»Tatsächlich? Davon habe ich nichts mitbekommen. Auf welchem Sender?«
»Ich kann mich nicht erinnern. Ich glaube, Kanal Fünf.«
Jetzt kam Rick Hutter auf ihn zu und sagte: »Das tut mir echt, echt leid, Peter.«
Jenny Linn schloss zu Vin Drake auf und sagte: »Ich verstehe Ihr Forschungsprogramm nicht, was Sie zum Beispiel in diesem Wald eigentlich tun.«
Drake lächelte sie an und sagte: »Das kommt daher, dass ich es Ihnen bisher nicht erklärt habe. Einfach ausgedrückt, planen wir, Muster aus einem Querschnitt des hawaiianischen Ökosystems zu sammeln, vom Tantalus-Krater bis hinunter ins Manoa-Tal, wo wir gerade stehen.«
»Welche Art von Proben wollen Sie denn sammeln?«, sagte Rick Hutter und stemmte die Hände in die Hüften. Er trug das übliche Rick-Outfit, Jeans und ein Outdoor-Shirt mit hochgerollten Ärmeln, das inzwischen bereits schweißgetränkt war. Er sah aus, als befinde er sich auf einer Dschungelexpedition. Dazu zeigte er jetzt seine gewohnte kampflustige Miene mit hervorgerecktem Kinn und eng zusammengezogenen Augen.
Drake lächelte und antwortete: »Im Wesentlichen werden wir Proben von jeder Art von Lebewesen in diesem Ökosystem sammeln.«
»Und wozu?«, hakte Rick nach. Er schaute Vin Drake herausfordernd an.
Der erwiderte den Blick. Er war eiskalt. Dann lächelte Drake. »Ein Regenwald ist der größte natürliche Vorratsspeicher aktiver chemischer Verbindungen. Wir stehen gerade inmitten einer Goldmine voller potenzieller neuer Arzneimittel. Heilmittel, die unzählige menschliche Leben retten könnten. Medikamente, die unzählige Milliarden Dollar wert sind. Dieser Wald, Mr., äh –«
»Hutter«, ergänzte Rick.
»Dieser üppige Wald, Mr. Hutter, enthält den Schlüssel zu Gesundheit und Wohlbefinden jedes Menschen auf diesem Planeten. Und trotzdem ist dieser Wald noch beinahe unerforscht. Wir haben keine Ahnung, welche chemischen Verbindungen es hier tatsächlich gibt, in den Pflanzen, den Tieren und den mikroskopisch kleinen Lebensformen. Dieser Wald ist eine Terra incognita, ein völlig unbekanntes Terrain. Er ist so riesig, so voller Reichtümer und so unerforscht, wie es die Neue Welt für Christoph Kolumbus war. Unser Ziel, Mr. Hutter, ist ganz einfach. Unser Ziel ist die Entdeckung von Medikamenten. Wir suchen nach neuen Arzneimitteln in einem Maßstab, wie er so bisher unvorstellbar war. Wir haben damit begonnen, diesen ganzen Wald vom Tantalus bis zum Grund dieses Tals nach bioaktiven Verbindungen abzusuchen. Der Ertrag dieser Forschungsarbeit wird gewaltig sein.«
»›Der Ertrag‹«, wiederholte Rick. »›Goldmine‹, ›Neue Welt‹. Sie reden also über einen Goldrausch, nicht wahr, Mr. Drake? Hier geht’s nur ums Geld.«
»So einfach sollten Sie es sich nicht machen«, entgegnete Drake. »Zuallererst geht es in der Medizin um die Rettung von Leben. Es geht darum, Leiden zu beenden und jedem Menschen zur Verwirklichung seines ganz persönlichen Potenzials zu verhelfen.« Er wandte jetzt seine Aufmerksamkeit wieder den anderen zu. Beim Weitergehen versuchte er, sich möglichst weit von Rick Hutter entfernt zu halten, der ihm offensichtlich schrecklich auf die Nerven ging.
Rick, der noch einen Moment mit verschränkten Armen stehen blieb, flüsterte Karen King zu: »Der Typ ist ein moderner spanischer Konquistador. Er plündert dieses Ökosystem aus und macht es zu Gold.«
Karen warf ihm einen zwischen Verachtung und Hohn schwankenden Blick zu. »Und was machst du mit deinen natürlichen Extrakten, Rick? Du kochst doch auch Baumrinden aus, um neue Arzneimittel zu finden. Wo ist da der Unterschied?«
»Der Unterschied sind die riesigen Geldsummen, um die es hier geht. Und du weißt ja, wo das Geld in alldem steckt, oder? In den Patenten. Nanigen wird sich Tausende von Verbindungen, die sie hier finden, patentieren lassen. Danach werden riesige Pharmafirmen diese Patente ausbeuten und damit Milliarden verdienen –«
»Du bist nur neidisch, weil du keine Patente besitzt.« Karen wandte sich von Rick ab, der sie bitterböse anschaute.
