»Das tut Ihnen gut. So lernen Sie endlich, ihre Eitelkeit zu überwinden«, entgegnete Dóra. »Damit werden Sie es in Island nämlich schwer haben. Wenn wir den Fall nicht bald abschließen, muss ich Ihnen in der Stadt einen Fliespulli kaufen.«
»Niemals«, konterte Matthias mürrisch. »Und wenn ich bis zu meinem Tod hier bleiben muss.«
»Der kommt sonst aber früher, als Ihnen lieb ist«, gab Dóra zurück. »Frieren Sie nicht? Möchten Sie meine Jacke haben?«
»Ich werde heute Abend für uns Zimmer im Hótel Rangá reservieren«, wechselte Matthias abrupt das Thema, »und meinen Mietwagen gegen einen Jeep eintauschen.«
»Sehen Sie, Sie sind doch schon zu einem halben Isländer geworden.«
Von außen wirkte das Museumsgebäude altmodisch. Der Vorplatz war von einem niedrigen Steinmäuerchen umgeben und mit Kies und Treibholzstücken bedeckt. Die Eingangstür war feuerrot und hob sich von den Erdtönen des Gebäudes ab. Auf einer Holzbank vor der Tür hockte ein schwarzer, wohlgenährter Rabe. Als sie näher kamen, schaute er zum Himmel, öffnete den Schnabel weit und krächzte. Dann breitete er seine Flügel aus und flatterte auf die Dachkante. Von dort beobachtete er, wie sie ins Haus gingen. »Wie passend«, kommentierte Matthias und hielt Dóra die Tür auf.
Drinnen stand rechter Hand ein kleiner Empfangstisch und direkt vor ihnen befanden sich ein paar Regale mit Verkaufsartikeln, die mit Hexerei zu tun hatten. Alles war schlicht und ordentlich. Hinter dem Tisch saß ein junger Mann und blickte von der Morgenzeitung auf. »Guten Tag«, sagte er lächelnd. »Willkommen im Hexereimuseum von Strandir.«
Als sich Dóra und Matthias vorgestellt hatten, entgegnete der junge Mann, er habe sie schon erwartet. »Ich bin nur vertretungsweise hier«, erklärte er, nachdem er ihnen die Hand geschüttelt und sich vorgestellt hatte. »þorgrímur …« þorgrímurs Handschlag war fest und Vertrauen erweckend. »Mein Kollege, der sich normalerweise um das Museum kümmert, ist in Urlaub. Ich hoffe, das macht nichts.«
»Nein, kein Problem«, sagte Dóra. »Aber habe ich das richtig verstanden, dass Sie auch im Herbst hier waren?«
»Ja, genau. Ich hab im Juli übernommen.« Er musterte sie neugierig und sagte: »Darf ich fragen, warum Sie das wissen möchten?«
»Wie Matthias Ihnen schon erzählt hat, recherchieren wir im Fall von jemandem, der an Hexerei interessiert war. Sie erinnern sich bestimmt an ihn.«
Der Mann lachte. »Da bin ich mir nicht so sicher. Wir haben viele Besucher.« Als ihm klar wurde, dass außer ihnen niemand anwesend war, fügte er verlegen hinzu: »Diese Jahreszeit ist natürlich eine Ausnahme — in der Urlaubszeit kommen jede Menge Leute.«
Matthias lächelte zögernd. »Wissen Sie, diesen Mann vergisst man nicht so schnell. Er war ein deutscher Geschichtsstudent und sah sehr unkonventionell aus. Er hieß Harald Guntlieb und wurde vor kurzem ermordet.«
þorgrímurs Gesicht erhellte sich. »Trug er allen möglichen, tja, wie soll ich sagen — Schmuck?«
»Ja, man könnte es als Schmuck bezeichnen«, entgegnete Dóra.
»Doch, doch — ich erinnere mich genau an ihn. Er kam zusammen mit einem anderen Mann, der war etwas jünger, traute sich aber nicht rein, weil er verkatert war. Es ist noch gar nicht so lange her, da hab ich in der Zeitung gelesen, dass der Deutsche ermordet wurde.«
»Das war er«, bestätigte Matthias. »Dieser Verkaterte — wissen Sie etwas über ihn?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nicht direkt — als sich Ihr Bekannter von mir verabschiedete, erzählte er, sein Freund sei Arzt. Ich dachte, er macht einen Witz. Als er wieder draußen war, hat er seinen Kumpel mit Geschrei und Getue geweckt. Ich stand in der Tür und hab das ganze Theater beobachtet. Ich fand es irgendwie unwahrscheinlich, dass dieser weggetretene junge Mann draußen auf der Bank Arzt sein sollte.«
Dóra und Matthias wechselten einen Blick. Halldór.
»Erinnern Sie sich sonst noch an etwas?«, fragte Dóra.
