»Jetzt können wir weiterreden. Kein Schurke soll uns entwischen!«
»Willst du damit sagen, daß Iorwerth und Iestyn mit dem geächteten Clydog gemeinsame Sache machen?« fragte Cathen erstaunt.
»Es geht hier um mehr als nur um Raub, Prinz Ca-then«, erwiderte Fidelma. »Doch Gwnda wollte gerade erzählen, wie ihr die Lage zu euren Gunsten verändern konntet ...?«
Während Fidelma das sagte, warf sie Eadulf einen warnenden Blick zu. Er begriff, daß sie einen Grund hatte, nicht preiszugeben, daß sie Iorwerths Leiche entdeckt hatten, auch wenn er diesen Grund nicht kannte.
Gwnda fuhr mit seinem Bericht fort. »Wie ich schon sagte, wir wurden alle in die Scheune gesperrt. Clydog stellte zehn seiner Leute ab, um uns zu bewachen. Weitere waren draußen.«
»Zu diesem Zeitpunkt trafen wir in Llanwnda ein«, meldete sich Cathen wieder zu Wort.
»Wie viele seid ihr?« wollte Eadulf wissen.
»Fünfzig Krieger aus der Leibwache meines Vaters. Alles ausgezeichnete Leute.«
»Es ist schon recht verwunderlich, daß Clydogs Männer einen so großen Trupp nicht vorher bemerkten«, sagte Fidelma.
»Ich habe zwei Späher vorgeschickt, um die Lage zu erkunden. Sie stießen auf einen Mann, der an der Brücke zum Ortseingang Posten bezogen hatte. Er machte den Fehler, die beiden für Gefährten zu halten, und begrüßte sie mit so eigenartigen Worten, daß meine Leute sofort mißtrauisch wurden. Also ent-waffneten sie ihn und brachten ihn zu mir. Wir konnten ihn überreden, ein wenig zu plaudern .« Cathen lachte trocken. »Vielleicht sollten wir diesen Punkt überspringen. Wie dem auch sei, er verriet uns, daß Clydogs Banditen Gwnda und sämtliche Bewohner von Llanwnda eingesperrt hatten, und er erklärte uns sogar, wo die Wachen aufgestellt waren. Da hatten wir leichtes Spiel, sie zu entwaffnen und die Leute zu befreien. Als wir erfuhren, daß Clydog und ein paar seiner Krieger dich und Eadulf verfolgten, beschlossen wir, daß alle rasch und leise in ihre Häuser zurückkehren und im Dunkeln dort ausharren sollten, bis sie von Gwnda weitere Anweisungen erhielten. Wir gingen in Deckung und warteten auf Clydogs Rückkehr, denn wir wußten, daß er zurückkommen mußte. Den Rest kennt ihr.«
Fidelma nickte voller Anerkennung. »Du scheinst ein ausgezeichneter Stratege zu sein, Cathen.«
»Selbst ein kluger Stratege braucht Glück, Schwester.«
Fidelma sah ihn bewundernd an. Eitel war Cathen gewiß nicht.
Gwnda räusperte sich. »So, Prinz Cathen«, sagte er, »mit dir kehrt wieder Friede in Pen Caer ein. Du hast die Räuberbande, die hier ihr Unwesen trieb, umzingelt und festgenommen. Und Schwester Fidelma wird dich nun davon unterrichten, daß auch all die anderen rätselhaften Vorfälle aufgeklärt sind. Si finis bonus est, totum bonum erit.«
Schnell schüttelte Fidelma den Kopf. »Wir sind noch keineswegs bei einem glücklichen Ende angelangt.«
Prinz Cathen blickte sie fragend an. »Ich kann mir denken, daß da noch Verschiedenes offengeblieben ist. Wie ist aber der Stand der Dinge, verehrte Schwester?«
»Zunächst muß ich wissen, Cathen, ob Dewi deinem Vater meine spezielle Bitte vorgetragen hat?«
Cathen nickte. »Die Bitte, daß man dir die Befugnis eines barnwr geben solle, um in all jenen Angelegenheiten ermitteln zu können, die du für wichtig erachtest.«
»Erhalte ich diese Befugnis?«
»Mein Vater war ohne Zögern bereit, dir diese Vollmacht zu erteilen. Wie ich schon sagte, wir meinten nur, daß du ein wenig kriegerischen Rückhalt gebrauchen könntest. Deshalb bin ich mit meinen Leuten ja hergekommen.«
Gwnda verfolgte das Gespräch mit abschätzigen Blicken.
