»Ich brauche keinen Anwalt. Sie können mich gern auf die Probe stellen.«
Keith Rosson war ein ausgewiesener Experte für Lügendetektorbefragungen, einer der besten seines Fachs. Er mußte eigens eine Verabredung zum Abendessen absagen, aber wenn Sam Blake ihn um einen Gefallen bat, konnte er nicht nein sagen.
Ashley nahm in einem Sessel Platz und ließ sich die Elektroden ankleben. Rosson hatte sich bereits eine gute Dreiviertelstunde mit ihr unterhalten, sich nach ihrem Werdegang und ihrem Privatleben erkundigt, und dabei festzustellen versucht, in welchem Gemütszustand sie sich befand. Jetzt war er bereit.
»Fühlen Sie sich wohl?«
»Ja.«
»Gut. Fangen wir an.« Er drückte auf einen Knopf. »Wie heißen Sie?«
»Ashley Patterson.«
Rosson schaute Ashley an und warf dann einen kurzen Blick auf den Ausdruck.
»Wie alt sind Sie, Miss Patterson?«
»Achtundzwanzig.«
»Wo wohnen Sie?«
»Am Via Camino Court 10964 in Cupertino.«
»Sind Sie berufstätig?«
»Ja.«
»Mögen Sie klassische Musik?«
»Ja.«
»Kennen Sie Richard Melton?« »Nein.«
Auf dem Polygraph war nichts Ungewöhnliches festzustellen.
»Wo arbeiten Sie?«
»Bei der Global Computer Graphics Corporation.«
»Macht Ihnen Ihr Beruf Spaß?«
»Ja.«
»Sind Sie als Vollzeitkraft beschäftigt?«
»Ja.«
»Kennen Sie Jean Claude Parent?«
»Nein.«
Nach wie vor kein Ausschlag.
»Haben Sie heute morgen gefrühstückt?«
»Ja.«
»Haben Sie Dennis Tibble ermordet?«
»Nein.«
So ging es eine gute halbe Stunde lang weiter. Er erkundigte sich nach Belanglosigkeiten, stellte ihr dann unverhofft Fangfragen und wiederholte das Ganze dreimal in veränderter Reihenfolge.
Anschließend ging Keith Rosson in Sam Blakes Büro und reichte ihm den Ausdruck. »So sauber wie nur was. Eins zu hundert, daß die gelogen hat. Die war’s garantiert nicht.«
Ashley war fast schwindlig vor Erleichterung, als sie das Polizeirevier verließ. Gott sei Dank, das ist vorbei. Sie hatte Angst gehabt, daß man sie nach ihrem Vater fragen würde, doch das war nicht geschehen. Jetzt gibt es keinerlei Verbindung mehr zu meinem Vater, dachte Ashley. Ich muß mir keine Sorgen mehr machen.
Sie stellte ihren Wagen in der Tiefgarage ab und fuhr mit dem Aufzug hoch zu ihrer Wohnung. Sie schloß die Tür auf, ging hinein und schloß sämtliche Riegel hinter sich. Sie war todmüde und gleichzeitig bester Stimmung. Ein heißes Bad würde mir jetzt guttun, dachte Ashley. Sie ging ins Badezimmer und wurde kreidebleich. Du wirst sterben, hatte jemand mit hellrotem Lippenstift auf den Spiegel geschmiert.
Sie war schier außer sich. Ihre Hände zitterten derart, daß sie sich dreimal verwählte. Sie atmete tief durch und versuchte es ein weiteres Mal. Zwei ... neun ... neun ... zwei ... eins ... null . eins . Endlich bekam sie eine Verbindung.
»Sheriffdienststelle.«
»Deputy Blake, bitte. Es eilt!«
»Deputy Blake ist bereits nach Hause gegangen. Kann vielleicht jemand anders -?«
»Nein! Ich - könnten Sie ihn darum bitten, daß er mich zurückrufen soll? Mein Name ist Ashley Patterson. Ich muß ihn dringend sprechen.«
»Warten Sie bitte einen Moment. Mal sehen, ob ich ihn erreichen kann.«
Deputy Blake ließ das Geschrei seiner Frau seelenruhig über sich ergehen. »Mein Bruder läßt dich Tag und Nacht schuften wie einen Kuli, und das Gehalt, das er dafür zahlt, reicht hinten und vorne nicht. Wieso verlangst du nicht endlich eine Lohnerhöhung? Warum ?«
Sie saßen beim Abendessen. »Würdest du mir bitte die Kartoffeln reichen, meine Liebe?«
Serena nahm die Schüssel und knallte sie vor ihm hin. »Die wissen überhaupt nicht, was du leistest.«
»Ganz recht. Dürfte ich mal die Soße haben?«
»Hörst du mir überhaupt zu?« brüllte sie.
