Der Richter schickte die Geschworenen aus dem Saal und befragte Eastin, ob er sich tatsächlich jetzt als »schuldig« bekennen wolle und ihm die Folgen einer solchen Erklärung bekannt seien. Auf alle Fragen antwortete der Untersuchungsgefangene mit einem dumpfen: »Ja, Euer Ehren.«
Der Richter rief die Geschworenen wieder in den Saal zurück und teilte ihnen mit, daß sie entlassen seien.
Der Verteidiger beschwor das Gericht, Milde walten zu lassen, zumal sein Mandant nicht vorbestraft sei. Der Richter entschied, daß Miles Eastin bis zur Verkündung des Urteils in der nächsten Woche in Untersuchungshaft zu bleiben habe.
Nolan Wainwright war nicht als Zeuge vernommen worden, hatte aber das ganze Verfahren im Gerichtssaal verfolgt. Als der Gerichtsdiener jetzt den nächsten Fall aufrief und die kleine Gruppe der Bankangehörigen den Saal verließ, nahm der Sicherheitschef der Bank kurz neben Juanita Platz.
»Mrs. Nunez, darf ich Sie einen Augenblick sprechen?«
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Abneigung an, dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist alles vorbei. Außerdem muß ich jetzt wieder an meine Arbeit.«
Als sie draußen vor dem Bundesgerichtsgebäude waren, nur wenige Straßenblocks von der Zentrale der FMA und der Cityfiliale entfernt, blieb er hartnäckig an ihrer Seite. »Sie gehen zur Bank zurück? Jetzt?«
Sie nickte.
»Bitte. Ich möchte gern mit Ihnen gehen.«
Juanita zuckte die Achseln. »Wenn es sein muß.«
Wainwright sah, wie Edwina D'Orsey, Tottenhoe und die beiden Revisoren, ebenfalls auf ihrem Weg zur Bank, eine Kreuzung überquerten. Er ging absichtlich langsam, so daß die Fußgängerampel wieder auf Rot sprang und er und Mrs. Nunez zurückbleiben mußten.
»Mrs. Nunez«, begann Wainwright, »mir ist es noch nie besonders leicht gefallen, mich zu entschuldigen.«
Juanita sagte spitz: »Warum machen Sie sich dann die Mühe? Es sind ja nur Worte, die nicht viel bedeuten.«
»Weil ich es sagen will. Deshalb sage ich es - zu Ihnen. Es tut mir leid. Daß ich Ihnen solchen Kummer gemacht habe. Daß ich nicht geglaubt habe, daß Sie die Wahrheit sagten, obwohl es doch die Wahrheit war und Sie jemand brauchten, der Ihnen half.«
»So, fühlen Sie sich jetzt erleichtert? Sie haben Ihr Sprüchlein aufgesagt, und nun ist alles wieder gut?«
»Sie machen es einem nicht leicht.«
Sie blieb stehen. »Haben Sie es mir leichtgemacht?« Das kleine Gesicht schaute nach oben, ihre dunklen Augen hielten seinen Blick fest, und zum ersten Mal spürte er die Kraft und die Unabhängigkeit ihres Wesens. Zu seiner eigenen Überraschung wurde er sich auch ihrer starken körperlichen Anziehungskraft bewußt.
»Nein, das habe ich nicht, und deshalb möchte ich Ihnen jetzt gern helfen, wenn ich kann.«
»Wobei?«
»Dabei, daß Ihr Mann seinen Verpflichtungen nachkommt und Ihnen und dem Kind Unterhaltszahlungen leistet.« Er erzählte ihr von den Erkundigungen, die das FBI über ihren verschwundenen Mann eingezogen und daß man ihn schließlich in Phoenix, Arizona, aufgespürt hatte. »Er hat dort einen Job als Autoschlosser und verdient offenbar Geld.«
»Das freut mich für Carlos.«
»Ich dachte an folgendes«, sagte Wainwright. »Sie sollten einen der Anwälte unserer Bank konsultieren. Ich könnte das arrangieren. Er würde Sie beraten, welche gerichtlichen Schritte Sie gegen Ihren Mann einleiten können, und wenn alles geregelt ist, werde ich dafür sorgen, daß Ihnen keine Anwaltsgebühren berechnet werden.«
»Warum sollten Sie das wohl tun?«
»Wir schulden es Ihnen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Er fragte sich, ob sie ihn auch richtig verstanden habe.
