»Diese ganze Sache ist einfach furchtbar, John. Und mein Kopf schmerzt ganz scheußlich. Können wir bitte irgendwo einen Kaffee trinken gehen?«
Ich zog mich um und machte mich frisch, bevor wir uns in das Hotelrestaurant aufs Dach begaben. Während wir von liebenswürdigen Ägyptern bedient wurden und durch die weit geöffneten Fenster einen herrlichen Blick auf die Stadt genossen, fühlte ich mich weitaus besser und war in der Lage, John die ganze Geschichte von Achmed Raschid zu erzählen, ohne sie mit übertriebenen Ängsten und Vermutungen auszuschmücken. »Ich wünschte, du hättest mir eher von ihm erzählt«, meinte John stirnrunzelnd. »Er scheint eine Menge über dich zu wissen. Ich frage mich, woher er mich kennt und welche Rolle er bei dieser Schakal-Sache spielt.«
Ich fingerte nervös an dem Riemen meiner Handtasche herum, drehte und knotete ihn. Darinnen, sicher auf meinem Schoß und in ein Halstuch gewickelt, befand sich der Schakal. Ich wußte, daß es reine Einbildung war, aber die Handtasche schien mit jedem Tag schwerer zu werden.
»Zumindest war er nicht derjenige, der mich gestern niederschlug. Dessen bin ich sicher. Der Führer im Domus Aurea zählt alle Leute, die hineingehen, und niemand kann die Gewölbe betreten, ohne zur Gruppe zu gehören. Mr. Raschid gehörte nicht zur Gruppe.«
»Aber er könnte immerhin derjenige gewesen sein, der dein Zimmer durchsucht hat.«
»Ich weiß nicht, John, irgendwie glaube ich nicht daran. Es ist etwas Merkwürdiges an ihm. Wenn er nur hinter dem Schakal her wäre, hätte er ihn jetzt sicher schon bekommen. Auf die eine oder andere Tour. Mit ihm hat es mehr auf sich. Es kommt mir fast so vor, als wartete er darauf, daß ich ihn zu Adele führe.« John schmierte gleichgültig Butter auf ein Hörnchen. »Was soll denn das heißen?«
»Ich weiß nicht. Nur daß es hier um etwas Wichtigeres als um den Schakal geht. Wie wenn Adele auf etwas ganz Bedeutendes gestoßen wäre und gewissen Leuten ebensoviel daran läge, sie zu finden, wie mir.«
»Wenn sie nicht den Schakal wollen, warum ist dann dein Zimmer durchsucht worden?«
»Schon wegen des Schakals, John, doch nur um ihn als Hinweis auf Adeles Aufenthaltsort zu benutzen. Irgendwie denke ich, daß sie glauben, der Schakal werde sie zu meiner Schwester führen.«
»Klingt furchtbar an den Haaren herbeigezogen, Lydia.« Er nippte an seinem Kaffee und starrte dabei auf einen Punkt über meiner Schulter.
»Ich weiß, aber nur so läßt sich diese ganze Odyssee erklären. Irgendwie drängt sich mir der Gedanke auf, daß jedermann darauf wartet, daß ich Adele finde. Ich weiß nicht.«
Ich nahm noch ein Stückchen von der faden Ziegenmilchbutter und strich sie auf ein Brötchen, wobei ich mich in dem riesigen Speisesaal umsah. Zu dieser Tageszeit nur halb besetzt, strahlte er eine Atmosphäre von Vertraulichkeit und Abgeschiedenheit aus. Die Kellner standen allzeit bereit an der Seite, um uns den geringsten Wunsch sofort zu erfüllen, während die anderen Touristen - in der Mehrheit Franzosen - sich leise unterhielten.
Da bemerkte ich den dicken Mann. Halb verborgen hinter einer Topfpalme, schien er uns sehr eingehend zu beobachten. Doch was mich wirklich in Aufregung versetzte - in gewisser Weise hatte ich mich schon damit abgefunden, bespitzelt zu werden -, war, daß mir dieser kleine, dicke Mann irgendwie bekannt vorkam. Diese riesigen Brillengläser, die so aussahen wie die Böden von Colaflaschen. »John«, ich nickte in die Richtung hinter ihm und versuchte, mich dabei unauffällig zu verhalten, »hast du diesen Mann schon einmal gesehen?«
Er rutschte auf seinem Stuhl herum. »Welchen Mann?« Ich deutete auf die Pflanze, aber er stand nicht mehr dort. »Da ist jetzt niemand mehr. Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, den ich kenne.«
»Tatsächlich? Wie sah er aus?«
»Ach komm, laß gut sein. Vielleicht habe ich es mir nur eingebildet.«
Während die Beule an meinem Kopf allmählich zurückging, hatte ich noch immer unter den Auswirkungen zu leiden. Als wir fertig waren, wünschte ich mir daher nichts sehnlicher, als mich wieder in meinem Zimmer hinzulegen.
