»Wollen wir hoffen, daß sie nicht enttäuscht werden«, sagte sie knapp. Buddog runzelte die Stirn und ließ sie allein.
Endlich erschien auch Eadulf. Er wirkte immer noch müde. Wahrscheinlich sah sie selbst ebenso abgespannt aus, schließlich waren sie erst bei Morgengrauen zu Bett gegangen. Sie hatten noch eine Weile mit Sualda gesprochen, der sich dank Eadulfs Hilfe von seiner Verletzung erholt hatte. Das Gespräch mit ihm bestätigte Fidelmas Verdacht.
»Wie ich sehe, kommen die Leute schon in der großen Halle zusammen«, sagte Eadulf zur Begrüßung und nahm sich einen Apfel. Er hatte gerade davon abgebissen, als auch Prinz Cathen und Cadell eintraten.
»Was für ein herrlicher Tag«, verkündete der Prinz. »Die Sonne steht fast im Zenit. Cadell hat sich ganz strikt an deine Anweisungen gehalten. Alle, die er herbitten sollte, sind schon erschienen. Clydog und seine Gefährten sind immer noch eingesperrt, außer Iestyn, der wurde bereits unter Bewachung in die Halle geführt.«
»Sind der Schmied Goff und seine Frau Rhonwen eingetroffen?« fragte Fidelma.
»Ja. Sie haben ihren Sohn Dewi mitgebracht«, antwortete Cadell.
»Und Elen?«
»Sie folgte nur unwillig der Aufforderung, zurückzukommen. Glücklicherweise ist sie für ein paar Tage bei Goff geblieben, so mußten wir nicht die ganze Strecke nach Llanrhian reiten, um sie zu holen. Ich nehme an, sie ist nicht besonders froh, wieder hier zu sein.«
»Also ist alles bereit, Schwester«, meinte Cathen, »so wie du es angeordnet hast.«
»Ist Gwnda auch da?«
»Ja, und er ist recht unglücklich darüber«, erwiderte Cathen. »Als Fürst von Pen Caer hätte er normalerweise den Vorsitz bei diesem Gericht, doch nun werde ich auf deine Bitte hin selbst dieses Amt übernehmen.«
»Es steht in deiner Macht, Prinz Cathen, dafür zu sorgen, daß die Anhörung rechtmäßig verläuft. Ich habe keine rechtliche Befugnis hier. Nachdem ich die Fakten dargelegt habe, wirst du entscheiden, welche rechtlichen Schritte eingeleitet werden müssen.«
»So soll es sein.«
»Dann geh voran, wir kommen gleich nach.«
Prinz Cathen und Cadell liefen zur Halle. Fidelma hörte, wie das Stimmengemurmel erwartungsvoll abebbte.
Buddog machte sich immer noch in der Küche zu schaffen.
»Buddog, kommst du nicht mit?«
Die Haushälterin schüttelte den Kopf. »Ich bin nur eine Bedienstete, Lady. Ich darf während öffentlicher Verhandlungen Gwndas Halle nur betreten, um Gäste zu bedienen.«
»Aber du hast das Recht, heute daran teilzunehmen und zu hören, was sich in den letzten Tagen wirklich ereignet hat. Eadulf wird dich hereinbringen und dir einen Platz besorgen.«
Eadulf erhob sich und bedeutete Buddog, ihm zu folgen. Widerstrebend schloß sie sich ihm an.
Fidelma saß noch am Tisch und trommelte mit den Fingern auf das Holz, sie starrte angespannt ins Leere. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus, stand auf und betrat Gwndas Halle.
Viele Leute waren hier versammelt. Prinz Cathen hatte sich auf dem Amtsstuhl niedergelasssen. Gwnda, als Fürst von Pen Caer, saß neben ihm. Gwnda war anzusehen, daß er dem Prinzen seinen Platz nur ungern überlasssen hatte. Er blickte Fidelma böse an, als sie hereinkam. Einer der Männer, die Cathen mitgebracht hatte, war offenbar ein Schreiber. Cathens Leute waren überall in der Halle postiert. Und Cadell war bereit, seine Aufgabe als Verhandlungsführer zu übernehmen.
Fidelma war an der Tür stehengeblieben. Schweigen breitete sich in der Halle aus. Fidelma sah Elens schmollendes Gesicht, sie saß in der Nähe ihres Vaters. Da waren Goff, seine dickliche Frau Rhonwen und ihr Sohn Dewi; Fidelma lächelte ihm zu. Hätte sich der Junge nicht zur Abtei Dewi Sant auf den Weg gemacht, hätte die Geschichte für sie einen fatalen Ausgang nehmen können. Buddog saß linkisch auf dem Platz, den ihr Eadulf angewiesen hatte. Nicht weit weg von ihr hockte Iestyn mit zwei Bewachern neben sich.
