Er hob die Hände zu ihren Schultern. Ihre Haut war heiß, er spürte das Blut direkt unter der Oberfläche pochen. Er ließ das rote Kleid, leicht wie der Flügel eines Schmetterlings, an ihrem Körper entlang auf den Boden gleiten. Er entfernte die diamantenbesetzte Spange, bis ihr Haar kaskadengleich über ihre nackten Schultern fiel. Er beugte sich tiefer und presste seine kalten Lippen auf ihren Mund und ihre Kehle. Sie roch nach Hyazinthen und streckte sich ihm entgegen.
Er schüttelte die Anzugjacke von den Schultern, öffnete mit einer Hand den Kragen und die Knöpfe darunter. Er sog den heißen Atem ihres Körpers ein, als sie blind mit den Fingern an seinem Gürtel und der Hose nestelte.
In seinem Kopf hörte er das Pfeifen des Windes, das Krachen des Donners. Er erblickte einen Schauer aus Feuer, der, brennenden Pfeilen gleich, tosend aus dem sich endlos ausdehnenden schwarzen Himmel niederging.
Kimberly rutschte zurück gegen die Kante des Schminktischs. Parfumflaschen kippten klirrend auf die Seite, während andere herabfielen und verstreut im dicken Teppich liegen blieben. Sie hörte nur noch das Rauschen ihres eigenen Blutes, roch nur noch einen Sommergarten nach dem Regen, sah nur noch seine Augen, die sie in sich aufsogen wie in einen geheimen Pool aus honigsüßem Licht. Sie schlang die Arme um ihn, berührte seine glatte, makellose Haut … doch was sie spürte, war Eis. Hart und kalt wie die Diamantspange, die auf dem Boden lag. Als seine Hände ihre Brüste umfassten, erbebte sie unter der Berührung.
»Arius …«, hauchte sie verunsichert, »du bist nicht einmal ein …«
Nein, flüsterte er in ihren verwirrten Verstand, das bin ich nicht.
Und dann nahm er sie, wie ein Falke, der herabstürzte, um zu töten. Hilflos spürte sie, wie sie in den immer größer werdenden See seiner Augen gezogen wurde, in das grüne Aroma der vom Regen gewaschenen Blätter. Licht, zu hell, um es zu ertragen, durchflutete das Zimmer, als würde ein Stern explodieren … um sie herum, in ihrem Inneren.
Lieber Gott, dachte sie voller Entsetzen, als das Licht sie umhüllte, umschloss und sie schließlich überwältigte … O mein Gott, was habe ich getan?
Obwohl die Feuerwehr alle elektrischen Leitungen in diesem Teil des Gebäudes gekappt hatte, gab es immer noch genügend Licht im Behelfslabor, damit Carter sich hindurchtasten konnte. Aber es gab wesentlich mehr Trümmer, mehr zerstörte Einrichtungsgegenstände und verdrehte Metallblöcke, als er sich erklären konnte. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass überhaupt so viel Zeug hier gewesen war. Woher also stammten jetzt die ganzen Trümmer?
Auch die Vertiefung im Boden, genau in der Mitte des Raumes, dort, wo das Fossil in seiner Felsplatte gefangen gewesen war, wirkte tiefer, als er es in Erinnerung hatte. Er trat an den Rand des Kraters und schaute nach unten. Der Anblick erinnerte ihn an die Knochengrube, an die Mine, in die er in Sizilien hinabgestiegen war. Wie damals auch bestanden die Wände dieser Grube aus Fels und Erde, und es roch nach uraltem Staub und tödlichem Verfall. Jetzt aber befand sich etwas darin, das er zuvor nicht gesehen hatte, etwas Kleines, Glänzendes auf dem Boden der Kuhle. Er ging in die Hocke, um es besser erkennen zu können.
Es war etwa dreißig Zentimeter lang, schwarz, aber poliert, etwa wie ein Spazierstock. Aber er konnte es immer noch nicht richtig erkennen. Carter stützte sich mit der Hand ab, um das Gleichgewicht zu halten, und kletterte vorsichtig in die Senke hinunter. Es war noch tiefer, als er gedacht hätte, und seine Finger scharrten an den dreckigen Wänden, als er nach unten rutschte. Er landete auf dem Knöchel, den er sich einmal beim Basketball verletzt hatte, und zuckte zusammen. Mist , dachte er, das kann ich jetzt auch gerade noch gebrauchen . Der Schmutz zu seinen Füßen war vom Feuer schwarz verbrannt, und als er sich umsah, fand er den glänzenden Gegenstand wieder. Er bückte sich und hob ihn auf. Als er sich wieder aufrichtete, stellte er angenehm überrascht fest, dass er sich nicht länger in der Grube befand. Er lag in seinem alten Kinderzimmer außerhalb von Chicago, demjenigen, in dem er sich vom Mumps erholt hatte.
