für eine Stellung haben Sie, Miss McKay?«
»Ich bin stellvertretende Gefängnisdirektorin«, antwortete sie.
»Ich denke, das wissen Sie.«
»Die stellvertretende Direktorin mit Geschmack an den Damen. Waren Sie immer schon homosexuell?«
»Das geht Sie überhaupt nichts an.«
Nkata schlug mit der Hand auf den Tisch und beugte sich der Frau entgegen. »Mich geht das alles was an«, erklärte er. »Also, soll ich mir Katja Wolffs Unterlagen vornehmen, feststellen, in welchen Strafanstalten sie war, mir sämtliche Besucherlisten von ihr besorgen, auf denen sie Ihren Namen an die oberste Stelle gesetzt hat, und Ihnen dann die Daumenschrauben anlegen? Das kann ich selbstverständlich tun, Miss McKay, aber ich habe keine große Lust dazu. Es ist Zeitverschwendung.«
Den Blick gesenkt, drehte sie ihr Glas langsam in der Hand. Die Tür des Pubs wurde geöffnet, ein neuerlicher kalter Windstoß fegte den Gestank der Abgase von der Parkhurst Road herein, und zwei Männer in der Uniform der Gefängnisangestellten traten ein. Sie starrten erst Noreen McKay an, dann Nkata, dann wieder Noreen McKay. Der eine grinste und machte mit gesenkter Stimme eine Bemerkung. Noreen McKay blickte auf und sah die beiden.
Sie fluchte unterdrückt, sagte: »Ich muss hier verschwinden«, und machte schon Anstalten, aufzustehen.
Nkata legte eine Hand auf ihren Arm. »Aber nicht, ohne mir ein paar Auskünfte gegeben zu haben«, sagte er. »Sonst muss ich mir doch Wolffs Gefängnisunterlagen ansehen, Miss McKay. Und wenn ich da Ihren Namen finde, werden Sie einiges zu erklären haben.« »Ist es Ihre Gewohnheit, den Leuten zu drohen?«
»Das ist keine Drohung. Das ist nur eine schlichte Tatsache. Also, setzen Sie sich wieder hin und trinken Sie Ihren Gin Tonic.«
Mit einer Kopfbewegung wies er auf ihre Kollegen. »Ich glaube, ich tue Ihrem Ruf ganz gut.«
Ihr Gesicht wurde rot vor Zorn. »Sie gemeiner -«
»Regen Sie sich ab«, sagte er. »Reden wir über Katja Wolff. Sie war übrigens damit einverstanden, dass ich mit Ihnen spreche.«
»Das glaube ich nicht -«
»Dann rufen Sie sie an.«
»Sie -«
»Sie steht unter Verdacht, zwei Personen vorsätzlich mit dem Auto überfahren zu haben, in einem Fall mit Todesfolge. Wenn Sie sie entlasten können, dann sollten Sie das schleunigst tun. Sie kann jeden Moment festgenommen werden. Und glauben Sie vielleicht, das wird man der Presse vorenthalten können? Berüchtigte Kindsmörderin erneut von der Polizei festgenommen! Wohl kaum, Miss McKay. Man wird ihr ganzes Leben unter die Lupe nehmen, und Sie wissen wohl, was das heißt.«
»Ich kann sie nicht entlasten«, sagte Noreen McKay, und ihre Finger umfassten das Glas mit dem Gin Tonic fester. »Das ist es ja gerade. Ich kann sie nicht entlasten.«
»Waddington«, sagte Chief Inspector Leach, als Lynley und Barbara Havers in den Besprechungsraum traten. Er war bester Stimmung, sein Gesicht entspannter als seit Tagen, sein Schritt wie beflügelt, als er durchs Zimmer eilte, um Kathleen Waddington ganz oben auf eine der Porzellantafeln zu schreiben.
»Wo hat es sie erwischt?«, fragte Lynley.
»In Maida Vale. Die gleiche Verfahrensweise. Ruhige Gegend. Ein Fußgänger allein auf der Straße. Nacht. Schwarzes Fahrzeug. Und bumm!«
»Gestern Abend?«, fragte Barbara Havers. »Aber das würde bedeuten -«
»Nein, nein. Es war schon vor zehn Tagen.«
»Könnte ein zufälliges Zusammentreffen sein«, meinte Lynley.
»Bestimmt nicht. Die hat damals auch eine Rolle gespielt.«
Leach beeilte sich, ihnen zu erklären, wer diese Kathleen Waddington war: eine Sexualtherapeutin, die ihr Institut an dem fraglichen Abend irgendwann nach zehn Uhr verlassen hatte. Sie war auf der Straße angefahren und mit einem Beckenbruch und ausgekugelter Schulter liegen gelassen worden. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte sie ausgesagt, der Wagen, der sie angefahren hatte, sei groß gewesen, »wie so eine Gangsterlimousine«, er sei schnell gefahren und von dunkler Farbe gewesen, möglicherweise schwarz.
