Ich sehe wie ein echter Stierkämpfer aus, dachte er. Das macht wirklich Spaß.
Capitan Torres sagte: »Also, denken Sie daran, daß Sie einen sehr sanften Stier vor sich haben, wenn Sie draußen sind. Den heißen sie sogar nur die kleine Kuh. Er ist ganz ungefährlich. Aber Sie müssen natürlich einen echten und wilden Kampf spielen. Passen Sie vor allem auf, daß er sich nicht mitten in der Arena zum Schlafen hinlegt. Halten Sie ihn wach. Wenn es sein muß, stechen Sie ihn ein bißchen.«
»Keine Sorge«, sagte Eddie. »Ich mache schon, daß es wie ein echter Kampf aussieht.«
Aus der Arena draußen hörten sie die Stimme des Ansagers über die Lautsprecher.
»Meine Damen und Herren, es ist uns eine Ehre und ein Vergnügen, Ihnen jetzt den geliebten Führer unseres Landes anzukündigen, unseren großherzigen und wohltätigen Diktator Colonel Ramon Bolivar!«
Alles blieb still. Niemand applaudierte oder jubelte.
Eddie war verblüfft.
»Die Leute sind ja so still«, sagte er.
Capitan Torres lieferte hastig eine Erklärung. »Das ist deswegen, weil sie so viel Respekt für den Colonel hegen, daß sie vor Ehrfurcht stumm bleiben.«
»Aha.«
»Begeben Sie sich jetzt hinaus in die Arena. Und denken Sie daran, was wir besprochen haben. Es muß aufregend wirken.«
»Schon gut«, sagte Eddie.
Und er ging hinaus in die riesige Stierkampfarena. Dort saßen viele tausend Menschen und warteten auf den Anfang des Schauspiels. Und sie hofften, daß ihr verachteter Diktator ums Leben käme.
In den Stallungen für die Stiere führte Juan den kleinen, zahmen Bullen weg und dafür den wilden El Negro in den Pferch für die Arena. El Negro war ein riesiger, pechschwarzer Stier von schnaubendem Temperament. Er schlug und stieß und versuchte jeden, der ihm nahekam, mit seinen Hörnern aufzuspießen. Alle nahmen sich in acht vor ihm. Seine Hörner waren rasiermesserscharf, und seine Hufe und Klauen konnten tödlich sein. Schließlich aber hatten sie ihn an Ort und Stelle.
»Gut«, sagte Juan, »auf das Gatter.«
Das Sperrgatter wurde hochgezogen, und El Negro stürmte schnaubend hinaus in die Arena. Dort blieb er stehen, und seine funkelnden Augen wanderten über die versammelte Menge hin.
Der ist größer, als ich dachte, sagte Eddie zu sich selbst, als er ihn erblickt hatte.
Eddie hob sein Cape. »Also gut, Junge, dann komm«, murmelte er. »Lassen wir es wie einen richtigen Kampf aussehen.«
Der Stier sah das rote Tuch, schnaubte und raste los wie ein Schnellzug, direkt auf Eddie zu.
So jetzt, dachte Eddie, nun mal elegant, daß es gekonnt aussieht.
Knapp vor dem Stier trat er leichtfüßig einen Schritt zur Seite. El Negro trampelte an ihm vorbei.
Er sieht richtig wild aus, dachte Eddie. Würde man nie glauben, daß das ein Zahmer ist.
In der Ehrenloge sah Capitan Torres mit Entsetzen, was sich da begab. Er traute seinen Augen nicht. Entgegen seiner ausdrücklichen Anweisung hatte jemand ausgerechnet den Killerstier El Negro in die Arena hinausgelassen!
O mein Gott, dachte er, der bringt den Eddie um, und das ist dann das Ende von uns allen.
Eddie aber machte die Sache bereits Spaß.
Einige alte Tanzschritte, die er einmal in einem Musical gebraucht hatte, fielen ihm wieder ein, und mit diesen tänzelte er seitwärts, als der Bulle daherstürmte, und ließ ihn erneut ins Leere laufen.
Das Publikum begann unwillkürlich in Begeisterung zu geraten und ihm zuzujubeln, eigentlich gegen alle Absicht. Den Mut des Mannes in der Arena mußte man anerkennen. Alle wußten, wie wild dieser El Negro war und wie viele Toreros er schon auf dem Gewissen hatte. Und jetzt stellte sich sogar ihr Diktator zum todesmutigen Kampf gegen ihn.
