»Das weiß ich auch nicht«, entgegnete Alyson. »Ich selbst habe nur etwas auf dem Boot liegen lassen und wollte es mir wieder holen.«
»Keine Chance. Nur wenn Sie eine schriftliche Genehmigung der Polizei vorweisen können. Haben Sie die?«
»Nein …«
»Dann tut es mir leid. Das ist ein Tatort, wie ich dem jungen Mann schon erklärt habe.«
»Wo ist der eigentlich?«, fragte sie.
»Er stieg gerade die Leiter runter. Wahrscheinlich ist er noch auf der anderen Seite. Er müsste eigentlich bald hier sein. Wollen Sie nicht ins Büro kommen?«
»Warum sollte ich das tun?«
»Wir könnten die Polizei anrufen und sie fragen, ob sie Ihnen erlaubt, Ihre Sachen von diesem Boot zu holen.«
»Das macht zu viele Umstände. Es geht nur, also, es ist nur meine Armbanduhr. Sie hat mich gestört, und ich habe sie abgelegt …«
»Kein Problem.«
»Ich könnte mir auch eine andere kaufen. Aber die hier hat einiges gekostet –«
»Mhm.«
»Ich dachte, es macht keine Umstände.«
»Nun, wie Sie wollen. Aber Sie sollten sich doch noch im Büro registrieren.«
»Ich wüsste nicht, warum.«
»Ist einfach Vorschrift.«
»Das kann ich nicht«, sagte sie. »Ich möchte in keine Polizeiangelegenheit verwickelt werden.«
Peter wartete einige Minuten, dann hörte er den Mann sagen: »Sie können rauskommen.«
Er kam hinter dem Bootsrumpf hervor. Von Alyson war nichts mehr zu sehen. Der bullige Mann legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an. »Sie wollten ihr wohl lieber nicht begegnen, oder?«
»Wir kommen nicht sehr gut miteinander aus.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Möchten Sie immer noch, dass ich mich anmelde?«
Der Mann nickte langsam. »Ja, bitte.«
Peter ging ins Büro, um sich auszuweisen. Es machte sowieso keinen Unterschied mehr. Alyson Bender wusste ja bereits, dass er sich das Boot angeschaut hatte. Sie konnte sich deshalb auch denken, dass er Verdacht geschöpft hatte. Von jetzt an würde er schnell vorgehen müssen.
Bis zum Ende dieses Tages musste alles erledigt sein.
Zurück in seinem Hotelzimmer, fand er auf seinem Laptop eine E-Mail von Jorge vor. Sie hatte keinen Text, sondern nur drei WAV-Dateien als Anhang. Eine enthielt die Aufzeichnung des Telefongesprächs von Alyson mit Vin Drake. Die anderen beiden Audiodateien waren neu. Er hörte sie sich an. Es waren Aufzeichnungen von zwei Telefongesprächen, die Alyson Bender von ihrem Handy aus in den Stunden nach Erics Verschwinden geführt hatte. Als Erstes hatte sie einen Nanigen-Mitarbeiter angerufen, der wahrscheinlich in der Verkaufsabteilung arbeitete, und ihn um eine neue Kostenaufstellung gebeten. Beim zweiten Anruf hatte sie ganz kurz mit einer anderen Person, einem Mann, vielleicht einem Buchhalter, über gewisse Ausgabenposten gesprochen.
ALYSON: Omicron hat noch drei, äh, Prototypen verloren.
DIE ANDERE PERSON: Was ist passiert?
ALYSON: Das haben sie mir nicht erzählt. Vin Drake möchte, dass Sie das als gewöhnliche Ausgabe und nicht als Kapitalherabsetzung behandeln.
DIE ANDERE PERSON: Den Verlust von drei Hellstorms? Aber das ist ein großer Kostenfaktor – die Davros-Leute –
ALYSON: Buchen Sie es als gewöhnliche Ausgabe, okay?
DIE ANDERE PERSON: Natürlich.
Peter speicherte die Dateien, nachdem er sie sich angehört hatte. Allerdings ergaben sie für ihn keinen Sinn und offenbarten nichts, was er hätte verwenden können. Er speicherte auch das Telefongespräch zwischen Alyson und Vin, das im Gegensatz dazu für sein Vorhaben sehr nützlich sein würde. Er lud es auf einen USB-Stick, den er sich in die Tasche steckte, und brannte dann dasselbe Gespräch auch noch auf eine CD. Mit dieser ging er ins Businesscenter des Hotels und ließ sich dort ein professionelles Etikett drucken, auf dem »NANIGEN DATEN 5.0 28/10« stand. Danach schaute er auf die Uhr. Es war kurz nach elf Uhr morgens.