Das war es also! Das war gar nicht real, es war ein Traum! Es fühlte sich nur nicht an wie ein Traum, genauso wenig wie das Ding in seiner Hand sich wie ein Phantasiegebilde anfühlte.
Das Schlafzimmer war genauso, wie er es in Erinnerung hatte. Die Trophäe, die er beim Westinghouse Forschungswettbewerb gewonnen hatte, stand auf der zerschrammten Kommode. Das Poster von Raiders of the Lost Ark schmückte die Schranktür. Und in dem alten Sessel unter dem Dachvorsprung las eine Frau einem kleinen Kind etwas vor.
Jetzt wusste er definitiv, dass es ein Traum sein musste. Er hatte niemals ein Mädchen mit nach oben in sein Zimmer genommen, und schon gar nicht eins mit einem Kleinkind.
Doch als er näher herantrat, blickte die Frau auf, ohne mit dem Vorlesen innezuhalten, und lächelte ihn an. Es war Beth. Aber wessen Kind war es? War es seins? Er dachte, das sei völlig unmöglich. Aber vielleicht stimmte das nicht, vielleicht hatten die Ärzte sich geirrt! Plötzlich fühlte er sich so glücklich, so erleichtert.
»Ist er … unser Sohn?«, fragte Carter und deutete nickend auf den kleinen Jungen, dessen blonder Haarschopf in Beths Armbeuge geschmiegt war.
Aber sie antwortete nicht, stattdessen las sie einfach weiter aus dem Buch vor, bei dem es sich, wie er jetzt zu seinem Erstaunen feststellte, um Vergils Aeneis handelte – jene uralte Ausgabe, die er in Princeton gelesen hatte. Seit wann war das eine Gutenachtgeschichte?
»Hochauf ragte die Höhle«, las sie laut in einem weichen Singsang, »gewaltig mit klaffendem Rachen …«
Carter beugte sich näher, um seinen Sohn zu betrachten.
»… schroff und geschützt vom schwarzen See und finsteren Wäldern …«
Sein Haar war blond, fast weiß, und hing in niedlichen Löckchen herunter.
»… Nimmer konnten straflos hier hinüber die Vögel nehmen im Fluge die Bahn …«
Doch als er schläfrig den Kopf hob, erkannte Carter, dass dort, wo seine Augen hätten sein sollen –
»… ein solcher Brodem entquoll dem schwarzen Schlunde und stieg empor zum Himmelsgewölbe …«
– sich nur zwei klaffende Löcher befanden, wie Höhlen in den Kopf eingebrannt, in denen ein Feuer loderte.
Würgend saß Carter kerzengerade im Bett. Sein Herz pochte so heftig, dass er das Gefühl hatte, seine Brust müsste zerspringen. Sein Körper war eiskalt und schweißgebadet.
»Was ist los?«, fragte Beth besorgt.
Er schluckte hart und zitterte.
Beth setzte sich ebenfalls auf. Sie trug ihren Lieblingspyjama mit Leopardenmuster. »Alles in Ordnung?«, fragte sie und zog die Decke um seine Schultern.
»Alles okay«, keuchte er.
»Hattest du einen Albtraum?«
»Den schlimmsten, den ich je hatte.«
Sie stieß ihren Atem aus. »Das glaube ich gerne.«
Er zitterte erneut und zog die Decke fester um sich.
»Willst du mir davon erzählen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich würde ihn lieber vergessen.«
Besänftigend strich sie ihm über den Rücken. »Vielleicht ist das wirklich besser.« Im schwachen bläulichen Licht des Weckers sah sie, dass er etwas in der Hand hielt. »Was hast du da?«
Er wusste nicht, wovon sie sprach.
»In deiner Hand – du umklammerst etwas.«
Carter blickte nach unten und stellte erst jetzt fest, dass er in der Tat etwas in der Hand hielt. Er öffnete die Faust und ließ es auf die Decke fallen.
»Ein Kruzifix«, sagte Beth verwirrt. »Wo kommt das denn her?«
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