Cadell hatte genau nach ihren Anweisungen gehandelt. Clydog, Corryn und ihre Anhänger befanden sich nicht in der Halle, sondern wurden in Gwndas Scheune gefangengehalten, bis sie sie rufen ließ.
Cathen blickte zum Schreiber hinüber, der mit dem Knauf seines Dolches auf den Tisch klopfte. Das wäre nicht nötig gewesen, denn in der Halle herrschte bereits Ruhe.
»Wir sind bereit, dich anzuhören, Schwester«, sagte Cathen würdevoll.
Fidelma trat in die Mitte des großen Raumes. Dort stand schon Eadulf Cathen genau gegenüber. »Prinz Cathen, bitte bestätige vor diesem Gericht, daß ich und Bruder Eadulf durch die Genehmigung und Vollmacht von Gwlyddien, deinem Vater, dem König von Dyfed, hier zu sprechen befugt sind.«
»Das wird in vollem Umfang bestätigt. Schwester Fidelma von Cashel und Bruder Eadulf von Seax-mund’s Ham, die in ihrer Heimat als Richter tätig sind, sind im Auftrag meines Vaters, des Königs von Dyfed, nach Pen Caer gekommen. Um die Sache zu erleichtern, hat der König verfügt, sie als ehrenamtliche barnwrs dieses Königreiches anzuerkennen. Wir sind hier, um uns das Resultat ihrer Ermittlungen anzuhören.«
Fidelma blickte sich feierlich um, als sammle sie noch einmal ihre Gedanken, dann wandte sie sich an Prinz Cathen. »Wir sind zusammen mit Bruder Meu-rig nach Llanwnda gekommen, denn zwei Fälle bedurften der Untersuchung. In dem einen Fall hatte uns König Gwlyddien um Hilfe gebeten - es ging um das Verschwinden der Mönche von Llanpadern. Der andere Fall war der, den Bruder Meurig - als erfahrener Richter dazu ausgewählt - untersuchen sollte, nämlich den Tod von Mair, der Tochter von Iorwerth, dem Schmied dieses Ortes.
Anfänglich nahmen wir an, daß diese beiden Fälle nichts miteinander zu tun hätten. Dann fragte ich mich, ob es nicht doch einen Zusammenhang geben könnte, denn bestimmte Personen waren in beide Fälle verwickelt.«
In der Halle war kein Laut zu vernehmen, als Fidelmaeinen Moment lang schwieg.
»Prinz Cathen, mit deiner Erlaubnis werde ich bei der Darlegung beider Fälle mit Mairs Ermordung und dem Resultat beginnen ...«
»Einspruch!« rief Gwnda. »Dieser Fall überschreitet die Kompetenz einer Fremden, ganz gleich was sie für ein Ansehen in ihrem Land genießen mag.«
Cathen brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. »Ich habe bereits über ihren Aufgabenbereich entschieden«, sagte er streng. »Mein Vater hat verfügt, daß sie auch den Tod von Bruder Meurig untersuchen und Beschuldigungen vorbringen darf. Und da dies der Richter war, der in Mairs Tod ermittelt hat, so meine ich, daß es nun auch zu ihren Pflichten gehört, ihre Beweisführung in diesem Fall vorzutragen.«
»Bruder Meurig ist von Idwal umgebracht worden. Idwal hat auch Mair ermordet. Das Verbrechen sollte zu den Akten gelegt werden«, widersprach Gwnda.
»Leugnest du etwa, daß auch dir schon Zweifel an Idwals Schuld gekommen sind?« fragte Fidelma. »Deine Tochter Elen nahm an, daß man Mair versehentlich umgebracht hat. Weil sie gewisse Verschwörer im Wald belauscht hatte, sollte sie dran glauben, so dachte sie. Stimmt das nicht, Gwnda? Du hast sogar erlaubt, daß Elen mir das mitteilte.«
»Aber ich habe mich ihrer Sicht der Dinge nicht angeschlossen«, erwiderte Gwnda gereizt.
Cathen blickte in Elens von Furcht gezeichnetes Gesicht. »Ist das wahr, Elen? Hast du das gesagt, und hat dein Vater dir erlaubt, darüber mit Schwester Fidelmaund Bruder Eadulf zu sprechen?«
»Es ist wahr«, antwortete ihm Elen ehrlich, froh schien sie darüber aber nicht zu sein.
Cathen schaute wieder zu Fidelma. »Dann ist Gwndas Einspruch abgelehnt. Fahr fort, Fidelma von Cashel.«
Fidelma hielt kurz inne, als ordne sie ihre Gedanken.
»Die Ursprünge dieser Tragödie - und damit meine ich Mairs Tod - reichen viele Jahre zurück. Es ist besser, wenn ich die Geschichte so genau wie möglich wiedergebe. Sollte mir ein Irrtum unterlaufen, werden mich die hier versammelten Zeugen berichtigen. So werdet ihr schließlich erfahren, daß die Hand, die Mair ermordete, nicht die gleiche war, die Bruder Meurig umgebracht hat.«
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