»Ich möchte auf meine ursprüngliche Frage zurückkommen«, fuhr er fort, »wie können wir als Banker es uns leisten, diesen Wandel der Szene einfach zu ignorieren? Wir wären nicht anders als ein Mann, der in einem schweren Sturm steht und einfach so tut, als existiere der Wind nicht.
Allein aus pragmatischen, finanziellen Gründen dürfen wir uns nicht abseits stellen. Wir alle, die wir hier an diesem Tisch versammelt sind, wissen aus persönlicher Erfahrung, daß man geschäftlichen Erfolg niemals dadurch erzielt, daß man den Wandel nicht zur Kenntnis nimmt, sondern einzig und allein dadurch, daß man ihn rechtzeitig kommen sieht und sich darauf einstellt. Als Hüter des Geldes, mit einem Gespür für die Wetterumschläge des Investitionsklimas ausgerüstet, werden wir deshalb am meisten profitieren, wenn wir jetzt zuhören, aufmerken und uns auf neue Gegebenheiten einstellen.«
Er spürte, daß seine Eröffnungssätze, abgesehen von dem Ausrutscher, der ihm gerade unterlaufen war, durch ihren Akzent auf dem Praktischen die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer erregt hatten. Fast alle Mitglieder des Direktoriums, die der Bank selbst nicht angehörten, hatten schon ihre Erfahrungen mit Gesetzen zum Umweltschutz, zum Verbraucherschutz, über wahrheitsgemäße Werbung, über die Förderung der Beschäftigung von Minderheiten und über die Gleichberechtigung der Frau gesammelt. Oft waren derartige Gesetze gegen den heftigen Widerstand von Gesellschaften verabschiedet worden, an deren Spitze hier anwesende Direktoren standen. Waren diese Gesetze aber erst einmal in Kraft, dann hatten dieselben Gesellschaften es gelernt, mit den neuen Maßstäben zu leben, und stolz posaunten sie dann ihren Beitrag zum Gemeinwohl in die Welt hinaus. Einige, wie Leonard Kingswood zum Beispiel, hatten daraus den Schluß gezogen, daß korporative Verantwortung gut für das Geschäft ist, und sie hatten sich deshalb mit Nachdruck dazu bekannt.
»Es gibt vierzehntausend Banken in den Vereinigten Staaten«, rief Alex den FMA-Direktoren ins Bewußtsein zurück, »und sie üben durch die Vergabe von Krediten eine enorme wirtschaftliche Macht aus. Ich meine, diese Macht sollte bei der
Gewährung von Krediten an Industrie und Handel auch mit Verantwortung unsererseits gekoppelt sein. Ich meine, zu den Kriterien der Kreditwürdigkeit sollte auch das Niveau des öffentlichen Verhaltens unserer Geldnehmer gehören! Wenn eine Fabrik finanziert werden soll - wird sie die Umwelt verschmutzen? Wenn ein neues Produkt entwickelt werden soll - wird es den Sicherheitsanforderungen genügen? Wie hält es die Firma mit der Wahrheit in der Werbung? Haben wir zu entscheiden, ob wir der Gesellschaft A oder der Gesellschaft B einen Kredit gewähren - welche der beiden ist freier von Rassendiskriminierung?«
Er beugte sich vor, um nacheinander jedem Direktoriumsmitglied an dem großen ovalen Tisch in die Augen zu sehen.
»Es stimmt, diese Fragen werden jetzt nicht immer gestellt, und wenn sie gestellt werden, wird nicht immer der Antwort entsprechend gehandelt. Aber Großbanken fangen an, und sie beweisen damit ihren guten Gemeinsinn, diese Fragen zu stellen
- ein Beispiel, das die FMA nachahmen sollte, wenn sie gut beraten ist. Denn genauso, wie es hohe Dividenden abwerfen kann, wenn ein Unternehmen die Führungsposition in seiner Branche innehat, genauso wird es sich für eine Großbank auszahlen, wenn sie sich wegweisend an die Spitze stellt.
Nicht weniger wichtig ist die Einsicht: Es ist besser, diese Dinge jetzt freiwillig zu tun, als sie sich später durch Gesetz und Vorschrift aufzwingen zu lassen.«
Alex machte eine Pause, entfernte sich einen Schritt vom Tisch, um gleich darauf herumzufahren und zu fragen: »Auf welchem anderen Gebiet sollte unsere Bank korporative Verantwortung übernehmen?