»Der Deutsche wusste unheimlich viel. Es macht Spaß, wenn man Besucher hat, die sich so gut in Geschichte und Magie auskennen wie er. Meistens wissen die Leute gar nichts; die wenigsten können einen Tilberi von einer Leichenhose unterscheiden.« þorgrímur erkannte an ihren Gesichtern, dass er zwei ebensolche Exemplare vor sich stehen hatte. »Wie wär’s, wenn wir erst mal durch das Museum gehen und ich Ihnen die wichtigsten Exponate erkläre? Dann können wir uns über Ihren Bekannten unterhalten.«
Dóra und Matthias schauten sich an, zucken mit den Schultern und folgten dem Mann in die Ausstellung.
»Ich weiß nicht, wie kundig Sie auf diesem Gebiet sind, daher erzähle ich Ihnen am besten etwas über die Hintergründe.« þorgrímur ging zu einer Wand, an der das Fell eines undefinierbaren Tieres hing. Auf das Leder war ein magisches Symbol gezeichnet. Es war wesentlich komplizierter als das Symbol, das in Haralds Leiche geritzt worden war. Unter dem Fell hing eine Holzkiste, die einem alten Schreibkästchen ähnelte. Sie stand halb offen und darin lag eine Silbermünze auf einem Büschel Haare. In den Deckel war ein schlichtes magisches Zeichen geritzt. Auf dem Kästchen hockte eine monsterhafte Gestalt, die aussah wie ein mutierter Igel. »Zur Zeit der Hexerei waren die Lebensumstände der einfachen Leute sehr primitiv. Die meisten Besitztümer im Land gehörten nur einigen wenigen Familien, während die Massen am Hungertuch nagten. Für viele waren Hexerei und übernatürliche Kräfte der einzige Ausweg aus dem Elend. Das war damals nichts Ungewöhnliches. Man glaubte zum Beispiel, dass der Teufel zwischen den Menschen umherspaziert und Seelen fängt.« þorgrímur zeigte auf das Fell an der Wand. »Dies ist ein Beispiel für Reichtum — das Seemauszeichen oder der Ringhelm. Dafür muss man dieses magische Symbol, das Ringhelmzeichen, mit dem Menstruationsblut einer Jungfrau auf das Fell eines schwarzen Katers zeichnen.«
Matthias verzog das Gesicht. Als þorgrímur es bemerkte, sagte er unwirsch zu dem Deutschen: »Wir haben karminrote Tinte verwendet.« Dann erklärte er weiter: »In den Volkssagen heißt es, man muss ein kleines Tier fangen. Es lebt am Strand und nennt sich Seemaus oder Seeraupe. Man fängt es mit einem Netz aus dem Haar einer Jungfrau.« Dóra spürte, wie Matthias mit der Hand über ihr langes, offenes Haar strich. Sie bemühte sich, nicht loszuprusten, und schob seine Hand unauffällig weg. »Dann muss man der Maus in einem Holzkasten ein Nest aus Haaren bereiten und ein gestohlenes Geldstück hineinlegen. Die Maus zieht daraufhin einen Schatz aus dem Meer in das Kästchen. Man muss das Kästchen mit dem Ringhelmsymbol versiegeln, damit die Maus nicht entkommen kann — sonst gibt es über dem Meer ein Unwetter.«
Er drehte sich zu ihnen. »Die Leute glaubten wirklich daran.«
»Ja«, entgegnete Matthias und zeigte auf eine Wand mit einer Glasvitrine, in der sich die untere Körperhälfte eines Mannes befand. »Was zum Teufel ist das denn?«
»Ah, das ist eines unserer beliebtesten Exponate. Eine Leichenhose. Sie sorgte ebenfalls für Reichtum.« þorgrímur ging zu der Vitrine. »Es handelt sich natürlich um eine Nachbildung — das ist ja offensichtlich.« Dóra und Matthias nickten eifrig. Hinter der Glasscheibe befand sich die Haut der unteren Körperhälfte eines Mannes; sie war ausgehöhlt. Das Ding erinnerte Dóra an ekelhafte, bleiche Strumpfhosen, behaart und mit Geschlechtsteilen. »Um an eine Leichenhose zu kommen, muss man mit einem Mann einen Vertrag abschließen, der besagt, dass man nach dessen Tod die Haut seiner unteren Körperhälfte abziehen darf. Wenn der Mann verstorben ist, wird seine Leiche ausgegraben und seine Haut von der Taille an abwärts in einem Stück abgezogen. Dann kann der Vertragspartner die Leichenhose anziehen und sie wird sofort mit ihm verwachsen. Wenn er im Hodensack eine Münze aufbewahrt — eine Münze, die er einer armen Witwe an Weihnachten, Ostern oder Pfingsten stiehlt — werden beständig Münzen in den Hodensack gelangen, sodass er immer genug Geld hat.«
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