Während die Diener die inzwischen leeren Suppenschüsseln wegtrugen und große Platten mit Hasen nach französischer Art brachten, wurde die allgemeine Unterhaltung wieder aufgenommen. Liuzzo machte nicht einmal Anstalten, sich selbst zu bedienen; er erwartete, dass sein Neffe sie beide versorgte. Mondino fischte drei schöne, mit einer dunklen Soße bedeckte Stücke Fleisch von der Platte, packte sie auf eine dicke Scheibe Brot und legte die auf das Tischtuch zwischen ihnen.
»Mondino, irgendetwas beunruhigt dich doch«, sagte Liuzzo.
Er fügte nichts mehr hinzu, aber offensichtlich erwartete er eine Erklärung.
»Ja, es stimmt, Onkel«, erwiderte Mondino, nahm ein Stück Hase in die Finger und biss hinein, mehr aus Anstand als aus Appetit. »Wenn Ihr es genau wissen wollt: Mir gefällt die Vorstellung überhaupt nicht, dass die Mönche sich jetzt anmaßen, die Justiz unter unseren Dächern übernehmen zu wollen. Der Tote, von dem Ihr spracht, war ein Tempelritter? Ausgezeichnet, dann sollten die Richter der Stadt hinzugezogen werden, und niemand wird der Inquisition die Erlaubnis verweigern, eigene Ermittlungen zu dem Mord anzustellen. Aber dieser Machtmissbrauch, diese Anmaßung gefallen mir überhaupt nicht.«
Er hatte das Thema vor allem deswegen angeschnitten, weil er die Aufmerksamkeit seines Onkels ablenken wollte, aber dann hatte Mondino sich wirklich echauffiert, wie jedes Mal, wenn er auf die Einmischung des Papsttums in das städtische Leben zu sprechen kam. Er verstummte plötzlich, da auf einmal eben aufgrund seiner Worte eine Idee in seinem Kopf Gestalt angenommen hatte.
Liuzzo schluckte seinen Bissen hinunter und leckte sich sorgfältig die Finger ab, bevor er zu sprechen begann. »Ich weiß, dass dir dieses missfällt, Mondino«, sagte er bedächtig, als müsse er jedes seiner Worte genau abwägen. »Und ich weiß auch, wohin dich deine Abneigung gegen den Papst gebracht hat. Ich fordere ja nicht von dir, dass du deine Prinzipien verleugnest. Das würde ich von niemandem verlangen: Was bleibt von einem Mann, wenn man ihm das nimmt, woran er glaubt?«
»Nichts als eine leere Hülle, die sich nach dem Wind dreht und sich mal bläht, mal in sich zusammenfällt«, erwiderte Mondino scharf. Liuzzo hatte eine rhetorische Frage gestellt und verlangte eigentlich keine Antwort - aber ihm hatte dessen Anspielung auf seine Verbannung so sehr missfallen, dass er sich einfach nicht zurückhalten konnte. Denn genau dorthin - in die Verbannung - hatte ihn seine Abneigung gegen den Papst vor mehr als zehn Jahren gebracht.
Liuzzo wischte ein wenig Soße mit zwei Fingern auf, leckte sie ab und meinte: »Ich weiß, du würdest es wieder tun. Und das bewundere ich an dir. Diese Fähigkeit, konsequent bis zum Ende zu gehen. Aber«, sagte er und wehrte mit einer Hand schon im Voraus die Einwände seines Neffen ab, »jetzt bist du ein Magister des Studiums von Bologna, der ersten und besten Universität Europas. Du bist Familienvater, hast keine Frau mehr an deiner Seite und bist nicht mehr so jung wie vor zehn Jahren.«
»Ja und? Ich bin immer noch ich«, erwiderte Mondino schärfer als beabsichtigt auf die ruhigen Ausführungen seines Onkels. »Ich weiß, was es euch alle gekostet hat«, fügte er hinzu. »Euch, meinen Vater. Und ich habe schon mehrmals vorgeschlagen, dass ich meine Schulden bezahle.«
Diesmal verlor Liuzzo seine Ruhe. Er sprach noch leiser, damit ihn die ihnen gegenübersitzenden Tischgäste nicht hörten, aber seine Worte klangen so schneidend wie das Geräusch von einer Klinge auf einem Schleifstein. »Die tausend Lire, die dein Vater und ich für deine Rückkehr bezahlen mussten, bedeuteten ein Opfer für uns, weil wir nicht reich sind, aber wir haben sie nie als eine Schuld betrachtet. Wenn du so engherzig bist, dass du die uneigennützige Hilfe deiner Familie nicht annehmen kannst, ist das dein Problem. Ich meinte nicht das Geld, sondern dass du deinen Kindern gegenüber eine Verantwortung hast. Wenn du dich in Schwierigkeiten bringst, werden sie wiederum für deinen Stolz büßen müssen. Und öffentlich die Kirche des Machtmissbrauchs und der Anmaßung zu beschuldigen bedeutet, Schwierigkeiten anzuziehen.«
Er wandte sich dem Tischnachbarn zu seiner Linken zu, einem alten Arzt, der sich vor zwei Jahren aus der Lehre zurückgezogen hatte, den aber alle aus Respekt weiterhin zu den Banketten einluden, und unterhielt sich mit ihm darüber, wie doch das Innere von genau richtig gerösteten Brotscheiben die Soße kräftig und geschmackvoll machte. Mondino grübelte schweigend. Stimmte es denn, dass er uneigennützige Hilfe nicht annehmen konnte? Dieser Satz hatte ihn verletzt. Aber ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.
