in Forum East.«
Obwohl Margots Neugier erwacht war, spürte sie, daß jetzt nicht der rechte Augenblick für weitere Fragen war.
Während sie schweigend dasaßen, hing Edwina ihren Gedanken nach. Die beiden Ereignisse der letzten Zeit - Ben Rossellis Tod und Miles Eastins törichte Zerstörung seines eigenen Lebens - waren zu dicht aufeinander gefolgt. Betroffen waren in beiden Fällen Menschen, die sie gern mochte, und es erfüllte sie mit Trauer.
Bens Tod, meinte sie, sollte sie wohl näher berühren; ihm verdankte sie viel. Ihren raschen Aufstieg in der Bank verdankte sie zwar ihrer eigenen Tüchtigkeit, aber Ben hatte nie - wie viele andere Arbeitgeber - gezögert, einer Frau die gleichen Chancen einzuräumen wie einem Mann. Heutzutage war Edwina das ewige Geschrei der Women's Lib zuwider. Ihrer Meinung nach wurden Frauen im Geschäftsleben wegen ihres Geschlechts bevorzugt, was ihnen im Konkurrenzkampf Vorteile verlieh, die Edwina weder gesucht noch gebraucht hatte. Aber dennoch war Ben in all den Jahren, die sie ihn gekannt hatte, die lebende Garantie für gleichberechtigte Behandlung.
Ebenso wie Alex waren auch Edwina in der Kathedrale die Tränen in die Augen gestiegen, als Bens sterbliche Reste auf ihrem letzten Weg vorübergetragen wurden.
Ihre Gedanken schweiften zu Miles zurück. Er war wohl noch jung genug, dachte sie, um sich ein neues Leben aufzubauen, aber leicht würde das nicht sein. Keine Bank würde ihn je anstellen; und nie würde ihm jemand wieder eine Vertrauensstelle geben. Trotz seiner Tat hoffte sie, daß man ihn nicht ins Gefängnis stecken würde.
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