Ich bin mit Ben Rosselli der Meinung, daß wir an der Verbesserung der Lebensbedingungen dieser Stadt und dieses Bundesstaates Anteil nehmen sollten. Ein unmittelbar wirksamer Beitrag ist die Finanzierung der Billigwohnungen, eine Verpflichtung, die dieses Direktorium schon in den ersten Stadien von Forum East übernommen hat. Ich bin sogar der Meinung, daß unser Beitrag im Laufe der Zeit vergrößert werden sollte.«
Er warf einen Blick zu Roscoe Heyward hinüber. »Natürlich weiß ich, daß Hypothekengeschäfte keine sonderlich hohen Erträge abwerfen. Doch es gibt Wege, auch dieses Engagement mit ausgezeichneten Profiten zu verknüpfen.«
Einer dieser Wege, erklärte er den lauschenden Direktoren, führe über eine entschlossene Expansion der Sparkontenabteilung der Bank.
»Traditionsgemäß werden die Mittel für Bau- und Wohnungsdarlehen aus den Spareinlagen genommen, weil Hypotheken langfristige Anlagen sind und Spareinlagen ihrem Wesen nach ebenfalls stabil und langfristig sind. Die Rentabilität werden wir durch schieres Volumen erzielen - das viel größer sein wird als unser jetziges Sparvolumen. Dergestalt werden wir ein dreifaches Ziel erreichen - Profit, finanzielle Stabilität und einen bedeutenden sozialen Beitrag.
Es sind noch nicht viele Jahre vergangen, seit große Geschäftsbanken wie wir selbst das Verbrauchergeschäft einschließlich kleiner Spareinlagen als unwichtig verschmähten. Und während wir schliefen, haben Spar- und Darlehenskassen mit klarem Blick die von uns ignorierte Chance genutzt und sind an uns vorbei nach vorn geprescht und unser Hauptkonkurrent geworden. Trotzdem liegen noch gigantische Möglichkeiten auf dem Gebiet der persönlichen Sparkonten. Ich rechne sogar damit, daß das Verbrauchergeschäft im Verlauf des nächsten Jahrzehnts die kommerziellen Einlagen übertreffen und damit zur gewaltigsten überhaupt bestehenden Geldmacht wird.«
Das Spargeschäft, führte Alex weiter aus, sei nur eins von mehreren Gebieten, auf denen die Interessen der FMA in geradezu dramatischer Weise ausgebaut werden könnten.
Unverändert lebhaft in Gestik und Bewegung, behandelte er andere Abteilungen der Bank und beschrieb Änderungen, die er für ratsam hielt. Das meiste davon hatte schon in einem Bericht gestanden, den Alex Vandervoort auf Bens Veranlassung wenige Wochen vor jenem Tag erarbeitet hatte, da der Bankpräsident von seinem bevorstehenden Tod sprach. Im Drang der Ereignisse war dieser Bericht, soweit es Alex bekannt war, ungelesen geblieben.
Eine der Empfehlungen betraf die Eröffnung von neun weiteren Filialen in Wohnvororten in allen Teilen des Bundesstaates. Eine andere riet zu einer drastischen Überprüfung der gesamten FMA-Organisation. Alex schlug vor, eine Spezial-Beratungsfirma mit der Ausarbeitung von Änderungsempfehlungen zu beauftragen, »da unsere Leistungsfähigkeit geringer ist, als sie sein könnte. Bei uns ist Sand im Getriebe«, wie er dem Direktorium erklärte.
Gegen Ende kehrte er zu seinem ursprünglichen Thema zurück. »Natürlich müssen wir weiterhin an unserer Beziehung zur Industrie festhalten. Industriekredite und das kommerzielle Geschäft werden Stützpfeiler unserer Arbeit bleiben. Nicht aber die einzigen Pfeiler. Auch sollten sie nicht die bei weitem mächtigsten sein. Und wir sollten unseren Blick nicht so ausschließlich an der Größe orientieren, daß die Bedeutung kleiner Konten, auch privater Sparkonten, uns weitgehend verschlossen bleibt.
Der Gründer unserer Bank hat sie geschaffen, um dem Kleinverdiener zu helfen, dem die Einrichtungen der Großbanken verschlossen waren. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich Zweck und Arbeitsweise im Laufe eines Jahrhunderts erweitert haben, doch weder der Sohn noch der Enkel des Gründers haben jene Ursprünge aus den Augen verloren, und sie haben nie die Erkenntnis ignoriert, daß das Vielfache einer kleinen Menge die allergrößte Macht darstellen kann.
Ein massives und sofortiges Wachstum der kleinen Spareinlagen, das ich dem Direktorium nicht eindringlich genug als Zielvorstellung empfehlen kann, hieße, unseren Ursprüngen gerecht zu werden, unsere finanzielle Kraft auszubauen und -gemäß dem Klima unserer Zeit - das öffentliche Wohl zu fördern und damit auch unser eigenes Wohl.«
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