»Das wissen wir nicht. Aber er war alt, wie Ihr sehen könnt.«
»Was wir von ihm wollten, war sehr dringend«, sagte Marek. »Wenn wir vielleicht seine persönliche Habe sehen könnten —«
»Er hatte keine persönliche Habe.«
»Aber doch sicher ein paar private Dinge -«
»Er lebte sehr einfach.«
Marek fragte: »Darf ich seine Zelle sehen?«
»Es tut mir leid, aber das ist nicht möglich.«
»Aber ich wäre Euch sehr verbunden, wenn -«
»Bruder Marcel lebte in der Mühle. Seine Zelle ist schon seit vielen
Jahren dort.«
»Aha.« Die Mühle war jetzt unter der Kontrolle von Olivers Truppen. Dort konnten sie nicht hin, zumindest nicht im Augenblick. »Aber vielleicht kann ich Euch helfen. Sagt mir, was wolltet Ihr so Dringendes von ihm?«
»Es ist eine private Angelegenheit«, erwiderte Marek. »Ich kann nicht darüber sprechen.«
»Hier gibt es nichts Privates«, sagte der Mönch und bewegte sich langsam auf die Tür zu. Marek hatte den starken Eindruck, daß er gleich Alarm schlagen würde.
»Es geht um eine Bitte von Magister Edwardus.« »Magister Edwardus!« Das Verhalten des Mönchs änderte sich völlig. »Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt? Und wie steht Ihr zu Magister Edwardus?«
»Fürwahr, wir sind seine Gehilfen.« »Certum?«
»In der Tat, das ist so.«
»Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt? Magister Edwardus ist hier höchst willkommen, denn er hat dem Abt einen Dienst erwiesen, bevor er von Sir Oliver gefangengesetzt wurde.« »Oh.«
»Kommt unverzüglich mit mir«, sagte der Mönch. »Der Abt wird Euch zu sehen wünschen.«
»Aber wir haben —«
»Der Abt wird es wünschen. Kommt.«
Wieder draußen im Sonnenlicht sah Marek, daß sich jetzt viele Soldaten in den Höfen des Klosters aufhielten. Und diese Soldaten lungerten nicht herum; sie waren wachsam und bereit zur Schlacht. Das Haus des Abts war ein kleines, reich mit Schnitzwerk verziertes Holzhaus in einem entfernten Winkel des Klosters. Sie wurden in ein kleines, holzgetäfeltes Vorzimmer geführt, in dem ein älterer Mönch, gebückt und schwer wie eine Kröte, vor einer geschlossenen Tür saß. »Ist Mylord der Abt anwesend?« »Fürwahr, er unterweist gerade eine Büßerin.«
Aus dem angrenzenden Zimmer hörten sie ein rhythmisches knarzendes Geräusch.
»Wie lange wird er mit ihr beten?«
»Es kann noch eine gute Weile dauern«, sagte die Kröte. »Sie ist rückfällig. Sie frönt der Wiederholung ihrer Sünden.« »Wollt Ihr die Güte haben, diese würdigen Herren hier unserem ehrwürdigen Abt vorzustellen«, sagte der Mönch, »denn sie bringen Neuigkeiten von Edwardus de Johnes.«
»Seid gewiß, daß ich es ihm sage«, erwiderte die Kröte gelangweilt. Aber Marek sah plötzliches Interesse in den Augen des alten
Mannes aufblitzen. Die Mitteilung schien ihm wichtiger zu sein, als er sich anmerken ließ.
»Es geht schon auf die Terz zu«, sagte die Kröte mit einem Blick auf die Sonne. »Werden Eure Gäste an unserem schlichten Morgenmahl teilnehmen?«
»Vielen Dank, aber nein, wir —«sagte Marek. Chris hüstelte. Kate stieß Marek in den Rücken. Marek sagte: »Wir nehmen dankend an, wenn es keine zu große Mühe macht.« »Bei der Gnade Gottes, Ihr seid willkommen.«
Sie wollten eben aufbrechen, als ein junger Mönch atemlos ins Zimmer stürzte. »Mylord Arnaut ist auf dem Weg. Er wünscht den Abt sofort zu sehen!«
Die Kröte sprang auf und sagte zu ihnen: »Geht auf der Stelle!« Und öffnete eine Seitentür.