Eddie hatte den Spaß seines Lebens. Er hielt sich mit Tänzelschritten immer ordentlich auf Distanz von dem Stier und triezte ihn. »Na, nun komm schon, kleine Kuh , komm, hab keine Angst vor mir!«
Schließlich war der Stier so außer Atem und erschöpft, daß er schwer schnaufend stehenblieb, weil er diesen seltsamen Menschen, der ihm ständig so geschickt herumtänzelnd auswich, nicht auf die Hörner bekam.
Es war Zeit, den Stier zu töten, Eddie aber dachte gar nicht daran. Er hob seinen Degen und sah ins Publikum.
Und die Leute schrien: »Laß ihn leben, laß ihn leben.«
Und Eddie nickte zufrieden dazu.
Noch immer verfolgt vom Jubel des Publikums kam er zurück in die Garderobe. Hätte nie geglaubt, dachte er, daß Stierkampf so einfach ist.
Capitan Torres erwartete ihn bereits. Er war kreidebleich.
»Das hat richtig Spaß gemacht«, sagte Eddie. »Kann ich das nächsten Sonntag wieder machen?«
Capitan Torres atmete tief durch, ehe er antwortete. »Jemand«, sagte er, »hat die Stiere vertauscht, wissen Sie. Sie haben soeben gegen den wildesten und gefährlichsten Stier von ganz Amador gekämpft.«
Da fiel Eddie in Ohnmacht.
Juan und seine Gruppe diskutierten wieder einmal, wie man Colonel Bolivar endlich beseitigen könnte.
»Der Mann muß einen besonderen Schutzengel haben«, sagte Juan kopfschüttelnd. »Viermal habe ich es jetzt versucht, und jedesmal schien es ganz sicher zu sein, aber jedesmal ging es schief. Als wäre ein Zauber um ihn.«
»Da ist kein Zauber«, widersprach einer der anderen Männer zornig. »Er ist genauso sterblich wie wir alle. Er kann also auch getötet werden.«
»Er muß sogar getötet werden. Das Volk hungert.«
»Nun, Moment mal«, sagte da jedoch ein Dritter. »Überlegt mal, was er kürzlich alles getan hat. Er hat die Steuern gesenkt, den Waisenkindern und Bauern geholfen, die Pressefreiheit wieder eingeführt, die politischen Gefangenen freigelassen und seine Villen den Obdachlosen geöffnet. Er scheint ein völlig veränderter Mensch zu sein.«
»Das ist alles nur Vorwand«, beharrte Juan. »Einer wie Colonel Bolivar ändert sich nie. Denkt an das alte Sprichwort: Macht verdirbt, und vollständige Macht verdirbt vollständig. Genau dies beschreibt den Mann exakt. Er ist rücksichtslos und geht über Leichen. Seht euch nur die Liste seiner Opfer an, die er umbringen ließ, weil sie ihm widersprachen, und all die Familien, die er zerstört hat.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, meine Freunde, so ein Mann ändert sich nicht. Ich sage euch, er muß beseitigt werden. Ich persönlich bin bereit, mein Leben dafür hinzugeben.«
»Ich ebenfalls«, sagte ein anderer.
»Genauso wie ich.«
»Und ich.« Und so waren sie am Ende doch wieder alle einer Meinung: Colonel Bolivar mußte beseitigt werden. Die Frage war nur, wie.
»Er hat seine Truppen zum Schutz um sich herum«, sagte Juan frustriert. »Wir müssen also irgendeine Möglichkeit finden, an diesen vorbeizukommen.«
Sie diskutierten noch lange, aber am Ende wußten sie doch nicht, wie sie es nun anstellen sollten. Einig waren sie lediglich in der Überzeugung, wie unerläßlich es sei, daß sie ein weiteres Attentat auf ihn verübten.
»Er richtet unser Land zugrunde«, stellte Juan fest, »und das können wir einfach nicht länger hinnehmen.«
Am nächsten Morgen nahm Eddie zehntausend Dollar von seinem Geld und ging damit zur Post. Die Arbeiter waren verdutzt, als sie ihn dort auftauchen sahen. Noch nie hatte er sich in dieser Umgebung blicken lassen.
»Ich möchte Geld verschicken«, sagte er.
»Jawohl.«
Alle Postbeamten griffen in ihre Taschen und holten alles Geld heraus, das sie einstecken hatten, um es ihm zu überreichen.
Eddie sah sie verwundert an. »Aber nein, nein, doch nicht euer Geld!« Er holte seine zehntausend Dollar heraus und legte sie auf den Schaltertisch. »Dieses Geld hier will ich schicken.«
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