Während Harry die Post sortierte, kam Boom Boom Craycroft hereingeschlendert. Ihrem Auftritt fehlte nur noch ein Fanfarenstoß. Im Gegensatz zu Mrs. Hogendobber trug sie Hosen, vorwiegend hautenge Jeans, und sie hatte eine Vorliebe für T- Shirts oder sonstige Oberteile, die den Blick auf ihren Busen lenkten. Sie war früh entwickelt gewesen, schon im sechsten Schuljahr. Die Jungen sagten jedesmal »Baboom, Baboom«, wenn sie vorübertänzelte. Mit den Jahren verkürzte sich das zu Boom Boom. Ob dieser Spitzname sie störte, war nicht zu erkennen. Es schien sie jedenfalls zu freuen, daß ihre Vorzüge schon Legende waren.
Es schien sie nicht zu freuen, Harry zu sehen.
»Guten Morgen, Boom Boom.«
»Guten Morgen, Harry. Was für mich dabei?«
»Hab ich schon ins Fach gelegt. Wie kommt's, daß du schon so früh in der Stadt bist?«
»Ich stehe jetzt immer zeitig auf, um soviel Licht wie möglich mitzukriegen. Ich leide nämlich an jahreszeitlich bedingter Erregungsstörung, und der Winter macht mich depressiv.«
Harry, seit langem vertraut mit Boom Booms endlosen Krankheitslisten, mit denen man mehrere medizinische Lehrbücher hätte füllen können, konnte sich nicht verkneifen zu sagen: »Aber Boom Boom, ich dachte, du hättest das überwunden, indem du Milchprodukte von deinem Speisezettel abgesetzt hast.«
»Nein, das war wegen meiner Schleimbeschwerden.«
»Ach so.« Harry dachte bei sich, wenn Boom Boom nur die Hälfte der lebhaft beschriebenen Gebrechen hätte, über die sie klagte, dann wäre sie tot. Harry hätte dagegen absolut nichts einzuwenden gehabt.
»Wir« - und hiermit meinte Boom Boom sich und Harrys ExEhemann Fair - »waren gestern abend bei Mim. Little Marilyn und Fitz-Gilbert waren auch da, wir haben Pictionary gespielt. Du hättest sehen sollen, wie Mim sich ins Zeug gelegt hat. Sie muß immer gewinnen.«
»Und? Hat sie gewonnen?«
»Wir haben sie gewinnen lassen. Sonst würde sie uns dieses Jahr beim Erntefest nicht an ihren Tisch einladen. Du weißt ja, wie sie ist. Sag mal, Little Marilyn und Fitz-Gilbert haben erwähnt, sie hätten diesen Neuen getroffen - >göttlich< soll er aussehen, hat Marilyn gesagt -, und der ist nun dein Nachbar. Und er hat in Yale studiert. Was hat ein Yale-Absolvent hier zu suchen? Der Süden schickt seine Söhne nach Princeton, also muß er ein Yankee sein. Ich war mal mit einem Yale-Mann zusammen, von der Verbindung >Skull and Bones<. Schädel und Knochen, haha, die reine Ironie, denn beim Tanzen mit ihm hab ich mir doch wahrhaftig den Fußknöchel gebrochen.«
Harry fand es übertrieben, das als Ironie zu bezeichnen. In Wirklichkeit wollte Boom Boom sie ja nur wissen lassen, daß sie nicht nur einen Yale-Mann gekannt hatte, sondern einen »Skull and Bones«-Mann - nicht »Wolfs Head« oder eine der »geringeren« Geheimgesellschaften, sondern »Skull and Bones«. In Yale angenommen zu werden war nach Harrys Meinung Ehre genug; gehörte man dazu noch einer Geheimgesellschaft an, na großartig, doch tat man gut daran, darüber den Mund zu halten. Aber Boom Boom konnte ja nie den Mund halten.
Tucker gähnte hinter dem Schalter. »Murph, spring in den Postkarren.«
»Okay« Mrs. Murphy wackelte mit dem Hinterteil, nahm Anlauf und sprang von dem Schalter, von dem aus sie das verdeckte Gefecht zwischen den Menschen belauscht hatte. Sie landete genau in der Mitte des Postkarrens, der nun mit metallisch klappernden Rädern durchs Hinterzimmer rollte. Tucker rannte bellend nebenher.
»He, ihr beiden.« Harry kicherte.
»Ich muß los, sonst komme ich zu spät zu meiner Low-Impact Aerobic-Stunde. Schönen Tag noch.« Mit diesem geheuchelten Wunsch ging Boom Boom hinaus.