Und so fanden sie sich in einem kleinen, schlichten Zimmer neben dem Gemach des Abts wieder. Das Knarzen des Betts verstummte, sie hörten das Murmeln der Kröte, die eindringlich mit dem Abt sprach. Einen Augenblick später ging eine andere Tür auf, und eine Frau kam herein. Ihre Beine waren nackt, das Gesicht war gerötet, und sie ordnete hastig ihre Kleider. Sie mußte außergewöhnlich schön sein. Als sie sich umdrehte, sah Chris erstaunt, daß es Lady Claire war. Sie bemerkte seinen Blick und fragte: »Warum starrt Ihr so?« »Äh, Mylady...«
»Squire, Eure Miene ist höchst unangebracht. Wie könnt Ihr es wagen, über mich zu urteilen? Ich bin eine Edelfrau, allein in fremden Landen, ohne Beschützer, der mich führt und verteidigt. Und doch muß ich nach Bordeaux reisen, das über hundert Meilen entfernt liegt, und von dort nach England, um Anspruch zu erheben auf die Ländereien meines Gatten. Das ist meine Pflicht als Witwe, und in diesen Zeiten des Krieges und des Aufruhrs werde ich ohne Zögern alles tun, was nötig ist, um dies zu erreichen.«
Chris dachte, daß Zögerlichkeit eindeutig nicht zum Charakter dieser Frau gehörte. Er war verblüfft über ihre Kühnheit. Marek dagegen sah sie mit offener Bewunderung an. »Ich bitte Euch, My-lady, vergebt ihm«, erwiderte er gewandt, »er ist noch jung und oft gedankenlos.«
»Die Umstände ändern sich. Ich brauchte eine Empfehlung, die nur der Abt mir geben konnte. Was mir an Überzeugungskunst zur Verfügung steht, benutze ich.« Lady Claire hüpfte von einem Fuß auf den anderen, um das Gleichgewicht zu halten, während sie ihre Beinlinge anzog. Sie band sie zu, strich dann ihre Kutte glatt, setzte die Haube auf und band sie mit geschickten Fingern unter dem Kinn zu, so daß nur noch ihr Gesicht zu sehen war.
Nun sah sie aus wie eine Nonne. Ihr Verhalten wurde demütiger, ihre Stimme leiser, sanfter.
»Nun wißt Ihr, durch eine Fügung des Schicksals, was ich eigentlich niemanden wissen lassen wollte. So bin ich Euch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und bitte Euch um Euer Schweigen.« »Ihr habt es«, sagte Marek, »denn Eure Angelegenheiten gehen uns nichts an.«
»Und Ihr habt dafür mein Schweigen«, erwiderte sie. »Denn es ist offensichtlich, daß der Abt Euer Hiersein vor Arnaut de Cervole verheimlichen will. Habe ich Euer Wort?«
»Fürwahr, Mylady, Ihr habt es.«
»Ja, Mylady«, sagte Chris.
»Ja, Mylady«, sagte Kate.
Als Claire Kates Stimme hörte, runzelte sie die Stirn und ging dann zu ihr. »Sprecht Ihr wahr?«
»Ja, Mylady«, sagte Kate noch einmal.
Claire strich mit der Hand über Kates Brust und spürte ihren Busen unter dem straffen Brusttuch. »Ihr habt Euch die Haare abgeschnitten, Maid«, sagte sie. »Wißt ihr, daß eine Frau, die sich als Mann verkleidet, mit dem Tode bestraft werden kann?« Sie sah Chris an, als sie dies sagte.
»Wir wissen es«, sagte Marek.
»Ihr müßt Eurem Magister sehr ergeben sein, wenn Ihr Euer Geschlecht aufgebt.«
»Das bin ich, Mylady.«
»Dann bete ich für Euch, daß Ihr es überlebt.«
Die Tür öffnete sich, und die Kröte winkte ihnen. »Würdige Herren, kommt. Mylady, bitte bleibt, der Abt wird Euch schon bald zu Gefallen sein. Aber Ihr würdigen Herren, bitte kommt mit mir.« Draußen im Hof beugte sich Chris zu Marek und flüsterte: »Andre, diese Frau ist das reinste Gift.«
Marek lächelte. »Ich gebe zu, daß sie ein gewisses Feuer hat...« »Andre, ich sag's dir. Du kannst ihr kein Wort glauben.« »Ach wirklich? Ich finde, sie war erstaunlich aufrichtig«, sagte Marek. »Sie sucht Schutz. Und sie tut gut daran.« Chris starrte ihn an. »Schutz?«
»Ja. Sie sucht einen Beschützer«, erwiderte Marek nachdenklich. »Einen Beschützer? Von was redest du? Wir haben nur noch -wie viele Stunden sind es noch?«
Marek sah auf seinen Timer am Armband. »Elf Stunden und zehn Minuten.«
»Und was soll das dann mit dem Beschützer?«
»Ach, das war nur so ein Gedanke«, sagte Marek. Er legte Chris den
Arm um die Schulter. »Ist nicht wichtig.«
Sie saßen zusammen mit vielen Mönchen an einem langen Tisch in einem großen Saal, eine Schüssel mit dampfender Suppe vor sich und in der Mitte des Tisches große Vorlegeplatten, auf denen sich Gemüse, Rindfleisch und gebratene Kapaune türmten. Niemand rührte auch nur einen Muskel, alle hatten die Köpfe zum Gebet gesenkt, und die Mönche sangen:
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