»Sehr gut«, entgegnete Marek. »Ja. Das ist ein Feldstein, ein Grenzzeichen. Man sieht sie hier überall.«
Zwischen den Feldern hindurch gingen sie zur drei Meter hohen Mauer, die das Kloster umgab. Die Bauern auf den Feldern achteten nicht auf sie. Auf dem Fluß trieb ein Lastkahn, die Fracht in Tuchbahnen verpackt. Der Bootsführer im Heck sang fröhlich. Vor dem Kloster drängten sich die Hütten der Bauern, die auf den Feldern arbeiteten. Dahinter entdeckten sie eine kleine Tür in der Mauer. Das Kloster umfaßte ein so großes Gelände, daß es Türen an allen vier Seiten hatte. Dies hier war nicht der Haupteingang, aber Marek hielt es für besser, erst hier zu klopfen.
Sie gingen eben zwischen den Hütten hindurch, als sie das Schnauben eines Pferdes und eine leise, beruhigende Stimme hörten. Marek streckte die Hand aus, um Kate zu stoppen. »Was ist?« flüsterte sie.
Er deutete. Etwa zwanzig Meter entfernt und hinter den Hütten nicht gleich zu erkennen, standen fünf Pferde, die von einem Burschen gehalten wurden. Die Pferde waren reich geschmückt, die Sättel mit rotem, silberbesetztem Samt bedeckt. Streifen roten Samts hingen an den Flanken herab.
»Das sind keine Ackergäule«, sagte Marek. Doch die Reiter konnte er nirgendwo entdecken.
»Was sollen wir tun?« fragte Kate.
Chris folgte dem Jungen zum Dorf von Castelgard, als plötzlich sein
Ohrstöpsel knisterte. Er hörte Kate sagen: »Was sollen wir tun?«, und
Marek antwortete: »Ich weiß nicht so recht.«
Chris sagte: »Habt ihr den Professor gefunden?«
Der Junge drehte sich um und sah ihn an. »Sprecht Ihr mit mir, Squire?«
»Nein, nein«, sagte Chris. »Mit mir selbst.«
»Mittemir sehst?« wiederholte der Junge und schüttelte den Kopf. »Eure Sprache ist schwer zu verstehen.« Im Ohrstöpsel sagte Marek: »Chris? Wo zum Teufel bist du?« »Jetzt gehe ich zur Burg«, sagte Chris laut. »An diesem wundervollen Tag.« Er schaute dabei zum Himmel hoch und tat so, als würde er mit sich selbst sprechen.
Er hörte Marek sagen: »Warum gehst du dorthin? Bist du noch bei diesem Jungen?«
»Ja, wirklich wundervoll.«
Der Junge drehte sich wieder um und sah ihn mit besorgtem Gesicht an.
»Sprecht Ihr mit der Luft? Seid Ihr bei Sinnen?«
»Ja«, sagte Chris. »Ich bin bei Sinnen. Ich wünsche mir nur, daß meine
Gefährten in der Burg zu mir stoßen.«
»Warum?« fragte Marek.
»Ich bin mir gewiß, daß Eure Gefährten zur rechten Zeit zu Euch stoßen werden«, sagte der Junge. »Erzählt mir von Euren Gefährten. Sind auch sie Iren? Sind sie Edle wie Ihr oder Diener?«
In seinem Ohr hörte er Marek sagen: »Warum hast du ihm gesagt, daß du edel bist?«
»Weil es mir entspricht.«
»Chris. >Edel< bedeutet, daß du von Adel bist. Edelmann, Edelfrau. Es bedeutet von hoher Geburt. Damit ziehst du nur die Aufmerksamkeit auf dich und provozierst peinliche Fragen nach deiner Familie, die du nicht beantworten kannst.« »Oh«, sagte Chris.
»Gewiß entspricht es Euch«, sagte der Junge. »Und Euren copains ebenso? Sind sie ebenfalls Edle?«
»Ihr sprecht wahr«, sagte Chris. »Auch meine Gefährten sind Edle.« »Chris, verdammt noch mal«, sagte Marek durch den Ohrstöpsel. »Mach keine Faxen mit Sachen, die du nicht verstehst. Du beschwörst nur Schwierigkeiten herauf. Und wenn du so weitermachst, bekommst du sie auch.«
Marek, der am Rand des Hüttendorfes stand, hörte Chris sagen: »Sucht ihr einfach den Professor, okay?«, und dann stellte der Junge Chris eine andere Frage, die jedoch in statischem Rauschen untergingMarek drehte sich um und schaute über den Fluß zu Castelgard hinüber. Er sah den Jungen, der einige Schritte vor Chris ging. »Chris«, sagte Marek. »Ich kann dich sehen. Kehr um und triff dich hier mit uns. Wir müssen zusammenbleiben.« »Höchst schwierig.« »Warum?« fragte Marek frustriert.
