Während sie den Gang entlanggingen, rief ihnen Vin Drake immer wieder kurz zu, womit sich das entsprechende Labor beschäftigte: »Proteomik und Genomik … chemische Ökologie … Phytopathologie einschließlich der Untersuchung von Pflanzenviren … stochastische Biologie … elektrische Signalübertragung bei Pflanzen … Insekten-Ultraschalllabor … Phytoneurologie, da geht es um die pflanzlichen Neurotransmitter … Peter, das sind die Gifte und Toxine … flüchtige Verbindungen von Spinnen und Käfern … Verhaltensphysiologie, da geht es um exokrine Sekretion und soziale Regulierung, hauptsächlich bei Ameisen …«
»Und wofür braucht man die ganze Elektronik?«, fragte jemand.
»Für die Roboter«, antwortete Drake. »Sie müssen nach jedem Einsatz im Gelände neu programmiert oder repariert werden.« Er machte eine Pause und schaute auf die Gruppe. »Ich sehe einen Haufen erstaunte Gesichter. Ich glaube, wir sollten uns das einmal näher anschauen.«
Sie betraten das nächste, auf der rechten Seite liegende Labor. Es roch ganz schwach nach Erde, verrotteten Pflanzen und ausgetrockneten Blättern. Drake führte sie an einen Tisch, auf dem mehrere, jeweils dreißig Quadratzentimeter große Bodenprobenplatten lagen. Über jeder Probe hing an einem beweglichen Arm eine Videokamera. »Hier sind ein paar Beispiele für das Material, das wir aus dem Regenwald hierherbringen«, sagte er. »Jede Erdprobe wird im Rahmen unterschiedlicher Projekte untersucht. Die Roboter sind im Übrigen noch bei der Arbeit.«
»Wo?«, fragte Erika. »Ich sehe keine –«
Drake justierte das Licht und die Videokamera. Auf den seitlich angebrachten Bildschirmen sahen sie jetzt mehrfach vergrößert auf der Erdprobe einen winzigen weißen Gegenstand. »Wie Sie sehen, ist es eine mikroskopisch kleine Grabungs- und Sammelmaschine«, erklärte Drake. »Und sie hat viel zu tun, denn eine Bodenprobe wie diese enthält eine riesige, eng vernetzte Welt, die dem Menschen noch völlig unbekannt ist. Da gibt es Billionen von Mikroorganismen sowie Zehntausende von Bakterien- und Protozoenarten, von denen fast alle noch nicht katalogisiert sind. In einem Erdhaufen von dieser Größe kann es hauchdünne Pilzhyphen in einer Gesamtlänge von Tausenden von Kilometern geben. Außerdem findet man dort bestimmt eine Million Arthropoden und andere winzige Insekten, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Es gibt Dutzende von Erdwürmern ganz unterschiedlicher Größe. Tatsächlich existieren in diesem kleinen Bodenquadrat mehr Kleinlebewesen, als es auf der ganzen Erdoberfläche große Lebewesen gibt. Darüber sollten Sie einmal nachdenken! Wir Menschen leben auf der Oberfläche. Wir glauben, dass dort das Leben sei. Wir denken in solchen Begriffen wie Mensch, Elefant, Hai oder einem Wald mit Bäumen. Aber unsere Vorstellungen sind falsch. Die Wahrheit des Lebens auf unserem Planeten sieht ganz anders aus. Das eigentliche, unsere Erde prägende Leben befindet sich mit all seinem Gewimmel hier unten, auf dieser Ebene, es gräbt sich durch den Boden, pflanzt sich fort und ist unermüdlich aktiv. Und hier werden auch die nächsten großen Entdeckungen gemacht werden.«
Es war eine faszinierende Rede. Drake hatte sie bereits öfter gehalten, und die Zuhörer hatten danach immer beeindruckt geschwiegen. Das galt jedoch nicht für diese Gruppe. Sofort meldete sich nämlich Rick Hutter zu Wort: »Und welchen Entdeckungen widmet sich dieser Roboter da?«
»Er untersucht Nematoden«, antwortete Vin Drake. »Mikroskopisch kleine Fadenwürmer, von denen wir glauben, dass sie wichtige biologische Eigenschaften besitzen. In einer Bodenprobe wie dieser gibt es etwa vier Milliarden Nematoden. Wir wollen jedoch nur diejenigen erfassen, die noch nicht entdeckt worden sind.«
Drake schaute durch eine Glaswand in ein Labor hinein, in dem eine Handvoll Wissenschaftler an großen Maschinenbänken arbeiteten. Es waren ganz offensichtlich hochkomplexe Maschinen. »In diesem Raum findet die eigentliche Untersuchungsarbeit statt«, erklärte Drake. »Wir untersuchen hier mit äußerster Schnelligkeit Tausende von Stoffen und Verbindungen. Wir bedienen uns dabei der Hochgeschwindigkeitsfraktionierung und Massenspektrometrie – das sind die Maschinen, die Sie dort sehen. Dabei haben wir bereits Dutzende von möglichen neuen Arzneimitteln gefunden. Und sie sind alle natürlich. Das Beste, was Mutter Natur zu bieten hat.«
Amar Singh zeigte sich äußerst beeindruckt von dieser Technik. Da gab es allerdings noch einiges, was er nicht verstand. Dazu gehörten vor allem die Roboter. Sie waren wirklich klein. Zu klein, als dass man einen Computer hätte in sie einbauen können, dachte er. »Wie können diese Roboter die Würmer untersuchen und die interessanten herausfischen?«, fragte er deshalb.