»Du wirst dir sicher Kairo ansehen wollen«, meinte John, als wir zu den Aufzügen gingen.
»Natürlich will ich das. Aber nicht jetzt. Ich muß meinen Kopf eine Zeitlang schonen.«
Das sah er ein und begleitete mich zurück aufs Zimmer. »Nur keine Bange, Lydia, und mach dir keine Sorgen wegen dieses komischen Vogels Achmed Raschid. Ich werde ihn nicht an dich heranlassen. Jetzt schläfst du, und ich werde nachsehen, was die Polizei herausgefunden hat.«
Ich machte mir nicht die Mühe, mich auszuziehen, sondern legte mich sofort aufs Bett. John zog die Vorhänge zu, gab mir einen Kuß und hängte das Bitte-nicht-stören-Schild vor die Tür. Doch ich konnte keinen Schlaf finden. Obwohl ich dem
Hämmern in meinem Kopf wieder mit Aspirintabletten entgegenzuwirken versuchte, ließen mir die wild auf mich einstürmenden Gedanken keine Ruhe. Zwei Fragen plagten mich vor allem: Warum war mir Achmed Raschid nach Kairo gefolgt und worüber sollte ich mich seiner Meinung nach mit ihm unterhalten wollen? Und wer war dieser beleibte Mann, der mich offensichtlich überwachte und der mir so bekannt vorkam?
Nach einer halben Stunde gab ich ungeduldig auf und beschloß, nach unten zu gehen. Wenn Adele gefunden und das Rätsel gelöst werden sollte, hatte es bestimmt nicht viel Sinn, in einem dunklen Zimmer zu liegen und darauf zu warten, daß die Antworten von selbst kämen. Obwohl ich mir völlig bewußt war, daß ich möglicherweise im Begriff war, eine Verrücktheit zu begehen, ich hatte beschlossen, Achmed Raschid anzurufen.
Während ich im Aufzug nach unten fuhr, fiel es mir nicht schwer, Vernunftgründe zu finden, die diesen Anruf rechtfertigten. Zunächst einmal glaubte ich ohnehin nicht, daß ich Mr. Raschid in Kairo auf Dauer würde aus dem Weg gehen können. Und zum zweiten war ich sicher, daß er etwas von Adele wußte, und brannte darauf zu erfahren, warum er hinter ihr her war.
Dies waren jedenfalls meine Gedanken, als ich aus dem Fahrstuhl in die Empfangshalle trat. Und diese Gedanken beschäftigten mich auch noch, als mein Blick auf John Treadwell fiel, der an der Rezeption stand und eine angeregte Unterhaltung mit dem dicken Mann führte, der mich bespitzelt hatte. Ich blieb jäh stehen. Schnell zog ich mich in eine Nische zurück, von der aus ich nicht gesehen werden konnte. Und da fiel es mir plötzlich wieder ein, warum der beleibte Mann mir so bekannt vorgekommen war. Er war einer aus der Gruppe vom Domus Aurea. Kurz darauf gingen sie gemeinsam weg und stiegen leise lachend in einen Fahrstuhl ein. Ich muß eine Zeitlang wie erstarrt dagestanden haben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, was John und der dicke Mann einander wohl zu sagen haben mochten. Aber noch verwirrender war ihr Verhalten gewesen: als wären sie nicht Fremde, sondern Freunde.
Natürlich vergaß ich darüber völlig mein Vorhaben, Achmed Raschid anzurufen, und beschloß statt dessen, mich zu John und seinem korpulenten Freund zu gesellen. So ruhig ich konnte, beobachtete ich, wie die Leuchtanzeige über dem Aufzug immer höher kletterte, bis sie ganz oben stehenblieb. Darauf nahm ich den nächsten Aufzug und drückte Nummer acht. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich oben anlangte, und ich spürte, wie meine Hände feucht und klamm wurden. Etwas, das man gemeinhin weibliche Eingebung nennt, begann die Vorherrschaft über meinen Verstand zu gewinnen und mir wahnsinnige Gedanken in den Kopf zu setzen. Denn ich fragte mich: Wenn der dicke Mann mit mir zusammen im Domus Aurea war, was tat er dann hier in Kairo, und wie kam es, daß er sich mit John so vertraulich unterhielt? Obgleich die Antwort für jeden anderen klar ersichtlich gewesen wäre, weigerte ich mich, daran zu glauben oder auch nur daran zu denken. Statt dessen erfand ich eine unausgegorene Theorie, nach der John den dicken Mann möglicherweise darauf angesprochen hatte, warum er uns nachspionierte.
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