Gut, hätte sie vor jener Nacht auf diese Frage geantwortet. Alles bestens.
Sie war in dem Jahr, in dem John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt wurde, als Darcellen Madsen (Darcellen, ein Name, den nur Eltern, die von einem frisch gekauften Buch mit Kindernamen fasziniert waren, lieben konnten) auf die Welt gekommen. Sie wuchs in Freeport, Maine, auf, als es noch eine Kleinstadt war, kein bloßes Anhängsel von L. L. Bean’s, Amerikas erstem Superstore, und einem halben Dutzend weiterer übergroßer Einzelhandelsgeschäfte, die sich »Outlets« nannten (als wären sie Gullyabflüsse statt Verkaufsstellen). Sie besuchte die Freeport High School, dann die Addison Business School, wo sie eine Sekretärinnenausbildung erhielt. Angestellt wurde sie von der Firma Joe Ransome Chevrolet, die bei ihrem Ausscheiden im Jahr 1986 der größte Autohändler Portlands war. Sie war farblos, lernte aber von zwei etwas kultivierteren Freundinnen genügend Make-up-Tricks, um sich an Werktagen hübsch zu machen und an Freitag- und Samstagabenden, wenn sie
Im Jahr 1982 heuerte Joe Ransome eine Steuerberatungsfirma aus Portland an, die ihm helfen sollte, seine kompliziert gewordene steuerliche Situation zu klären (»Die Art Problem, die man gern hätte«, hörte Darcy ihn zu einem der Seniorverkäufer sagen). Zwei Männer mit Aktenkoffer kamen heraus; der eine alt, der andere jung. Beide trugen eine Brille und konservative Anzüge; beide kämmten ihr Haar auf eine Weise aus der Stirn zurück, die Darcy an die Fotos in MEMORIES OF’54 erinnerte, das Highschool-Jahrbuch ihrer Mutter mit dem Bild (in Blindprägung) eines Jungen, der als Cheerleader mit einem Megafon am Mund den Kunstlederband schmückte.
Der jüngere Steuerberater war Bob Anderson. Sie kam am zweiten Tag seiner Arbeit im Haus mit ihm ins Gespräch und erkundigte sich im Lauf der Unterhaltung, ob er irgendwelche Hobbys habe. Ja, sagte er, er sei Numismatiker.
Er wollte ihr erklären, was das sei, aber sie sagte: »Ich weiß Bescheid. Mein Vater sammelt Lady-Liberty-Dimes und Büffelkopf-Nickels. Er sagt, dass sie sein numismatisches Steckenpferd sind. Haben Sie auch ein Steckenpferd, Mr. Anderson?«
Er hatte eines: Weizen-Pennys. Seine größte Hoffnung war es, eines Tages auf einen Cent aus dem Jahr 1955 mit Doppeldatum zu stoßen, der …
Aber auch das wusste sie. Diese Münze mit Doppeldatum war eine Fehlprägung. Eine wertvolle Fehlprägung.
Der junge Mr. Anderson, der mit dem dichten, sorgfältig gescheitelten braunen Haar, war von dieser Antwort entzückt. Er forderte sie auf, ihn Bob zu nennen. Später beim Lunch - den sie auf einer Bank hinter der Karosseriewerkstatt Ein gutes Stück zu einem fairen Preis war eine Redewendung, die ihr in den kommenden Jahren behaglich vertraut werden würde.
Er war so farblos wie sie selbst, nur irgendein Kerl, an dem man auf der Straße vorbeigehen würde, ohne ihn zu bemerken, und würde niemals Make-up auftragen, um hübscher auszusehen … aber an diesem Tag auf der Bank trug er welches. Er errötete nämlich leicht, als er sie das fragte, eben genug, um ihn lebhafter erscheinen zu lassen und ihm etwas Farbe zu verleihen.
»Keine Münzsammlungen?«, neckte sie ihn.
Er lächelte und ließ dabei ebenmäßige Zähne sehen. Kleine Zähne, gut gepflegt und weiß. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, der Gedanke an diese Zähne könnte sie erschaudern lassen … wieso denn auch?
»Einen hübschen Satz Münzen würde ich mir natürlich ansehen«, sagte er.
»Vor allem Weizen-Pennys?« Noch immer neckend, aber nur ein bisschen.
»Die ganz besonders. Möchten Sie kommen, Darcy?«
Sie kam. Und sie kam auch in ihrer Hochzeitsnacht. Danach nicht mehr so schrecklich oft, aber doch ab und zu. Oft genug, um sich als normal und erfüllt zu empfinden.
Im Jahr 1986 wurde Bob befördert. Außerdem machte er (von Darcy ermutigt und unterstützt) einen kleinen Versandhandel für amerikanische Sammlermünzen auf. Er war von Anfang an erfolgreich und nahm ab 1990 auch Baseball-Tauschbilder
Wie ist Ihre Ehe?