Boom Boom zog die Männer an. Das war für Harry ein neuer Beweis dafür, daß die zwei Geschlechter Frauen nicht auf dieselbe Weise sahen. Vielleicht kamen Männer und Frauen von verschiedenen Planeten - das dachte Harry zumindest, wenn sie einen schlechten Tag hatte. Boom Boom hatte ein anziehendes Gesicht und ihre legendären Titten, aber Harry sah auch, daß sie eine Hypochonderin reinsten Wassers war. Immer, wenn sie Gefahr lief, eine nützliche Arbeit zu verrichten, gelang es ihr, sich eine furchtbare Krankheit zuzuziehen.
Susan Tucker hatte oft gebrummt, daß Boom Boom nie mit armen Männern bumsen würde. Nun hatte sie dieses Prinzip bei Fair Haristeen durchbrochen, und Harry wußte, daß Boom Boom es früher oder später satt haben würde, nicht immer, wenn sie Lust darauf hatte, neue Ohrringe, Reisen ins Ausland und neue Autos zu bekommen. Freilich hatte sie selbst genug Geld, um es mit vollen Händen ausgeben zu können, aber das machte längst nicht soviel Spaß, wie dafür zu sorgen, daß es jemand anderem durch die Finger rann. Sie würde warten, bis ein reicher Kerl in Sichtweite war, und Fair dann blitzschnell fallen lassen. Harry wäre gerne ein guter Mensch gewesen, der sich nicht diebisch auf diesen Moment freute. Aber ein so guter Mensch war sie nicht.
Dieser Traum von einer späten Rache wurde unterbrochen, als Mim Sanburne ins Postamt schritt. Angetan mit einem österreichischen Walkjanker, auf dem Kopf einen kecken Jägerhut mit einer Fasanenfeder, hätte sie aus Tirol kommen können. Ein erfreulicher Gedanke, denn das würde bedeuten, daß sie nach Tirol zurückfliegen würde.
»Harry«, grüßte Mim herrisch.
»Mrs. Sanburne.«
Mim hatte ein Schließfach mit einer niedrigen Nummer, eine weitere Bestätigung ihres Status, denn die Familie hatte dieses Fach, seit der Postdienst in Crozet eingerichtet wurde. Mim hatte beide Arme voll von Briefen und Hochglanzillustrierten, die sie auf den Schalter warf. »Ich höre, Sie haben einen gutaussehenden Begleiter.«
»So?« lautete die erstaunte Entgegnung.
Mrs. Murphy sprang in dem Postbehälter herum, und Tucker schnappte von unten nach dem beweglichen Gebilde in dem Sackleinen.
»Mein Schwiegersohn Fitz-Gilbert sagt, er hat ihn erkannt, diesen Blair Bainbridge. Er ist ein Model. Er hat ihn in Esquire, GQ und so weiter gesehen. Ich meine, diese Models sind ein bißchen verquer, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
»Nein, Mrs. Sanburne.«
»Ich will Sie nur beschützen, Harry. Diese hübschen Kerle heiraten Frauen, aber sie bevorzugen Männer, wenn ich so deutlich werden muß.«
»Erstens, ich hab nichts mit ihm.«
Das war eine echte Enttäuschung für Mim. »Oh.«
»Zweitens, ich habe keine Ahnung von seinen sexuellen Vorlieben, aber er scheint sehr nett zu sein, und vorerst nehme ich ihn einfach so, wie er ist. Drittens, ich habe gerade Urlaub von Männern.«
Mim fuchtelte mit ihrer Hand über dem Kopf herum, was sie als dramatische Geste empfand. »Das sagt jede Frau, bis sie dem nächsten Mann begegnet, und es wird einen nächsten geben. Männer sind wie Busse - einer kommt immer um die Ecke.«
»Ein interessanter Gedanke.« Harry lächelte.
Mim schaltete ihre Stimme auf die Tonlage »wichtige Information« um. »Wissen Sie, meine Liebe, Boom Boom wird Fair eines Tages satt haben. Wenn er zur Vernunft gekommen ist, nehmen Sie ihn zurück.«
Da jedermann seine Nase in jedermanns Angelegenheiten steckte, war Harry über diesen ungebetenen intimen Rat der Bürgermeistersgattin nicht gekränkt. »Das kann ich unmöglich tun.«
Ein wissendes Lächeln breitete sich auf dem sorgfältig geschminkten Gesicht aus. »Der Teufel, den man kennt, ist immer noch besser als der Teufel, den man nicht kennt.« Mit diesem weisen Ratschlag steuerte Mim auf die Tür zu, blieb stehen, machte kehrt, schnappte sich ihre Post und die Illustrierten vom Schalter und ging endgültig.
Harry verschränkte die Arme vor ihrem durchaus kräftigen Oberkörper und sah ihre Tiere an. »Mädels, die Menschen quatschen verdammt blödes Zeug.«
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