»Ich habe noch einmal meine Aufzeichnungen von damals durchgesehen, als das Kind ertrank, meine ich«, sagte Leach.
»Die Waddington war die Frau, die Katja Wolff beim Prozess das Genick gebrochen hat. Die Wolff hatte behauptet, sie hätte an dem Abend, an dem die kleine Davies ertrank, ganz kurz mit ihr telefoniert, und die Waddington konnte nachweisen, dass das nicht stimmte. Ohne sie wäre die Wolff vielleicht mit ein paar Jährchen wegen Fahrlässigkeit davongekommen. Aber nachdem sie die Wolff der Lüge überführt hatte… Das hat ihr damals den Rest gegeben. Wir müssen die Wolff festnehmen. Geben Sie das an Nkata weiter. Soll er die Lorbeeren einheimsen. Er hat an dieser Sache hart gearbeitet.«
»Was ist mit dem Wagen?«, fragte Lynley.
»Das wird schon noch rauskommen. Sie können mir nicht erzählen, dass sie zwanzig Jahre im Knast war, ohne diese oder jene nützliche Verbindung zu knüpfen.«
»Sie meinen, sie kennt jemanden mit so einem alten Wagen?«
»Worauf Sie sich verlassen können. Eine meiner Beamtinnen überprüft im Augenblick weitere Personen wegen des Wagens«, sagte Leach mit einem Nicken zu einer jungen Frau, die an einem der Computer im Zimmer saß. »Sie überprüft jeden Namen, der in irgendeinem Bericht erwähnt wurde. Die Gefängnisunterlagen werden wir uns auch noch beschaffen und dann sämtliche Leute unter die Lupe nehmen, mit denen die Wolff im Knast Kontakt hatte. Das können wir erledigen, während wir sie zur Vernehmung hier haben. Wollen Sie Ihren Mann anpiepsen und ihm Bescheid geben? Oder soll ich es tun?« Leach rieb sich geschäftig die Hände.
Die Beamtin am Computer stand in diesem Moment auf, ein Blatt Papier in der Hand. Sie sagte: »Ich glaube, ich hab den Wagen, Sir«, und Leach stürzte mit einem begeisterten: »Genial. Gut gemacht, Vanessa«, zu ihr hin. »Also, was haben wir?«, fragte er.
»Einen Humber«, antwortete sie.
Das genannte Fahrzeug war eine Nachkriegslimousine, die zu einer Zeit hergestellt wurde, als das Verhältnis zwischen Benzinverbrauch und gefahrenen Kilometern den Autokäufer nur in zweiter Linie interessierte. Der Humber war kleiner als ein Rolls-Royce, Bentley oder Daimler - und lange nicht so teuer -, aber größer als der Durchschnittswagen, den man heute auf den Straßen sah. Und während das moderne Auto aus Aluminium und Metalllegierung hergestellt wurde, um ein möglichst niedriges Gewicht und damit Sparsamkeit im Verbrauch zu erzielen, war der Humber ein Ungetüm aus Stahl und Chrom, vorn mit einem raubgierigen Kühlergrill, der sich so ziemlich alles - von geflügelten Insekten bis zu kleinen Vögeln - aus der Luft griff.
»Hervorragend«, sagte Leach.
»Und wem gehört der Wagen?«, fragte Lynley.
»Einer Frau«, antwortete Vanessa. »Sie heißt Jill Foster.«
»Richard Davies' Verlobter?« Barbara Havers sah Lynley an. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie sagte: »Das ist es. Verdammt noch mal, das ist es, Inspector. Als Sie gesagt haben -«
Doch Lynley ließ sie nicht ausreden. »Jill Foster? Das kann ich mir nicht vorstellen, Havers. Ich habe die Frau kennen gelernt. Sie ist hochschwanger. Sie kann das unmöglich getan haben, sie wäre gar nicht fähig dazu. Und selbst wenn, warum sollte sie es auf Kathleen Waddington abgesehen haben?«
Havers sagte: »Sir -«, und wurde wieder unterbrochen.
Von Leach diesmal. »Dann muss es einen zweiten Wagen geben. Noch ein anderes altes Modell.«
»Halten Sie das wirklich für wahrscheinlich?«, fragte die Beamtin zweifelnd.
»Piepsen Sie Nkata an«, sagte Leach zu Lynley. Und zu Vanessa:
»Besorgen Sie uns die Gefängnisunterlagen von Katja Wolff. Wir müssen sie durchforsten. Es muss einen Wagen geben -«
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