Kein Wunder. Sie existierten ja gar nicht. »Es sind sehr kleine Betriebe, Sir.«
Watkins brummte: »Tut mir leid, mein Junge. Wir stellen nur Leute mit Erfahrung ein.«
Masao durfte sich nicht mit einem Nein abfinden. Sein Leben hing davon ab. »Ich habe Erfahrung, Sir.« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. »Bitte, versuchen Sie es doch mit mir.«
»Ich weiß nicht …«
In diesem Augenblick flog die Tür auf, und ein Mann in Hemdsärmeln kam herein, einen Packen Papiere in der Hand. »Bitte, können Sie das zu Tony schicken?«
»Klar«, antwortete Watkins. »Übrigens, der junge Bursche hier behauptet, ein Elektronik-Genie zu sein. Möchten Sie ihm mal ein paar Fragen stellen?«
Der Mann warf Masao einen Blick zu. »Na gut.«
Watkins sagte zu Masao: »Mr. Davis ist unser Chef-Ingenieur.«
»Haben Sie schon mit Elektronik gearbeitet?« fragte Davis.
»Ja, Sir.«
»Können Sie einen Schaltkreis zusammensetzen?«
»Natürlich, Sir.« Masao fühlte festen Boden unter den Füßen, denn hier ging es um etwas, das er verstand und liebte. Er sprach langsam und gab sich Mühe, die technischen Ausdrücke korrekt aus dem Japanischen ins Englische zu übersetzen. »Man beginnt mit einer leeren Platte. Dann wird der gewünschte Schaltkreis photographisch aufgebracht, und die Elemente werden auf die Platte montiert. Dies sind Transistoren, Widerstände und integrierte Minischaltungen. Die Platte wird in ein Säurebad getaucht, wo alles Überflüssige weggeätzt wird. Dann …«
»Halt!« Mr. Davis hob die Hand. Er drehte sich zu Watkins um. »Er versteht nicht nur etwas von der Sache – in ein paar Monaten wird er sich um meinen Job bewerben. Viel Glück, mein Junge.« Und damit ging er.
Watkins sagte zu Masao: »Mir scheint, du hast den Job gekriegt.«
Masao spürte, wie ihm das Herz aufging. »Vielen Dank, Sir.«
»Wir brauchen jemand am Montageband. Der Lohn ist 250 Dollar die Woche, für den Anfang.«
Masao rechnete den Betrag in Yen um. In einer Woche konnte er genug verdienen, um nach Kalifornien zu fahren!
Watkins unterbrach seine Gedanken: »Ich brauche noch deine Versicherungskarte.«
Masao starrte ihn verständnislos an. Er hatte keine Versicherungskarte! »Ich … äh …« Masao überlegte blitzartig. »Die ist bei meinem Vater. Und der ist gerade verreist. Ich bringe sie mit, wenn er wieder zu Hause ist.«
Watkins zuckte die Schultern. »Okay. Komm jetzt. Ich bring dich zu deinem Arbeitsplatz.« Er musterte Masaos Gesicht. »Du hast noch nie bei uns gearbeitet, oder?«
»Nein, Sir.«
»Komisch«, sagte Watkins. »Dein Gesicht kommt mir verdammt bekannt vor.«
Und Masao spürte, wie ihn die Angst erneut durchzuckte.
Von innen war die Matsumoto-Fabrik geräumig und sauber, und es herrschte emsige Geschäftigkeit. Normalerweise wäre Masao stolz darauf gewesen, daß all dies das Werk seines Vaters war. Diese Menschen verdankten Yoneo Matsumoto ihren Arbeitsplatz; aber daran durfte Masao jetzt nicht denken. Dies war für ihn keine Fabrik – es war ein zeitweiliges Versteck für ihn, ein Zufluchtsort.
Es waren etwa hundert Arbeiter am Montageband, viele davon Japaner. Männer und Frauen arbeiteten Seite an Seite. Masao wurde dem Vorarbeiter vorgestellt, einem kleinen Mann mit hagerem, unsympathischem Gesicht. Er hieß Oscar Heller, und er machte gleich einen unangenehmen Eindruck auf Masao.
Heller führte Masao in den Umkleideraum und warf ihm einen weißen Kittel zu. »Da. Das wirst du immer anziehen, wenn du am Fließband stehst. Verstanden?«
»Ja, Sir.«
»Komm jetzt.«
Sie kehrten in die Fabrikhalle zurück. Heller deutete auf einen freien Platz am Montageband. »Dort wirst du arbeiten. Und ich dulde keine Faulenzerei, hast du verstanden?«
»Ich habe verstanden, Sir.«
»Dann mach dich an die Arbeit.«
Masao schaute dem Vorarbeiter nach, wie er weiterschlenderte und irgendwo stehenblieb, um einem Mädchen auf den Hintern zu tätscheln. Als sie zusammenzuckte und etwas Zorniges zu Heller sagte, lachte er nur und ging weiter. Masao war empört. Wie konnte ein solcher Mensch Vorarbeiter werden? Falls er den Zwischenfall meldete, würde der Mann gefeuert. Aber natürlich hatte Masao hier nichts zu sagen. Er konnte froh sein, daß er Arbeit gefunden hatte.
