Sie blieb zurückhaltend, wenngleich sie sich zuweilen wieder zu ihm hingezogen sah, nicht nur gefühlsmäßig, sondern körperlich, und das heizte die Sache nur an. Sie band es BoomBoom nicht auf die Nase, aber Susan wusste es, und Mrs. Hogendobber ahnte es.
Die Tiere verhielten sich diskret, was dieses Thema anbelangte.
Harry, die eine Weile geschwiegen hatte, sagte schließlich:
»Was ich nicht verstehe, warum lässt du mich nicht in Ruhe? Warum ist es so wichtig, dass wir uns - irgendwas?«
»Weil wir Teil unseres gegenseitigen Lebens sind. Wir sind zusammen aufgewachsen. Und weil wir Frauen sind und Frauen in diesen Dingen klüger sind als Männer.«
»Ich glaube nicht, dass ich in Sachen Untreue klüger bin als ein Mann.«
»Aber er war dir nicht untreu, Harry. Ihr wart getrennt.«
BoomBoom betonte dies noch einmal, als spräche sie zu einem begriffsstutzigen Kind.
»Können wir das ruhen lassen?« Harry verdrehte die Augen himmelwärts.
»Du hast es seit Jahren ruhen lassen. Wir können sicherlich miteinander auskommen. Wir arbeiten an denselben Projekten.«
»Das tun alle anderen auch. Wir leben in einer Kleinstadt«, meinte Harry mürrisch.
»Wir gehen zusammen auf die Jagd, wir spielen zusammen Golf und Tennis.«
»Ich spiele kaum Golf und Tennis. Ich hab keine Zeit dafür.« Harry wurde unruhig.
»Okay.« BoomBoom atmete tief ein. »Wirst du Diego Aybars Verabredung sein?«
»So heißt er?«
»Diego Aybar. Und glaub mir, er sieht gut aus, ist unternehmungslustig - auch wenn der Blitz nicht einschlägt, wirst du dich in seiner Gesellschaft wohl fühlen. Bitte sag ja, Harry. Ich weiß, er wird dich mögen, und es wird für uns alle ein unvergessliches Wochenende sein.«
»Fair hat mich zum Abbruchball eingeladen. Ich könnte überall sonst hingehen, außerdem bin ich Paradekoordinatorin für das Fest« - sie hielt inne -, »aber das weißt du ja. Allerdings, wenn der letzte Festwagen sich in Bewegung gesetzt hat ...«
»Sag ja«, maunzte Pewter. »Eine kleine Aufrüttelung des Status quo kann nicht schaden.«
»Lauter Status und kein quo«. Mrs. Murphy beobachtete, wie ihr Mensch mit widerstreitenden Gefühlen kämpfte, von denen Misstrauen gegenüber BoomBoom das augenfälligste war.
»Harry, wenn es dir nicht zusagt, wenn du am Wochenende leidest, kaufe ich dir den neuen WilsonTennisschläger, von dem alle schwärmen. Dann kannst du mich schlagen.«
»Ich schlag dich sowieso. Du brauchst mich nicht zu bestechen, BoomBoom.«
»Also?«
»Was zieh ich an?«
»Gott, sie ist echt 'ne harte Nuss.« Pewter atmete aus.
»Und es fehlt ihr total an Spontaneität, aber ich liebe sie.« Mrs. Murphy lehnte sich schnurrend an Pewter, die sich zu ihr gesetzt hatte.
»Ihr zwei gebt wirklich ein hübsches Bild ab, aber ich bin neben Mom und ihr nicht.« Auf die Herausforderung des kleinen Hundes eingehend, sprangen die Katzen auf die Rückenlehne des Sofas. Sie ließen sich hinter Harrys Kopf plumpsen.
»Es wird lustig. Du brauchst nur ein Frühjahrskleid zum Tee. In deinem weißen Abendkleid siehst du super aus. Du brauchst nur ein einziges neues Kleid. Ich weiß, dass du ungern einkaufen gehst.«
»Das Abendkleid hat meiner Mutter gehört.«
»Klassisch. Ein Christian-Dior-Klassiker. Deine Mutter hatte einen fabelhaften Geschmack.«
»Und kein Geld. Das Kleid hat sie gewonnen.« Harry lächelte in Erinnerung an ihre Mutter, die so stolz auf das Kleid gewesen war, das sie tatsächlich bei einem Wettbewerb für die Gestaltung des Weihnachtsballs für die karitative Einrichtung United Way gewonnen hatte. Christian Dior, ein Freund von Tally - Big Mims Tante, die alle und jeden kannte -, hatte das Kleid als Preis ausgesetzt.
»Komm schon. Das wird Fair wachrütteln. Er hat keine Konkurrenten.«
Harry löste die verschränkten Arme. »Das stimmt.« Ihre Augenbrauen zuckten einen Moment. »Also gut, BoomBoom. Ich mach's. Ich weiß nicht genau, warum ich's mache, aber ich mach's.«
»Danke.«
» Frühlingsgefühle «, sagte Pewter lakonisch und ließ einen kleinen Rülpser folgen.
» Entschuldige dich, du Ferkel.« Mrs. Murphy berührte Pewter an der Schulter.