Sie war gut. Eine gute Ehe. Donnie wurde 1986 geboren - sie gab ihre Arbeit auf, um ihn zu bekommen, und nahm danach keinen Job mehr an, außer dass sie bei Anderson Coins & Collectibles mithalf -, und Petra wurde 1988 geboren. Unterdessen wurde Bob Andersons dichtes braunes Haar vom Wirbel ausgehend dünn, und im Jahr 2002, als Darcys Macintosh-Computer den gesamten Inhalt ihrer Rolodex-Kartei schluckte, hatte er dort oben eine große glänzende kahle Stelle. Er experimentierte mit verschiedenen Methoden, die verbliebenen Haare drüberzukämmen, was die kahle Stelle ihrer Meinung nach nur auffälliger machte. Und er irritierte sie, indem er zwei der magischen Alles-wächst-wieder-Mittel ausprobierte - Zeug von der Sorte, die von verschlagen aussehenden Propagandisten spätnachts im Kabelfernsehen vertrieben wurde (Bob Anderson war eine Art Nachteule geworden, als er ins mittlere Alter glitt). Er erzählte ihr nicht, dass er das Zeug bestellt hatte, aber sie teilten sich ein Schlafzimmer, und Das ist Magie natürlich nie.
Aber irritiert oder nicht, sie hatte in Bezug auf die magischen Haarwuchsmittel den Mund gehalten - und auch in Bezug auf den gebrauchten Chevy Suburban, den er aus irgendeinem Grund ausgerechnet in dem Jahr kaufen musste, in dem die Benzinpreise wirklich zu steigen begannen. Wie er seinen Mund gehalten hatte, nahm sie an (eigentlich wusste sie das sogar), als sie auf guten Sommercamps für die Kinder, einer E-Gitarre für Donnie (er hatte zwei Jahre lang gespielt, lange genug, um überraschend gut zu werden, und dann plötzlich damit aufgehört) und Reitstunden für Petra bestanden hatte. Eine erfolgreiche Ehe war ein Balanceakt - das war etwas, was jeder wusste. Eine erfolgreiche Ehe hing auch davon ab, dass man viel Ärger hinunterschluckte - das war etwas, was Darcy wusste. Wie es in einem Song von Stevie Winwood hieß: You just roll widdit, baby.
Sie rollte mit. Und er auch.
Im Jahr 2004 nahm Donnie sein Studium an einem College in Pennsylvania auf. Ab 2006 studierte Petra am Colby College, ganz in der Nähe in Waterville. Unterdessen war Darcy Madsen-Anderson sechsundvierzig Jahre alt. Bob war neunundvierzig und betreute Jungpfadfinder gemeinsam mit dem Bauunternehmer Stan Morin, der eine halbe Meile von ihnen entfernt wohnte. Sie fand, ihr kahl werdender Ehemann sehe in Khakishorts und den braunen
Im Jahr 2009, fünfundzwanzig Jahre nach ihrem Jawort in einer kleinen Baptistenkirche, die es nicht mehr gab (wo sie gestanden hatte, lag jetzt ein Parkplatz), schmissen Donnie und Petra im The Birches in Castle View eine Überraschungsparty für sie. Es gab über fünfzig Gäste, Champagner (vom Feinsten), Filetspitzen, einen dreistöckigen Kuchen. Das Jubelpaar tanzte wie damals bei der Hochzeit ihm peinlichen) kahlen Stelle passte, war er für einen Steuerberater noch immer extrem flink auf den Beinen.
Aber alles das war nur Geschichte, der Stoff, aus dem Nachrufe waren, und sie waren noch zu jung, um an die zu denken. Es ignorierte die Details einer Ehe, und solche gewöhnlichen Mysterien waren nach ihrer Überzeugung (ihrer festen Überzeugung) der Kitt, der eine Partnerschaft dauerhaft machte. Wie damals, als sie verdorbene Shrimps gegessen und sich die ganze Nacht hatte übergeben müssen: auf der Bettkante sitzend, während ihr schweißnasses Haar ihr im Nacken klebte und Tränen über ihr hektisch gerötetes Gesicht liefen. Bob hatte neben ihr gesessen, geduldig den Eimer gehalten und ihn nach jedem Spuckanfall ins Bad getragen und ausgespült - damit ihr von dem Geruch nicht noch schlechter wurde, hatte er gesagt. Er hatte den Wagen warm laufen lassen, um sie um sechs Uhr am nächsten Morgen in die Notaufnahme zu fahren, als die schreckliche Übelkeit dann endlich abzuklingen begann. Er hatte sich bei B, B & A krankgemeldet; außerdem hatte er eine Geschäftsreise nach White River abgesagt, um ihr für den Fall, dass die Übelkeit zurückkam, zur Seite stehen zu können.
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