In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und einer von Cathens Kriegern trat ein. »Das war leicht erledigt, Prinz Cathen. Wir haben den Mann, der Iestyn heißt. Er war mit zwei Geächteten auf seinem Hof. Wir überraschten sie derart, daß sie nicht einmal ihre Schwerter ziehen konnten. Niemand ist verletzt worden.«
Cathen warf Fidelma ein Lächeln zu. »Hervorragend. Also haben wir jetzt alle Ratten in der Falle, Lady?«
Fidelma sagte einen Moment lang nichts, dann fragte sie den jungen Krieger. »Trug einer der beiden Geächteten einen Helm? Einen Kriegshelm? Ein arrogant auftretender Mann?«
»Das muß der sein, der auf den Namen Corryn hört. Der wirkte ziemlich arrogant«, antwortete der Krieger.
Fidelma seufzte zufrieden. »Ja, den meinte ich.«
»Außer Iestyn war da noch ein Geächteter. Er heißt Sualda.«
»Sualda?« Eadulf zog ein wenig die Augenbrauen hoch. »Also hat er überlebt?«
»Das Glück ist uns hold«, erklärte ihm Fidelma.
Cathen sah sie mit fragendem Blick an. »Spielen diese Männer eine besondere Rolle?« erkundigte er sich. »Ich dachte, Clydog wäre der Anführer der Bande.«
»Sie spielen eine ziemlich besondere Rolle. Das kann man wohl sagen«, bestätigte ihm Fidelma. »Bringt sie getrennt voneinander unter und bei strengster Bewachung. Sie haben alle ihr Scherflein zu der Sache beigetragen.«
Cathen bedeutete seinem Krieger, Fidelmas Anweisungen auszuführen. Danach wandte er sich wieder an sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles überhaupt begriffen habe«, fing er an.
»Du wirst dich bis morgen gedulden müssen. Am späten Vormittag, natürlich nur mit Gwndas Zustimmung, werden wir uns in diesem Raum einfinden. Dann werde ich mich bemühen, alles zu erklären.«
Gwnda war offensichtlich verärgert. »Ich dachte, nun sei endlich Ruhe? Wir haben doch alle Banditen festgesetzt. Was gibt es sonst noch?«
»Denk an die vielen Toten, Gwnda, und auch an die Verschwörung gegen König Gwlyddien«, antwortete ihm Fidelma. An Cathen gewandt, fragte sie: »Habe ich das Recht und deine Erlaubnis, Anklage und Aufklärung der Verbrechen öffentlich vorzunehmen?«
»Aber gewiß«, erwiderte der Prinz.
»Dann benötige ich einen deiner Männer als Verhandlungsführer bei Gericht, das, wie ich vorschlage, morgen nachmittag in Gwndas Halle zusammentreten soll.«
»Cadell, mein Stellvertreter, genießt mein vollstes Vertrauen, Schwester.«
»Sehr gut. Ich werde mich mit Cadell unterhalten und ihm erklären, was er morgen zu tun hat. Alles muß wie am Schnürchen laufen.«
Cathen und Gwnda begriffen nicht recht, was sie vorhatte. Trotzdem ging Cathen zur Tür und beauftragte einen seiner Leute, nach Cadell zu suchen und ihn zu ihm zu schicken. Kurz darauf trat ein junger Krieger ein. Cathen wechselte leise ein paar Worte mit ihm, woraufhin er auf Fidelma zueilte und zum Gruß die Hand hob.
»Ich stehe zu deinen Diensten, Schwester«, sagte er. Er wirkte energisch und tüchtig.
»Du bleibst noch, Bruder Eadulf und ich werden dir Anweisungen geben.« Sie drehte sich zu den anderen um und sagte mit fester Stimme: »Die Nacht ist fast vorbei, sie war lang und hat uns alle ermüdet. Ich schlage vor, daß ihr euch zurückzieht. Bruder Eadulf und ich werden eurem Beispiel bald folgen.«
Ein unglaublich strahlender Morgen war angebrochen. Am Himmel zeigte sich keine Wolke, die Sonne schien mit herbstlicher Kraft. Doch trotz der Sonne war die Luft kalt, Rauhreif hatte sich in den Stunden vor Morgengrauen auf die Landschaft gelegt und war schon wieder verschwunden. Wassertropfen glänzten noch auf den Büschen und Bäumen, selbst im Gras.
Fidelma hatte lange geschlafen. Es schien bald Mittag zu sein. Immerhin war sie eher auf den Beinen als Eadulf. Sie ging in die Küche hinunter, wo Buddog schon Teller und Schüsseln abspülte. Buddog empfing sie mürrisch.
»Im Ort herrscht heute vormittag reges Treiben, Schwester. In Gwndas Halle haben sich schon jede Menge Leute versammelt, die neugierig sind, was du ihnen mitzuteilen hast.«
Fidelma nahm am Tisch Platz und griff nach einer Schale mit Äpfeln.
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