Chris antwortete ihm nicht direkt. »Und wer, guter Knabe, sind wohl die Reiter am anderen Ufer?« Anscheinend redete er mit dem Jungen. Marek drehte den Kopf und entdeckte am Flußufer Reiter, die ihre Pferde saufen ließen und Chris und dem Jungen nachschauten. »Das ist Sir Guy de Malegant, genannt >Guy Tete Noire<. Er steht in den Diensten von Mylord Oliver. Sir Guy ist ein hochberühmter Mann — wegen seiner vielen Gemetzel und Schurkenstreiche.« Kate, die ebenfalls zuhörte, sagte: »Er kann nicht zu uns kommen wegen dieser Reiter.«
»Ihr sprecht wahr«, sagte Chris.
Marek schüttelte den Kopf. »Er hätte überhaupt nie weggehen sollen.« Hinter ihnen knarzte eine Tür, und Marek drehte sich um. Die vertraute Gestalt von Professor Johnston trat durch die Seitentür in der Klosterwand in die Sonne. Er war allein.
35:31:11
Edward Johnston trug ein dunkelblaues Wams und schwarze Beinlinge, schlichte Kleidung mit wenig Verzierung und Stickereien, die ihm ein konservatives, gelehrtes Aussehen gabe. Wirklich wie ein Londoner Schreiber auf einer Pilgerreise, dachte Marek. Wahrscheinlich war Geoffrey Chaucer, ein anderer Schreibern dieser Zeit, auf seiner Pilgerreise ähnlich gekleidet gewesen.
Der Professor trat achtlos in die Morgensonne und taumelte dann ein wenig. Sie stürzten sofort zu ihm und sahen daß er keuchte. Seine ersten Worte waren: »Habt ihr einen Marker?« »Ja«, sagte Marek. »Seid ihr nur zu zweit?«
»Nein, Chris ist auch dabei. Aber er ist nicht hier.« Johnston schüttelte leicht verärgert den Kopf. »Na gut. Ganz schnell die Lage. Oliver ist in Castlegard« - er nickte Richtung der Stadt am anderen Ufer - »aber er will nach La Roque umziehen , bevor Arnaut eintrifft. Seine größten Befürchtungen geltendem Geheimgang, der nach La Roque führt. Oliver will wissen, wo er ist. Jeder hier in der Gegend will ihn unbedingt entdecken, weil sowohl Oliver als auch Arnaut ihn dringend brauchen. Er ist der Schlüssel zu allem. Die Leute hier halten mich für weise. Der Abt hat mich gebeten, in den alten Dokumenten zu forschen, und ich habe herausgefunden-«
Die Tür hinter ihnen öffnete sich, und Soldaten in kastanienbraunen und grauen Überwürfen stürzten auf sie zu. Sie packten Marek und Kate, stießen sie grob in den Staub, und Kate hätte beinahe ihre Perücke verloren. Mit dem Professor dagegen gingen sie sehr behutsam und respektvoll um, sie rührten ihn nicht an, als wollten sie ihm nur Geleitschutz geben. Marek, der wieder aufstand und sich den Staub abklopfte, kam es so vor, als hätten sie den Befehl, ihm kein Haar zu krümmen.
Marek sah schweigend zu, wie Johnston und die Soldaten ihre Pferde bestiegen und auf der Straße davonritten. »Was sollen wir tun?« flüsterte Kate.
Der Professor tippte sich ans Ohr. In einem Singsang, als würde er beten, hörten sie ihn sagen: »Folget mir. Ich will versuchen, uns alle zusammenzubringen. Ihr holt Chris.«
35:25:18
Chris und der Junge erreichten nun den Eingang zu Castelgard: ein Flügeltor, mit starken Eisenbändern verstärkt. Das Tor stand offen und wurde von einem Soldaten mit einem Überwurf in Kastanienbraun und Grau bewacht. Er empfing sie mit den Worten: »Wollt Ihr ein Zelt aufstellen? Ein Tuch auslegen? Kostet Euch fünf Sol, wenn Ihr am Turniertag auf dem Markt was verkaufen wollt.« »Non sumus mercatores«, sagte der Junge. »Wir sind keine Händler.« Chris hörte den Posten antworten: »Anthoubeest, ye schule payen. Quinquesols maintenant, aut decem postea.« Aber die Übersetzung folgte nicht sofort; offenbar sprach der Mann eine merkwürdige Mischung aus Englisch, Französisch und Latein. Dann hörte er: »Wenn Ihr welche seid, müßt Ihr zahlen. Fünf Sol jetzt, oder zehn später.«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Seht Ihr irgendwo Waren?«
»Herkle, non.« Im Ohrstöpsel: »Beim Herkules, nein.«
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