»Und was meinte er deiner Ansicht nach mit ›Unstimmigkeiten oder Aufruhr‹?«, hakte ich nach.
»Er deutete auf die Gefahren hin, die damit einhergehen, dass ein König die Kronen erbt, der viel zu jung ist, um in irgendeiner Form sinnvoll regieren zu können, und es unter der Schirmherrschaft eines Regenten tun muss, dessen Interessen undurchsichtig sind. Ich glaube aber, dass er unterschwellig etwas anderes meinte.«
Er senkte die Stimme.
»Ich glaube, er spielte darauf an, dass innerhalb der Familie nach wie vor Aton verehrt wurde. Der verbannte Gott des Vaters. Es war noch jedem in bester Erinnerung, dass diese gefährliche Religion schon einmal entsetzliches Chaos angerichtet hatte, und man durfte nicht zulassen, dass sie noch einmal hochkam. Er spielte darauf an, dass die Armee es nicht tolerieren würde, falls es Anzeichen gab, dass sie ins öffentliche Leben zurückkehrte.«
»Ich glaube, das siehst du richtig. Und das ist auch Anchesenamuns Schwäche. Denn für sie ist es ebenso schwierig, wie es für ihren Gemahl schwierig war, sich nicht nur von den Misserfolgen ihres Vaters zu distanzieren, sondern auch von der Wurzel allen Übels: der verbotenen Religion.«
Anchesenamun war von ihren Kammerzofen umringt, die sie für den offiziellen Empfang herrichteten. Die schweren Düfte von Parfums und Ölen wehten durch die Stille. Kleine goldene Tiegel sowie blaue und gelbe Glasbehälter standen geöffnet vor ihr. Sie hielt einen Fisch in den Händen, der aus blauem und gelbem Glas gefertigt war, und goss einen intensiv duftenden Extrakt aus seinen gespitzten Lippen.
»Haremhab hat um eine Audienz ersucht«, begrüßte sie mich. »Heute Mittag.«
»Wie wir erwartet haben.«
Sie sah mich kurz an und schaute dann wieder in den polierten Kupferspiegel und widmete sich weiter der eingehenden Betrachtung ihres Erscheinungsbildes. Sie trug eine kunstvoll gearbeitete Perücke aus kurzem, dicht gelocktem Haar und ein Gewand aus feinstem, mit Goldfäden besticktem, plissiertem Leinen, das unter ihrer rechten Brust verknotet war, was ihre Figur betonte. Ihre Arme waren geschmückt mit Armreifen und sich windenden Kobras aus Gold. An ihrem Hals hingen an Goldfäden, die so dünn waren, dass man sie fast nicht sehen konnte, mehrere Anhänger, und auf ihrer Brust lag ein aufwendig gearbeitetes goldenes Amulett, das Nechbet zeigte, die Göttin mit der Geierhaube, die die Symbole der Ewigkeit hielt und schützend ihre blauen Flügel ausbreitete. Als Nächstes legten ihre Zofen ihr ein beeindruckendes Kleidungsstück um die Schultern, einen Schal, der aus vielen kleinen Goldscheiben gefertigt war. Sie drehte sich damit im Kreis und glitzerte im Licht der Kerzen umwerfend. Dann ließen ihre Zofen sie in ihre Sandalen schlüpfen – einen Traum aus Riemchen, die aus feinstem Gold gefertigt und mit kleinen goldenen Blumen verziert waren. Und schließlich wurde ihr die hohe Krone auf den Kopf gesetzt und mit einem Goldband gesichert, das die schützenden Kobras schmückten. Als ich sie das letzte Mal in den königlichen Gewändern gesehen hatte, hatte sie ängstlich gewirkt. Heute wirkte sie in höchstem Maße majestätisch.
Sie drehte den Kopf zu mir.
»Wie sehe ich aus?«
»Ihr seht aus wie die Königin der Beiden Länder.«
Sie lächelte zufrieden. Dann schaute sie auf den glitzernden Schal, der um ihre Schultern geschlungen war.
»Er hat meiner Mutter gehört. Ich hoffe, dass mich ein Hauch von ihrem großartigen Geist beschützen wird.«
Im nächsten Moment fiel ihr auf, welch düsterer Stimmung ich war, und sie sah mich wieder an.
»Es ist etwas passiert, nicht wahr?«, fragte sie plötzlich.
Ich nickte. Sie verstand und schickte ihre Zofen hinaus. Als wir allein waren, überbrachte ich ihr die Nachricht vom Tode Mutnedjmets. Ganz ruhig saß sie da, und die Tränen rannen ihr über die Wangen und verschmierten das Make-up aus Kajal und Malachit, das man gerade erst so sorgfältig aufgetragen hatte. Immer und immer wieder schüttelte sie den Kopf.
