Mit gesenktem Kopf folgte Tucker der Spur. Berryman war durch die Hintertür eingetreten. Er hatte den Lagerraum durchquert und sich geradewegs an und unter das Pult begeben. Er war nirgendwo anders stehengeblieben. Tucker, intensiv mit der Witterung befaßt, stieß sich an der Rückseite des Pults den Kopf.
Mrs. Murphy, dicht hinter ihr, lachte. »Paß auf, wo du hinläufst.«
»Deine Augen sind besser als meine«, knurrte Tucker. »Aber ich hab eine goldene Nase, Katze, merk dir das. «
»Schön, Goldnase, was hat er unter dem Pult gesucht?« Mrs. Murphy kuschelte sich neben Tucker.
»Seine Hände sind über die Seiten, den Deckel und die Rückseite geglitten.« Tucker folgte der Spur.
Mrs. Murphy starrte mit großen Pupillen auf das Pult. »Ein Geheimfach.«
»Ja, aber wie kriegen wir es auf?«
»Ich weiß es nicht, aber er ist ein ungeschickter Mensch. Es kann nicht so kompliziert sein.« Mrs. Murphy stellte sich auf die Hinterbeine und beklopfte sachte die Seiten des Pults.
Ein lauter Knall jagte ihnen einen Mordsschrecken ein. Sie schossen unter dem Pult hervor. Mrs. Murphys Schwanz sah
aus wie eine Flaschenbürste. Tuckers Nackenhaare sträubten sich. Aber kein weiterer Laut drang an ihre empfindlichen Ohren.
Mrs. Murphy, dicht am Boden, die Schnurrhaare vorgestreckt, schlich langsam, immer eine Pfote nach der anderen, zum Hinterzimmer. Tucker, neben ihr, kroch ebenfalls so leise sie konnte, und das war ziemlich leise. Als sie den Lagerraum erreichten, sahen sie, daß die Tür zugefallen war.
»O nein!« rief Tucker aus. »Kommst du an den Türknauf ran?«
Mrs. Murphy streckte sich zu voller Länge. Sie konnte mit den Pfoten gerade bis an den Keramikknauf hinaufreichen, ihn aber nicht ganz herumdrehen. Sie probierte bis zur Erschöpfung.
Schließlich sagte Tucker: »Gib 's auf. Wir müssen die Nacht über hier drin bleiben. Sobald Leute auf den Beinen sind, schlag ich Alarm.«
»Harry kriegt die Krise.«
»Ich weiß, aber wir können nichts machen. Wir sind bei ihr ohnehin schon in Ungnade gefallen nach allem, was wir uns auf den Schienen geleistet haben. Mann o Mann, wir können uns auf was gefaßt machen.«
»Nein, sie wird nicht wütend sein.«
»Hoffentlich nicht.«
Mrs. Murphy lehnte sich an die Tür und verschnaufte. »Sie liebt uns. Wir sind alles, was sie hat. Ich mag gar nicht dran denken, daß Harry nach uns sucht. Es war eine schreckliche Woche für sie.«
»Ja.«
»Wenn wir schon hier festsitzen, können wir uns ebensogut an die Arbeit machen.«
»Ich bin dabei.«
Pewter, die sich an der Fleischtruhe herumtrieb, hörte Tucker als erste heulen. Das Geräusch war weit entfernt, aber sie war sicher, daß es Tucker war. Eine riesige Mortadella lockte sie. Courtney hob das köstliche Fleisch aus der Truhe. Morgens hatte sie Brotstreichdienst. Bis sieben Uhr hatten die Fahrer, die von den umliegenden Farmen kamen, den Vorrat vertilgt, den sie am Sonntagabend gemacht hatte.
»Gib mir was! Gib mir was! Gib mir was!« Pewter angelte sich mit einer Kralle ein Stück Wurst.
»Laß das.« Courtney schlug ihr auf die Pfote.
»Ich hab Hunger!« Pewter langte wieder hinauf, und Courtney schnitt ihr einen Brocken ab. Pewter zu bestechen war leichter als sie zu erziehen.
Die Katze packte das wohlriechende Fleisch und eilte zur Hintertür. Ihr Hunger überwog ihre Neugier, aber sie dachte bei sich, sie könnte gleichzeitig fressen und lauschen. Ein neuerliches langgezogenes Heulen überzeugte sie, daß der unglückliche Hund tatsächlich Tucker war. Sie kehrte zu Courtney zurück, wo sie die Mortadella erneut ernsthaft in Versuchung führte, doch sie nahm ihre ganze Willenskraft zusammen, rieb sich an Courtneys Beinen und eilte dann wieder zur Hintertür. Sie mußte diese Prozedur in immer derselben Reihenfolge dreimal wiederholen, ehe Courtney ihr die Hintertür öffnete. Pewter wußte, daß Menschen durch Wiederholung lernten, doch selbst dann konnte man nie sicher sein, daß sie tun würden, worum man sie bat. Sie ließen sich so leicht ablenken.