Masao wandte sich ab und studierte das Montageband. Es war genau das gleiche wie in der Fabrik in Tokyo. Dies war ein Vorteil der Massenproduktion. Er konnte in jede Matsumoto-Fabrik auf der Welt gehen und wußte immer, wie dort gearbeitet wurde.
Er beobachtete, wie die gedruckten Schaltkreise auf die Platte gebracht wurden und wie das Säurebad alles Überflüssige wegätzte. Dann wurden Löcher in die Schalttafel gebohrt und die Elemente montiert. Am Schluß lief das Ganze durch einen Bottich mit Isoliermasse, die an den Drähten und Kupferteilen haftenblieb. Es war ein Arbeitsgang, den Masao schon tausende Male gesehen hatte.
Masaos Platz am Fließband war zwischen einem mittelalten Mann zu seiner Linken und einem jungen Mädchen zu seiner Rechten. Beide waren Japaner.
Der Mann drehte sich zu Masao um und sagte: »Willkommen.«
»Danke«, erwiderte Masao. Dann wandte er sich dem Mädchen zu – und da blieb ihm beinah das Herz stehen. Sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Sie hatte ein feines, ovales Gesicht und sanfte kluge Augen. Sie schien etwa in seinem Alter zu sein.
Sie merkte, daß Masao sie anstarrte, und sagte: »Willkommen.«
»Danke.«
»Mein Name ist Sanae Doi.« Ihre Stimme war weich und melodisch.
»Ich heiße Masao.« Er zögerte. »Masao Harada.«
Masao blickte auf und sah, daß Heller ihn quer durch die Fabrikhalle anstarrte. Er wird mir Schwierigkeiten machen, dachte Masao.
»Fang lieber an zu arbeiten«, flüsterte Sanae. »Mr. Heller kann es nicht leiden, wenn jemand nichts tut. Soll ich dir zeigen, was du zu tun hast?«
»Vielen Dank. Ich glaube, ich weiß schon Bescheid«, sagte Masao. Und während Sanae zuschaute, griff Masao nach den elektronischen Teilen vor ihm und begann, sie zusammenzubauen. Er arbeitete mit einer angeborenen Geschicklichkeit, jede Bewegung war rasch und präzise.
Sanae sah staunend zu. So etwas hatte sie noch nie gesehen. »Du … du bist sehr gut«, sagte sie.
»Vielen Dank.« Masao machte es Freude, mit seinen Händen zu arbeiten. Aber er wußte, daß es ihn irgendwann langweilen würde. Jetzt war es natürlich egal, er war nur hier, weil das ihm Sicherheit bot – getarnt als einer unter vielen Arbeitern seiner eigenen Firma. Seine Finger hantierten ganz automatisch mit den Montageteilen, aber seine Gedanken waren bei anderen Dingen. Er würde Schwierigkeiten bekommen, falls es ihm nicht gelang, eine Versicherungskarte herbeizuschaffen. Ein anderes Problem war, wie er eine Unterkunft finden sollte. Er hatte nur noch wenig übrig von den hundert Dollar, die er bei dem Wettlauf gewonnen hatte. Zahltag war erst in einer Woche, und bis dahin würden die paar Dollars nicht ausreichen.
In der Fabrik gab es vormittags eine Kaffeepause und eine am Nachmittag, und die Nachmittagspause nutzte Masao, um sich einmal im ganzen Betrieb umzusehen. Hier und da blieb er stehen, um sich mit den Arbeitern zu unterhalten. Sie schienen sehr tüchtig und interessierten sich für ihre Arbeit. Durch beiläufige Fragen erfuhr Masao, daß sie zufrieden und stolz waren, hier zu arbeiten. Mein Vater, dachte Masao, hätte sich gefreut. Das einzige Problem, soweit Masao sehen konnte, war Oscar Heller, der Vorarbeiter. Er war ein Leuteschinder, und die Arbeiter fürchteten ihn und versuchten, seinem Zorn zu entgehen. Wieder fragte sich Masao, wie es geschehen konnte, daß man Mr. Heller die Aufgabe eines Vorarbeiters übertragen hatte. Immer wenn Masao mit anhören mußte, wie Mr. Heller eine der Frauen wegen eines kleinen Fehlers anbrüllte, wollte er am liebsten dazwischentreten – aber er wußte, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als den Mund zu halten und nicht aufzufallen.
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