Er ging auf die Terrasse hinaus, setzte sich in die Sonne und bestellte ein spätes Frühstück. Bei Kaffee und einer schönen Portion Ei mit Schinken wurde ihm bewusst, dass seine Planung auf einer Menge Annahmen beruhte. Die wichtigste Annahme war, dass Nanigen einen Konferenzraum haben würde, der mit den üblichen elektronischen Geräten ausgestattet war. Davon konnte man wohl tatsächlich ausgehen. Alle Hightech-Unternehmen verfügten über solche Räume.
Zweitens nahm er an, dass an der Tour alle Forschungsstudenten gemeinsam teilnehmen würden und man sie nicht in kleinere Gruppen aufteilen oder sogar einzeln herumführen würde. Er vermutete, dass Vin Drake selbst die Tour leiten würde, und Vin liebte Publikum, je größer, desto besser. Wenn sie alle zusammenblieben, konnte Nanigen auch besser kontrollieren, wie viel Informationen man ihnen gab.
Für Peter war es deshalb so wichtig, dass die Studenten zusammenblieben, weil er für das, was er plante, so viele Zeugen wie möglich haben wollte. Oder sollte er das Ganze auch vor ein, zwei Zeugen veranstalten? Nein … er dachte angestrengt nach … nein, es sollten möglichst viele Leute anwesend sein, wenn er die Bombe platzen ließ. Das war seiner Meinung nach der beste Weg, Drakes wohlanständige Fassade zum Einsturz zu bringen und vielleicht sogar aufzudecken, was Drake und Alyson seinem Bruder angetan hatten. Schließlich musste er hoffen, dass Drake oder wenigstens Alyson die Fassung verlieren würde, vor allem wenn er sie nervös machen konnte. Er glaubte zu wissen, wie er das erreichen könnte. Wenn alles so lief wie geplant, würden sich Drake oder Alyson vor allen Forschungsstudenten entsetzlich aufregen und wütend werden. Genau das wollte er.
Er konnte es gar nicht erwarten, dass die Führung in vier Stunden im Arboretum endlich anfing.
Kapitel 7
WAIPAKA-ARBORETUM
28. OKTOBER, 15:00 UHR
Das Taxi entfernte sich immer weiter vom Ozean und kletterte bald steil die Berge hinauf. Die Straße war von ausladenden Akazien gesäumt.
»Das hier auf beiden Seiten ist die Universität«, erklärte der Fahrer. Er zeigte auf gesichtslose Gebäude, die wie eine langweilige Wohnanlage aussahen. Peter sah keine Studenten.
»Man sieht überhaupt niemand.«
»Das sind Wohnheime. Die Studenten sind jetzt in ihren Seminaren und Vorlesungen.«
Sie passierten ein Baseballfeld und erreichten eine Wohnsiedlung mit kleinen Bungalows. Dahinter wurden die Häuser immer seltener und die Bäume immer höher. Sie fuhren jetzt direkt auf eine grüne, stark bewaldete Bergkette zu, die bis zu einer Höhe von sechshundert Metern aufstieg.
»Das ist der Ko’olau Pali«, erklärte der Fahrer.
»Gibt’s da oben keine Häuser?«
»Nein, dort kann man nichts bauen, alles nur nacktes, bröckeliges Vulkangestein. Nicht mal klettern kann man da. Wie Sie gesehen haben, beginnt gleich hinter der Stadt die Wildnis. Auf der mauka- Seite gibt es viel zu viel Regen. Liegt an den Bergen. Niemand lebt hier hinten.«
»Und was ist mit diesem Arboretum?«
»Ein knapper Kilometer noch, dann sind wir da«, sagte der Fahrer. Die Fahrbahn war jetzt nur noch einspurig. Unter den hoch aufragenden, dicht stehenden Bäumen hatte man das Gefühl, die Dämmerung sei bereits angebrochen. »Hierher kommt auch kaum jemand. Die Leute gehen zu Foster oder einem der anderen schönen Arboreten. Sind Sie sicher, dass Sie hierher wollen?«
»Ja.«
Die Straße wurde jetzt noch enger und stieg im Zickzack einen steilen, von Regenwald bedeckten Abhang hinauf.
Hinter ihnen tauchte plötzlich ein anderes Auto auf, hupte und preschte an ihnen vorbei. Die Leute in dem Wagen winkten und schrien ihnen etwas zu. Verblüfft wurde Peter gewahr, dass sämtliche Forschungsstudenten aus seinem Labor dicht gedrängt in diesem Fahrzeug saßen. Ein sündteures mitternachtsblaues Bentley-Cabrio. Der Taxifahrer murmelte etwas von verrückten Hummern vor sich hin.
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