Als sie aus dem Laden war, setzte Pewter sich hin und wartete auf ein weiteres Heulen. Sobald sie es vernahm, sprang sie durch die Hinterhöfe und kam an der rückwärtigen Gasse heraus. Ein erneutes Heulen führte sie geradewegs zur Hintertür von Maude Bly Modenas Laden.
»Tucker!« rief Pewter. »Was machst du da drin?«
»Hol mich raus. Ich erzähl dir alles später«, bat Tucker.
Mrs. Murphy fragte hinter der Tür: »Sind Menschen in der Nähe?«
»In Autos. Wir brauchen einen Fußgänger.«
»Pewter, wenn du zum Geschäft zurückläufst, meinst du, du kriegst Courtney oder Market dazu, daß sie dir folgen?« fragte Mrs. Murphy.
»Mir folgen? Ich krieg sie kaum dazu, mir die Tür auf und zu zu machen.«
»Und wenn du dir Mrs. Hogendobber auf dem Weg zur Post schnappst? Sie wohnt um die Ecke.« Tucker wollte raus.
»Sie kann Katzen nicht leiden. Sie würde nicht auf mich hören.«
»Sie wird bestimmt durch diese Gasse kommen. Sie geht immer hier entlang, bei jedem Wetter. Du konntest es probieren«, sagte Mrs. Murphy.
»Na gut. Aber während ich auf die alte Quasseltante warte… wie nennt Josiah sie doch gleich?«
»Eine rücksichtslose Monologistin«, antwortete Mrs. Murphy, verärgert, weil Pewter auf einem Plausch bestand.
»Schön, während ich warte - warum erzählt ihr mir nicht, was ihr da drin macht?«
Mrs. Murphy und Tucker schilderten das Abenteuer, aber erst nachdem sie Pewter Geheimhaltung hatten schwören lassen. Sie durfte unter keinen Umständen etwas zu Bob Berrymans Ozzie darüber sagen.
»Da kommt sie!« rief Pewter ihnen zu. »Probieren wir's. Los, heul, Tucker.«
Pewter stürmte auf Mrs. Hogendobber zu. Sie umrundete sie. Sie warf sich auf den Rücken und wälzte sich auf dem Boden. Sie miaute und hüpfte umher. Mrs. Hogendobber beobachtete es amüsiert.
»Los komm, du trübe Tasse, kapier schon«, kreischte Pewter. Sie marschierte auf Maudes Laden zu und kehrte dann zu Mrs. Hogendobber zurück.
Tucker stieß ein markerschütterndes Gejaule aus. Mrs. Hogendobber verhielt ihren würdevollen Schritt. Pewter lief um ihre Beine und zurück zu Maudes Laden, wo Tucker neuerliches Gejaule ausstieß. Mrs. Hogendobber steuerte auf den Laden zu.
»Ich hab sie! Ich hab sie!« Pewter raste zur Tür. »Gebt Laut!«
Tucker bellte. Mrs. Murphy maunzte. Pewter zog Kreise vor der Tür.
Mrs. Hogendobber blieb stehen. Sie dachte angestrengt nach. Sie legte die Hand auf den Türknauf, dachte noch ein bißchen nach und öffnete die Tür.
»Freie Bahn!« Tucker stürmte aus der Tür und rannte ums Haus zum nächsten besten Baum. Mrs. Murphy, die ihre Blase besser unter Kontrolle hatte, kam heraus und rieb sich anerkennend an Mrs. Hogendobbers Beinen.
»Danke, Mrs. H.«, schnurrte Mrs. Murphy.
»Was habt ihr da drinnen gemacht?« erkundigte sich Mrs. Hogendobber mit lauter Stimme.
Tucker kam ums Haus gelaufen und setzte sich neben Pewter. Sie gab der grauen Katze einen Kuß. »Ich liebe dich, Pewter.«
»Okay, okay.« Pewter schätzte die Gefühlsaufwallung, war aber nicht besonders scharf auf Schlabberküsse.
»Kommt. Mom müßte schon bei der Arbeit sein.« Mrs. Murphy stellte die Ohren auf.
Die drei kleinen Tiere jagten sich gegenseitig durch die Gasse. Mrs. Hogendobber folgte ihnen, ungeheuer neugierig, wie Mary Minor Haristeens Katze und Hund in Maudes Laden geraten waren.
Читать дальше