Es sei denn, es stellte sich als zutreffend heraus. Was der Himmel verhüten mochte.
Was diesen kleinen Mistkerl Ezra betraf, so hatte er bereits seine Pflichtrunde gedreht und sich, soviel Kimberly wusste, sogar beim Bürgermeister dafür bedankt, dass er ihm nach dem Fiasko im UN-Park geholfen hatte, aus dem Gefängnis zu kommen. Jetzt war er nirgends zu sehen, und wenn Kimberly nicht völlig daneben lag, war er wieder auf seinem Zimmer und brütete über seinen nutzlosen Übungen, die er seine »Forschung« nannte.
Der Partyservice schien alles unter Kontrolle zu haben, die Getränke flossen, überall wurden Tabletts mit Kanapees und Appetithäppchen herumgereicht, und im Esszimmer war ein üppiges Bufett aufgebaut. Jedes Mal, wenn sie durchs Foyer ging, öffneten sich die Lifttüren und spuckten eine weitere Handvoll Gäste aus. Sogar die Journalistin Katie Couric ließ sich für eine halbe Stunde blicken, und das, da war Kimberly sicher, bedeutete praktisch, dass die Party morgen irgendwo in den Medien erwähnt werden würde.
Die einzige Person, die sich nicht ausgezeichnet zu amüsieren schien, war ihr mysteriöser Mr Arius. Sie ließ ihn nur widerstrebend allein, aber sie musste ihren Pflichten nachkommen, so dass sie keine andere Wahl hatte, als ihn sich selbst zu überlassen. Wann immer sie ihn erblickte, stand er ganz für sich, hielt ein Champagnerglas in der Hand, das stets voll zu sein schien, schlenderte allein über die Terrasse oder kam herein, um mit tiefem Interesse eine Zeichnung oder Skulptur zu betrachten. Vielleicht war er tatsächlich eine Art ernsthafter Kunstsammler mit einem riesigen Château im Süden Frankreichs, bis unters Dach mit berühmten Gemälden und wunderschönen Statuen gefüllt. Einem plötzlichen Impuls folgend, ging sie zu ihm hinüber, als er gerade ein nichtssagendes kleines Ölbild betrachtete, das Sams erste Frau gekauft hatte. »Sie sind ein echter Kunstkenner, nicht wahr?«
»Ich bewundere Schönheit«, sagte er langsam. »In allen Dingen.«
Hatte sie da gerade eine subtile Ermunterung gehört? »Dann lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen, das Ihnen ganz bestimmt gefallen wird.«
Sie drehte sich um, aber er blieb, wo er war. »Folgen Sie mir«, sagte sie und winkte ihn mit dem Zeigefinger heran. »Ich werde schon nicht beißen.«
So unauffällig wie möglich führte sie ihn den Korridor hinunter und dann rasch um die Ecke auf die Schlafzimmertür zu. Dort blieb sie stehen und sagte: »Was jetzt kommt, ist allein für Ihre Augen bestimmt. Selbst mein Mann weiß noch nicht, dass ich es gekauft habe. Ich vertraue Ihnen also mein Leben an.« Sie lachte unbekümmert, aber er lächelte nur höflich.
Sobald er ihr ins Zimmer gefolgt war, schloss sie die Tür hinter sich und sperrte sie, zu ihrer eigenen Überraschung, ab. Was glaubte sie, was jetzt passieren würde? Mitten während ihrer eigenen Party?
Sie ging voran in das riesige Schlafzimmer, vorbei am gewaltigen Himmelbett, dem Louis-Seize-Kleiderschrank, den Scalamandre-Sesseln und in ihr vollkommen privates Reich – ihre Kleiderkammer mit angrenzendem Badezimmer. Sie dachte oft daran, dass die Abmessungen ihres Ankleidezimmers ziemlich genau denen ihres ersten Apartments in New York entsprachen. Und das hatte sie sich sogar noch mit einem anderen Mädchen teilen müssen.