»Es würde bedeuten«, erklärte Wainwright, »daß Ihr Mann eine gerichtliche Auflage erhält und daß er Ihnen Geld schicken muß als seinen Anteil an den Unterhaltskosten für Ihr kleines Mädchen.«
»Und wird das einen Mann aus Carlos machen?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Es spielt eine Rolle, ob er gezwungen wird oder nicht. Er weiß, daß ich hier bin und daß Estela bei mir ist. Wenn Carlos wollte, daß wir sein Geld bekommen, dann würde er es schicken. iSi no, para que?« fügte sie leise hinzu.
Das Ganze glich einem Schattenboxen. Ungeduldig und ein bißchen verärgert sagte er: »Ich werde Sie nie verstehen.«
Ganz unerwartet lächelte Juanita. »Das ist auch gar nicht nötig.«
Schweigend gingen sie den kurzen Rest des Weges bis zur Bank, und Wainwright versuchte, sein Gefühl der Hilflosigkeit zu überwinden. Hätte sie ihm doch für sein Angebot gedankt; das hätte wenigstens bedeutet, daß sie es ernst nahm. Er versuchte, sich ihre Logik und ihre Wertvorstellungen klarzumachen. Ganz offensichtlich maß sie der Unabhängigkeit einen hohen Wert bei. Und alles, was danach kam, dachte er, das nahm sie wohl so hin, Glück oder Unglück, aufkeimende Hoffnungen oder zerschlagene Sehnsüchte. In gewisser Weise beneidete er sie; aus diesem Grunde und auch wegen der sexuellen Anziehung, die ihm vorhin bewußt geworden war, wünschte er sich, mehr über sie zu wissen.
»Mrs. Nunez«, nahm Nolan Wainwright das Gespräch wieder auf, »ich möchte Sie um etwas bitten.«
»Ja?«
»Wenn Sie ein Problem haben, ein wirkliches Problem, eine Sache, in der ich Ihnen helfen könnte, würden Sie mich dann rufen?«
Es war das zweite derartige Angebot, das ihr in diesen Tagen gemacht worden war. »Vielleicht.«
Das blieb - bis sehr viel später - die letzte Unterhaltung zwischen Wainwright und Juanita. Er fand, er habe alles getan, was in seinen Kräften stand, und er hatte auch noch andere Dinge im Kopf. Da war zum Beispiel das Thema, das er vor zwei Monaten in seinem Gespräch mit Alex Vandervoort angeschnitten hatte - einen Agenten einzusetzen, der versuchen sollte, den Ursprung der gefälschten Kreditkarten aufzuspüren, die dem Keycharge-System noch immer schwere finanzielle Verluste einbrachten.
Wainwright hatte einen entlassenen Strafgefangenen aufgespürt, den er nur unter dem Namen »Vic« kannte und der bereit war, das beträchtliche Risiko für Geld auf sich zu nehmen. Unter umständlichen Sicherheitsmaßnahmen hatten sie sich heimlich getroffen; ein zweites Treffen war vorgesehen.
Wainwright hoffte inbrünstig, die Kreditkarten-Betrüger vor Gericht bringen zu können, so, wie er Miles Eastin vor Gericht gebracht hatte.
Als Eastin in der folgenden Woche wieder vor Richter Underwood erschien - dieses Mal zur Urteilsverkündung -, war Nolan Wainwright der einzige Vertreter der First Mercantile American Bank im Gerichtssaal.
Stehend, den Blick auf die Richterbank gewandt, wartete der Untersuchungsgefangene. Der Richter suchte in aller Ruhe seine Papiere zusammen, dann breitete er sie vor sich aus und betrachtete Eastin mit kaltem Blick.
»Haben Sie noch etwas zu sagen?«
»Nein, Euer Ehren.« Eastins Stimme war kaum zu vernehmen.
»Mir liegt ein Bericht des zuständigen Bewährungshelfers vor« - Richter Underwood machte eine Pause und überflog eines der Papiere, das er vorhin herausgesucht hatte -, »den Sie anscheinend davon überzeugt haben, daß Sie die kriminellen Handlungen, zu denen Sie sich bekannt haben, ehrlich bereuen« Der Richter betonte die letzten Worte, als halte er sie angewidert zwischen Daumen und Zeigefinger, und er ließ keinen Zweifel daran, daß er selbst nicht naiv genug sei, um diese Meinung zu teilen.
Er fuhr fort: »Die Reue, sei sie nun aufrichtig oder nicht, kommt jedoch sehr spät; sie kann auch Ihren bösartigen, überaus verächtlichen Versuch nicht abmildern, die Schuld für Ihre eigene Missetat einer unschuldigen und arglosen Person aufzuladen, einer jungen Frau, für die Sie außerdem noch als gehobener Mitarbeiter der Bank verantwortlich waren und die Ihnen, als ihrem Vorgesetzten, Vertrauen schenkte.
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