Dann rief er ihr nach: »Ich betreibe keine Wissenschaft, um reich zu werden. Offenbar im Gegensatz zu dir …« Er merkte, dass sie ihn demonstrativ ignorierte.
Danny Minot hatte Mühe, mit der Gruppe Schritt zu halten. Aus unerfindlichen Gründen hatte er sein Tweedjackett nach Hawaii mitgenommen und es sogar für diese Tour angezogen. Wahre Schweißbäche rannen ihm jetzt den Rücken hinunter und tränkten sein Button-down-Hemd. Außerdem hatte er sich ausgerechnet dafür entschieden, teure Herrenslipper anzuziehen, auf denen er jetzt über den feuchten Urwaldpfad rutschte. Er wischte sein Gesicht ständig mit seinem Einstecktuch ab und tat so, als ob ihn sein Unglück überhaupt nicht berührte. »Mr. Drake«, sagte er jetzt, »wenn Sie sich etwas in den poststrukturalistischen Theorien auskennen sollten – äh – werden Sie wohl wissen – uff! – iii! – dass wir tatsächlich über diesen Wald überhaupt nichts wissen können … Denn, sehen Sie, wir selbst schaffen ja erst die Bedeutungen, Mr. Drake, wo es doch tatsächlich in der Natur weder Sinn noch Bedeutung gibt …«
Drake schien dieses Argument nicht sehr zu beeindrucken. »Nach meinem Naturverständnis, Mr. Minot, müssen wir die Bedeutung der Natur überhaupt nicht kennen, um sie ausbeuten zu können.«
»Ja, aber …«, gab Danny von sich.
In der Zwischenzeit ließ sich Alyson Bender etwas zurückfallen, sodass Peter schließlich neben Rick herging. Rick nickte in Richtung Vin Drake. »Fasst man diesen Typen? Er ist offensichtlich Mr. Biopiraterie persönlich.«
»Ich habe Ihre Bemerkung gehört, Mr. Hutter«, sagte Drake und drehte urplötzlich den Kopf herum. »Und ich muss Ihnen sagen, dass Sie völlig falschliegen. Biopiraterie bedeutet ja, dass man sich einheimische Pflanzen aneignet, ohne deren Ursprungsland dafür zu entschädigen, wie es sich gehören würde. Dieses Konzept ist zwar für die schlecht informierten Gutmenschen ausgesprochen attraktiv, weist jedoch eine Reihe von praktischen Problemen auf. Nehmen wir das Beispiel Curare, ein wertvolles Heilmittel, das heute in der modernen Medizin verwendet wird. Sicher sollte man jemanden dafür entschädigen, oder nicht? Es gibt jedoch Dutzende von Rezepten für Curare, die von vielen Stammesgruppen in ganz Mittel- und Südamerika, einem riesigen Gebiet, entwickelt wurden. Diese Curare-Sorten unterscheiden sich, was die Inhaltsstoffe und die Kochzeit angeht. Es kommt darauf an, was man damit töten möchte, und es gibt lokale Präferenzen. Wie wollen Sie also diese eingeborenen Medizinmänner entschädigen? War die Arbeit der brasilianischen Schamanen wertvoller als die der Schamanen in Panama oder Kolumbien? Spielt es eine Rolle, dass die Bäume, die man in Kolumbien zur Herstellung benutzt, aus ihrer Heimat Panama eingewandert sind – oder bewusst dorthin verpflanzt wurden? Und was ist mit der eigentlichen Formel? Ist die Hinzufügung von Brechnuss wichtig oder nicht? Wie steht es mit der Hinzufügung von rostigen Nägeln? Gibt es irgendwelche Überlegungen, was die Gemeinfreiheit dieses Stoffes angeht? Nach unserem Recht dürfen Pharmaunternehmen ein Arzneimittel zwanzig Jahre lang ausbeuten, dann erlischt ihre Lizenz, und es wird gemeinfrei. Einige behaupten, bereits Sir Walter Raleigh habe im Jahr 1596 Curare nach Europa gebracht. Ganz gewiss war es im 18. Jahrhundert weithin bekannt. Burroughs Wellcome verkaufte in den 1880er-Jahren Curare-Tabletten für medizinische Zwecke. Also sollte Curare auf jeden Fall inzwischen gemeinfrei sein. Schließlich benutzen moderne Anästhesisten das Curare aus natürlichen Pflanzen überhaupt nicht mehr. Sie ziehen inzwischen synthetisches Curare vor. Sie sehen also, wie vertrackt dieses Problem tatsächlich ist.«
»Typische Ausflüchte der Großindustrie«, sagte Rick.
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