Dieser Raum hatte Sams erster Frau als eine Art Nähzimmer gedient, aber Kimberly hatte ihren Mann überzeugt, dass sie einen eigenen Bereich bräuchte, wo sie ihre Kleider aufbewahren und sich schminken konnte. Sie müsse ganz allein sein können, um sich anzuziehen und für ihn schön zu machen. Daraufhin hatte sie alle alten Möbel rausgeworfen und den Raum mit verspiegelten Wänden und marmornen Flächen im Badezimmer, mit Halogenlampen und Einbauregalen aus Zedernholz im Ankleidezimmer komplett neu einrichten lassen. Aber es war allein Kimberlys Entscheidung gewesen, für den Platz neben ihrem Schminktisch den hinreißenden kleinen Degas zu kaufen. Das Bild stellte eine Frau dar, die gerade aus dem Bad stieg. »Die Eigentümer wollten ihn schon über Sotheby’s versteigern lassen«, gab sie zu, »aber Richard Raleigh, der Gute, konnte sie überreden, ihn stattdessen direkt an mich zu verkaufen.«
Sie blieb davor stehen, wandte sich zu Arius um und hob die offenen Hände. »Ich nehme an, ich muss Ihnen nicht erklären, was Sie hier vor sich haben. Wahrscheinlich können Sie mir sogar mehr darüber erzählen.« Ganz ruhig, sagte sie sich, du hörst dich an wie ein Schulmädchen .
Arius hatte nie zuvor eine solche Arbeit gesehen, aber während er sie anschaute, nahm er auf der Stelle alles auf und ordnete ein, was es darüber zu wissen gab. Die Künste waren schließlich eine der vielen Gaben, die er und seinesgleichen gespendet hatten, so dass es eine Freude war, die unzähligen raffinierten Wege zu sehen, die sie seitdem genommen hatten. Dieses besondere Gemälde vor ihm war offensichtlich ein Degas, eine sehr feine und ausdrucksstarke Arbeit. Mit jeder Sekunde lernte er mehr darüber, und sei es nur der Name des Künstlers, ein Wort oder die Bedeutung eines Blicks. Sein Durst nach mehr war unstillbar.
Den Ausdruck zum Beispiel, den er jetzt auf Kimberlys Gesicht sah, kannte er bereits. Möglicherweise war sie sich nicht bewusst, dass er ihr Bild im Spiegel verschlang, während er vorgab, das Gemälde daneben zu betrachten. Sein Blick war hinter den dunklen Brillengläsern verborgen. Sie sah ihn an, und ihre Miene verriet, dass sie neugierig war, sich zu ihm hingezogen fühlte und Angst verspürte. Sie hatte guten Grund, genau das alles zu empfinden.
Vor langer Zeit, während seiner Zeit der Wache, hatte er diesen Blick häufig gesehen … und seiner Verlockung widerstanden. Zumindest eine gewisse Zeit.
Und danach?
Er hatte Einsamkeit jenseits jeglicher Vorstellungskraft ertragen, eine kalte und öde Nacht, die kein Ende nahm … eine Nacht, die sich bis jetzt niemals vollkommen gelichtet hatte.
Er wandte sich vom Gemälde ab und blickte sie wortlos an. War das also der Anfang?
»Es ist wunderschön, nicht wahr?«, sagte sie mit einem nervösen Flattern in der Stimme.
»Ja.«
»Ich musste es einfach haben.«
Obwohl seine Augen immer noch hinter den bernsteinfarbenen Gläsern verborgen waren, spürte sie die Intensität und Eindringlichkeit seines Blickes. Leicht schwankend trat sie zurück.
»Vielleicht sollten wir zurückgehen.«
Er antwortete nicht.
»Zur Party.« Aber sie versuchte nicht, sich an ihm vorbeizuschieben. Wie angewurzelt stand sie da, und ihr nackter Rücken spiegelte sich an der verspiegelten Wand hinter ihrem Schminktisch.
»Ja«, sagte er.
Aber er sagte es auf so eine Art, dass Kimberly nicht sicher war, was er meinte. Ja, sollten sie zurück zur Party gehen? Oder ja … etwas anderes?
Sie ertappte sich dabei, wie sie unsinnigerweise über seinen Geruch nachdachte. Als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, schien er ganz subtil gewesen zu sein, aber jetzt wirkte er wesentlich kräftiger, regelrecht überwältigend.
»Dürfte ich Sie«, sagte sie und stützte sich mit einer Hand am Schminktisch ab, »um einen Gefallen bitten?«
Er nickte.
»Würden Sie für mich Ihre Brille abnehmen?«
»Warum?«
»Ich habe noch nie Ihre Augen gesehen. Ich muss Ihre Augen sehen.«
Er lächelte. Natürlich musste sie das.
Sie lachte freudlos. »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das klug ist, aber ich möchte es. Dabei habe ich das Gefühl, immer noch nicht zu wissen, wer Sie sind.«
Also würde es tatsächlich der Anfang sein.
Er trat näher, beugte den Kopf über ihren wie ein großer goldener Vogel sich über seine Beute beugt, und nahm die Brille ab. In ihrem Blick sah er Überraschung, Angst … sprachloses Nichtbegreifen.
Читать дальше