»Ich habe sie im Stich gelassen. Wie konnte das passieren? Hier im Palast? Während ich hier geschlafen habe?«
»Sobek ist sehr klug.«
»Aber Eje und Haremhab sind genauso für ihren Tod verantwortlich wie dieser bösartige, abscheuliche Mann. Sie haben sie eingesperrt und in den Wahnsinn getrieben. Und sie war die Letzte meiner Familie. Jetzt bin ich ganz allein. Schau mich an.«
Sie blickte auf ihre königlichen Gewänder.
»Ich bin nichts weiter als eine Puppe, der man diese Gewänder anzieht.«
»Nein, Ihr seid wesentlich mehr. Ihr seid die Hoffnung der Beiden Länder. Ihr seid unsere einzige Hoffnung. Ohne Euch ist die Zukunft düster. Haltet Euch das immer vor Augen.«
Tausend Menschen verstummten und verneigten sich tief, als die Königin den Saal betrat. Die Empfangshalle des Palastes war für Haremhabs Besuch üppig geschmückt worden. In kupfernen Schalen brannte Weihrauch. Überall standen Vasen mit riesigen und aufwendigen Blumenbouquets. Die Palastwachen säumten den Weg zum Thron. Mir fiel auf, dass Eje nicht anwesend war. Die Königin erklomm das Podest, sah zu ihren Ministern und setzte sich. Und dann warteten wir, in einer Stille, die wir länger erdulden mussten, als irgendeiner von uns erwartet hatte. Der General verspätete sich. Die Tropflaute der Wasseruhr maßen nicht nur die Zeit, die verging, sondern auch die Demütigung, die durch sein Nichterscheinen immer größer wurde. Ich blickte auf die Königin. Sie kannte dieses Spielchen und bewahrte die Fassung. Und dann, endlich, hörten wir seine Militärfanfare, und bereits im nächsten Augenblick durchquerte er, gefolgt von seinen Offizieren, mit großen Schritten die Halle. Vor dem Thron blieb er stehen und starrte die Königin überheblich an. Erst dann neigte er den Kopf. Sie blieb sitzen. Das Podest schenkte ihr einen Höhenvorteil über den General.
»Schaut auf«, erklärte sie ruhig.
Er tat es. Sie wartete darauf, dass er sprach.
»Leben, Wohlstand und Gesundheit. Jeder in den Beiden Ländern weiß um meine Loyalität. Ich lege sie zusammen mit meinem Leben zu Euren königlichen Füßen.«
Seine Worte schallten durch die Halle, in der eintausend vornehme Ohrenpaare auf jede Nuance lauschten.
»Wir vertrauen schon lange auf Eure Loyalität. Sie bedeutet uns mehr als Gold.«
»Es ist meine Loyalität, die mir heute den Mut gibt«, erwiderte er ominös.
»Dann sprecht, General.«
Er sah sie an, und im nächsten Moment richtete er das Wort an alle, die sich in der Halle versammelt hatten.
»Was ich sagen möchte, ist ausschließlich für die Ohren der Königin bestimmt und ließe sich in einem intimeren Umfeld besser zur Sprache bringen.«
Sie neigte den Kopf.
»Unsere Minister sind ein Teil von uns. Was könnte es zu besprechen geben, was sie nicht hören dürfen?«
Er lächelte.
»Angelegenheiten, die nicht mit dem Staat, sondern mit dem Menschen zu tun haben.«
Eindringlich sah sie ihn an. Dann erhob sie sich und forderte ihn auf, sie in einen angrenzenden Vorraum zu begleiten. Er folgte ihr, und das Gleiche tat ich. Er wollte mich erbost angehen, aber sie erklärte mit fester Stimme:
»Rahotep ist meine persönliche Leibwache. Er begleitet mich immer und überall. Und ich verbürge mich für seine Integrität und seine Verschwiegenheit.«
So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu fügen.
Ich stand wie ein Wachsoldat neben der Tür. Sie saßen einander gegenüber auf Liegen. In dieser eher häuslichen Umgebung wirkte er auf nahezu drollige Weise wie ein Fremdkörper, ganz so, als würden Wände und Kissen nicht zu ihm passen. Es wurde Wein eingeschenkt, und dann entfernten sich die Diener. Sie spielte das Spiel des Schweigens und wartete darauf, dass er den ersten Zug machte.
»Ich weiß, dass der König tot ist. Ich spreche Euch mein aufrichtiges Beileid aus.«
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