Er kehrte zu seinen vorigen Überlegungen zurück. Der Mensch, der für die beiden Morde verantwortlich war, durfte nicht in die Hände der Inquisition gelangen. Denn eines musste man den Dominikanern lassen: Sie beherrschten es wirklich, Gefangenen Geständnisse abzupressen. Manchmal genügte schon die territio verbalis , also die Androhung von Folter, andere Male musste man zur wirklichen Folter greifen. Doch das Ergebnis stand bereits im Vorhinein fest.
Jetzt, da die Vorstellung, im Gefängnis zu enden, für ihn immer wahrscheinlicher zu werden drohte, fühlte Mondino blanke Angst. Selbst für den Fall, dass seine Strafe mild ausfiele - und daran glaubte er keineswegs -, würde man ihm die Lehrerlaubnis entziehen und ihm vielleicht sogar verbieten, seinen Beruf als Arzt auszuüben. Wie sein Onkel richtig gesagt hatte, trug er nicht nur für sich die Verantwortung, sondern auch für seine Kinder. Und wenn man ihn verhaftete, würden gerade sie am meisten darunter leiden.
Es gab nur eine Möglichkeit, dem zu entgehen. Eine Möglichkeit, die ihn zwang, selbst etwas zu riskieren, wie bei einer Partie Würfel alles aufs Spiel zu setzen, und das mit höchst ungewissem Ausgang. Er musste seinem Schicksal zuvorkommen. Einfach nur darauf zu warten, dass das Schicksal unerbittlich zuschlug, entsprach nicht seinem Charakter.
»Ist alles nach Eurem Geschmack, Meister Mondino?«
Die Stimme des Mannes aus Syrakus schreckte ihn auf. Der frischgebackene Doktor machte seine Runde zwischen den Tischen, um sich davon zu überzeugen, dass seine Gäste auch zufrieden waren. Mondino hob den Blick vom Teller und meinte lächelnd: »Gewiss, dieser Hase schmeckt wirklich ausgezeichnet, und die Ravioli waren ebenfalls köstlich.«
Der Student dankte ihm und versicherte, dass die Braten noch besser sein würden, danach ging er weiter und fragte Liuzzo und die anderen Tischgäste. Mondino versank wieder in seinen Gedanken, während sich die Platten um ihn herum leerten, die Hasen in den gierigen Mündern verschwanden und man die Soße mit Brotstücken auftunkte.
Darauf wurde der Braten gereicht, der im ganzen Raum ein zustimmendes Raunen auslösten. Mondino bemerkte die üppig gefüllten Platten jedoch kaum. Er fühlte sich wie in einer unwirklichen Dimension, wie in einem Traum gefangen, in dem ihn keinerlei Sinneseindrücke erreichen konnten. Es tat ihm leid, dass er seinen Onkel gekränkt hatte, und er wusste, dass Liuzzo eine Entschuldigung erwartete, aber es gelang ihm nicht, sich so weit von seinen Gedanken zu lösen, dass er dazu imstande war.
Er nahm ein Stück Ziege, legte es auf eine Scheibe Brot vor sich und begann zu essen, vor allem, weil er nicht auffallen wollte. Sein ohnehin spärlicher Appetit war ihm nun vollends vergangen.
Sobald es zwischen den Gängen eine Pause gab, in der Musiker heitere und ein wenig frivole Lieder anstimmten, nutzten die Gäste die Gelegenheit, um aufzustehen, sich die Beine zu vertreten und in den Garten zu gehen, damit sie sich dort erleichtern konnten. Auf diesen Moment hatte Mondino gewartet.
»Onkel, kann ich bitte mit Euch reden?«, fragte er.
Liuzzo drehte sich um, und als er sah, dass sein Neffe sich schon erhoben hatte, stand er ebenfalls auf. »Nur wenn du dich bei mir entschuldigen willst«, erwiderte er trocken.
Читать дальше