»Ganz genau, meine Liebe. Das Essen ist köstlich. Du bist eine prima Köchin.«
»Du Mistkerl. Wie soll ich mich denn mit dir streiten, wenn du dich nicht wehrst?«
Er kostete einen Bissen Kalbfleisch. »Das liegt daran, daß ich dich liebe, mein Schatz.«
Das Telefon klingelte. »Entschuldige bitte.« Er stand auf und nahm den Hörer ab.
»Hallo ... Ja ... Stellen Sie sie durch ... Miss Patterson.« Er hörte sie schluchzen.
»Jemand - hier ist etwas Schreckliches passiert. Sie müssen sofort vorbeikommen.«
»Bin schon unterwegs.«
Serena sprang auf. »Was? Willst du etwa schon wieder gehen? Mitten beim Abendessen?«
»Es handelt sich um einen Notfall, mein Schatz. Ich sehe zu, daß ich so schnell wie möglich wieder zurück bin.«
Sie musterte ihn argwöhnisch, als er seine Waffe umschnallte. Er beugte sich zu ihr herab und gab ihr einen Kuß. »Das Essen war wunderbar.«
Ashley öffnete ihm sofort die Tür. Ihre Wangen waren tränennaß. Sie zitterte am ganzen Leib.
Sam Blake ging in die Wohnung und blickte sich argwöhnisch um.
»Ist irgend jemand hier?«
»Je-jemand war hier.« Sie konnte sich nur mühsam beherrschen. »Se-sehen Sie ...« Sie führte ihn ins Badezimmer.
Deputy Blake las laut vor, was auf dem Badezimmerspiegel stand. »Du wirst sterben.«
Er wandte sich an Ashley. »Haben Sie eine Ahnung, wer das geschrieben haben könnte?«
»Nein«, sagte Ashley. »Das ist meine Wohnung. Niemand anders hat einen Schlüssel . Aber irgend jemand dringt hier ein ... Jemand, der mir nachstellt. Jemand will mich umbringen.« Sie brach in Tränen aus. »Ich - ich halte das nicht mehr aus.«
Sie weinte hemmungslos. Deputy Blake legte den Arm um sie und tätschelte ihr die Schulter. »Kommen Sie. Alles wird wieder gut. Wir geben Ihnen Personenschutz. Und wir werden herausfinden, wer dahintersteckt.«
Ashley holte tief Luft. »Entschuldigen Sie. Ich - ich führe mich normalerweise nicht so auf. Aber es - es war einfach schrecklich.«
»Unterhalten wir uns«, sagte Sam Blake.
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Von mir aus.«
»Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«
Sie saßen da und redeten bei etlichen Tassen heißem Tee miteinander. »Wann hat das Ganze angefangen, Miss Patterson?«
»Vor - vor etwa einem halben Jahr. Ich hatte das Gefühl, daß mir jemand folgt. Zuerst war es nur eine leise Ahnung, aber dann wurde es immer stärker. Ich wußte , daß mir jemand nachstellt, aber ich habe niemanden bemerkt. Dann ist jemand in meinen Computer in der Firma eingedrungen und hat ein Bild hinterlassen. Eine Hand mit einem Messer, die auf mich -auf mich einsticht.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?«
»Nein.«
»Sie sagten, daß schon früher jemand in Ihre Wohnung eingedrungen ist?«
»Ja. Einmal hat jemand sämtliche Lichter eingeschaltet, als ich nicht da war. Und ein andermal habe ich eine Zigarettenkippe auf meiner Frisierkommode gefunden. Ich rauche aber nicht.« Sie atmete tief durch. »Und jetzt ... das hier.«
»Gibt es irgendwelche Männer, die sich von Ihnen zurückgewiesen vorkommen könnten?«
Ashley schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Haben Sie geschäftlich mit jemandem zu tun, der durch Sie Geld verloren hat?«
»Nein.«
»Hat Sie jemand bedroht?« »Nein.« Sie überlegte sich, ob sie ihm von dem Wochenende erzählen sollte, das sie unfreiwillig in Chicago verbracht hatte, aber dann müßte sie ihren Vater erwähnen. Sie beschloß, es lieber zu unterlassen.
»Ich möchte heute nacht nicht allein sein«, sagte Ashley.
»Na schön. Ich rufe in der Dienststelle an und lasse jemanden vorbeischicken, der -«
»Nein! Bitte! Ich traue niemandem. Könnten Sie nicht bis morgen früh bei mir bleiben?«
Читать дальше