»Oh, das macht denen keine Probleme«, antwortete Drake.
»Und wie schaffen sie das?«
»Die Roboter verfügen über die Intelligenz, so etwas zu tun.«
»Aber wie soll das gehen?« Amar deutete auf eine Bodenprobe, auf der ein winziger Roboter fieberhaft im Dreck herumwühlte. »Diese Maschine kann nicht länger als acht oder neun Millimeter sein. Das ist doch nur so groß wie der Nagel meines kleinen Fingers. Sie können doch in einer solch kleinen Hülle nicht die nötige Rechenleistung installieren.«
»Doch, das können wir.«
»Und wie?«
»Gehen wir in den Konferenzraum.«
Hinter Vin Drake glühten vier riesige Flachbildschirme. Sie zeigten Bilder in tiefem Blau und Violett, die ein wenig an Ozeanwellen erinnerten, wie man sie von einem Flugzeug aus sieht. Drake ging vor den Bildschirmen hin und her. Seine Stimme wurde von einem Knopflochmikrofon verstärkt, das er sich an sein Jackett gesteckt hatte. Er deutete auf die violetten Monitore. »Was Sie hier sehen, sind Konvektionsmuster in Magnetfeldern mit einer Stärke von fast sechzig Tesla. Das sind die stärksten Magnetfelder, die bisher von Menschen generiert wurden. Um Ihnen einen Vergleich zu geben: Ein Sechzig-Tesla-Magnetfeld ist zwei Millionen Mal stärker als das Erdmagnetfeld. Diese Felder werden von kryogenen Supraleitern erzeugt, die aus Niob-Legierungen bestehen.«
Er machte eine kleine Pause, um diese Informationen einsinken zu lassen. »Man weiß bereits seit fünfzig Jahren, dass Magnetfelder lebendes Gewebe in vielfältiger Weise beeinflussen. Sie kennen ja alle die Magnetresonanztomografie oder MRT. Sie wissen auch, dass Magnetfelder die Knochenheilung fördern, Parasiten neutralisieren, über eine Beeinflussung der Blutplättchen das Blutbild verändern und so weiter. Dies sind jedoch nur kleinere Effekte, die von schwachen Feldern ausgelöst werden. Eine völlig andere Situation ergibt sich bei extrem hohen Feldstärken, wie wir sie erst seit Kurzem erzeugen können – bis vor Kurzem wusste auch niemand, was unter diesen Bedingungen passieren würde. Wir nennen solche Magnetfelder Tensorfelder, um sie von den gewöhnlichen Magnetfeldern zu unterscheiden. Tensorfelder haben ultrahohe Feldstärken. In einem Tensorfeld können dimensionale Änderungen auch materiell evident werden. Die Materie ändert also ihre Dimensionen.
Es gab jedoch bereits einen Hinweis auf dieses Phänomen, eine heiße Spur, wenn Sie so wollen. Sie kam von einem Forschungsprojekt, das in den 1960er-Jahren von einer Firma namens Nuclear Medical Data durchgeführt wurde, die die Gesundheit von Arbeitern in kerntechnischen Anlagen untersuchte. Die Forscher dieses Unternehmens fanden heraus, dass die Arbeiter im Allgemeinen bei guter Gesundheit waren. Darüber hinaus stellten sie jedoch fest, dass Arbeiter, die starken Magnetfeldern ausgesetzt waren, über einen Zeitraum von zehn Jahren sechs Millimeter kleiner geworden waren. Dieses Ergebnis wurde jedoch für ein statistisches Artefakt gehalten und ignoriert.«
Drake machte erneut eine Pause, um festzustellen, ob die versammelten Studenten verstanden, worauf das alles hinauslief. Allerdings schienen sie noch nichts dergleichen zu vermuten. »Es stellte sich jedoch heraus, dass es gar kein statistisches Artefakt war. Eine französische Untersuchung aus dem Jahr 1970 fand heraus, dass die Körpergröße französischer Arbeiter, die ihre Tätigkeit in starken Magnetfeldern verrichten mussten, um etwa acht Millimeter abgenommen hatte. Aber auch diese Studie erklärte das Ergebnis für unbrauchbar und nannte es ›trivial‹.
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