» Entschuldige. Frühlingsgefühle. «
» Pewter, wovon redest du?« Tucker wollte eine Antwort. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn die Katzen sich »überspannt« gaben, wie sie es nannte.
» Frühlingsgefühle. Deswegen geht Harry mit diesem neuen Typ aus.«
»Da könntest du Recht haben«, stimmte Mrs. Murphy zu.
»Lottie Pearson wird sich schwarz ärgern. Sie ist auf Männerjagd, und BoomBoom hat sie zugunsten von Mom übergangen. Sie wird sich rächen, wartet's nur ab.«
»An wem? Mom oder BoomBoom?« Tucker hob den Kopf.
»An beiden. Ich kenne Lottie. Ihr gesellschaftlicher Ehrgeiz ist am Sieden. Von einem gut aussehenden Mann begleitet zu werden, der im Botschaftsviertel von Washington arbeitet, das ist ihre Idealvorstellung. Sie würde noch mehr wichtige Leute kennen lernen, und sie würde wichtig wirken. Sie kultiviert Leute, so sagt man, glaube ich, bevor sie sie um Hunderttausende von Dollars für die Universität bittet. Sie würde auch gern eines Tages in dieser Stadt das Sagen haben. Dazu wird es nicht kommen. Big Mim wird hundertfünfzig Jahre alt. Guckt doch, wie alt Tante Tally ist. Die sterben nie, das schwör ich euch. Aber denkt an meine Worte, Lottie Pearson ist schlau und gerissen. Sie wird sich rächen.«
»Das ist so kleinlich!«, rief Pewter aus.
»Genau, aber so sind die Menschen eben. Sie entfernen sich immer weiter von der Natur, und sie werden sonderbar, ober sonder bar.« Mrs. Murphy sah zu, wie Harry BoomBoom in die Küche zur Hintertür begleitete.
»Frühlingsgefühle.« Pewter marschierte in die Küche, um sich noch mehr Katzenkekse einzuverleiben.
Die Arbeitswoche verlief ohne besondere Vorkommnisse. Harry und Miranda sortierten die Post, zu dieser Jahreszeit eine leichte Aufgabe. Big Mim gab vor der Samstagsparade Erklärungen ab, wie sich das Hartriegelfest verschönern ließe. Alle lächelten, sagten »Sie haben Recht« und gingen ihren Geschäften nach.
Fair, Harrys Ex-Mann, war stark mit Abfohlen und Aufzucht beschäftigt. Als er erfuhr, dass Harry Diego Aybar zu der Teeparty und dann zum Tanz begleiten würde, schäumte er vor Wut; aber Fair hatte den Fehler begangen zu denken, er brauchte Harry nicht zu fragen. Er hatte angenommen, sie würde mit ihm hingehen, wenn sie sich von der Arbeit losreißen konnte. Er, für gewöhnlich ein zurückhaltender, vernünftiger Mann, knallte ihre Küchentür zu, was die Katzen erschreckte und Harry insgeheim freute.
Miranda strahlte, weil ihr Highschool-Schwarm, der aus Hawaii zurückerwartet wurde, wo er seine Besitzverhältnisse endgültig geregelt hatte, sie zu allen Festivitäten begleiten würde. Sie wollte ihn Freitagmorgen am Flughafen abholen, und sie rechnete damit, dass er sich bis zum Samstag, dem großen Tag, von den Strapazen seiner Arbeit und der Reise erholt haben würde. Tracy Raz, ehemaliger Spitzensportler der Crozet Highschool, Abschlussklasse von 1950, war ein zäher Bursche und ein interessanter obendrein.
Reverend Herbert C. Jones, Pastor der lutheranischen Kirche und diesjähriger Parademarschall, war so vergnügt, wie man ihn nie gesehen hatte, und das wollte etwas heißen, war der gute Pastor doch ohnehin ein fröhlicher Mensch.
Little Mim als Vizebürgermeisterin von Crozet nutzte die Gelegenheit, auf der Aufstellung von mehr Abfalltonnen entlang der Paradestrecke zu bestehen. Sie machte sich bei den Kaufleuten der Stadt beliebt, indem sie die Kosten für die Anfertigung der Flaggen übernahm, die sie über ihre Eingänge hängten. Auf die Flaggen, die das Wort »Crozet« vor einem französisch-blauen Hintergrund zierte, war zudem auf der unteren rechten Seite eine Eisenbahnschiene aufgestickt. Da Crozet nach Claudius Crozet benannt war, einem ehemaligen Ingenieur in der Armee Napoleons, hoffte sie, dass Auswärtige nach den Schienen fragen würden. Nachdem Crozet in Russland in Gefangenschaft gewesen war, hatte er sich dem Kaiser wieder angeschlossen, war bei Waterloo dabei gewesen, hatte es geschafft, den Royalisten zu entkommen und sich nach Amerika einzuschiffen. Er hatte vier Tunnels durch das Blue-Ridge-Gebirge getrieben, eine technische Glanzleistung, die als eines der Wunder des neunzehnten Jahrhunderts galt. Sein Werk - ohne Dynamit, nur mit Hacken, Schaufeln und Äxten vollbracht - existiert bis zum heutigen Tag, ebenso wie die Straßen, die er von der Küstenebene bis ins Shenandoah-Tal gebaut hat.
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