Sie sah aus dem Fenster, gerührt, daß er an ihr Leben außerhalb der Arbeit gedacht hatte. »Sie haben Recht.«
»Das ist alles, was ich zu dem Thema zu sagen habe, nur eine Kleinigkeit noch. Er muß meine Zustimmung finden.«
Sie lachten beide. Rings um sie wurde es dunkel. Sie stiegen aus dem Wagen und gingen an den Schienen entlang zum Krankenhaus, rutschten die Böschung am Gleis hinunter.
Sie öffneten die Hintertür. Jeder hatte eine Taschenlampe und einen kleinen Hammer bei sich. Beide hatten sich die Blaupausen eingeprägt.
Schweigend gingen sie durch den Hauptkorridor zum Heizungskeller. Dieser lag genau in der Mitte der Kellerräume. Seine Rückwand bestand aus fast achtzig Zentimeter dickem Felsgestein, eine sichere Barriere, sollte der Heizkessel jemals in die Luft fliegen. In die drei anderen Wände mündete jeweils ein Gang, der in den Heizungskeller führte.
Der einzige Korridor, der nicht mit dem Heizungskeller verbunden war, befand sich an der Ostseite des Gebäudes beim Fahrstuhlschacht. Doch in der Mitte wurde dieser östliche Korridor von einem Gang gekreuzt, der in den Heizungskeller führte.
Von jedem dieser Flure gingen Büros und Lagerräume ab. Der Raum mit dem Verbrennungsofen war unweit vom Heizungskeller.
Coop klopfte an die dicke Mauer hinter dem Heizkessel. Kein hohles Geräusch wies auf ein verstecktes Lagergewölbe hin. Die zwei durchstreiften jeden Gang, merkten sich die Türen, die abgeschlossen waren, und durchsuchten alle offenen Räume.
Die Stille hier unten war unheimlich. Hin und wieder hörten sie die Fahrstuhltür auf- und zugehen und das Klingeln der Glocke, wenn die Tür sich schloß. Sie hörten Schritte, dann nichts mehr.
Die offenen Räume enthielten größtenteils Wartungsmaterial. In jedem Gang waren Wischlappen, Eimer und Bohnerbesen so günstig plaziert, daß sie leicht zum Fahrstuhl getragen werden konnten. In einigen Räumen, deren dunkelgrüne Wände die Düsternis noch verstärkten, standen reihenweise alte Aktenschränke.
Als sie leise weitergingen, quietschte das Linoleum unter ihren Füßen. Hinten im ältesten Trakt des Gebäudes waren die Fußböden aus behauenen Steinen.
»Drei verschlossene Türen. Suchen wir Bobby Minifee.« Rick sah auf die Uhr. Sie waren seit zweieinhalb Stunden hier unten.
Bobby hatte Hank Brevards altes Büro erst an diesem Morgen übernommen. Die Leute des Sheriffs hatten akribisch jeden Zentimeter, jeden Bericht geprüft. Erst als sie überzeugt waren, daß ihnen nichts entgangen war, hatten sie das Büro freigegeben.
»Bobby.« Rick klopfte an die offene Tür.
Erschrocken sah er auf und blinzelte. »Sheriff.«
»Wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Klar.« Er legte den Zeitplan hin, an dem er gerade arbeitete.
»Nehmen Sie alle Ihre Schlüssel mit.«
»Ja, Sir.« Minifee nahm einen gewaltigen Schlüsselbund an sich.
Die drei gingen zu der ersten verschlossenen Tür, die zwischen Hanks Büro und einem Lagerraum voll mit Papierhandtüchern und Toilettenpapier lag.
Bobby fummelte mit den Schlüsseln herum, bis er den richtigen fand. Die Tür ging auf und er knipste das Licht an. Die Regale waren voll gestopft mit allen erdenklichen Arten von Glühlampen.
»Hank hat uns angewiesen, diesen Raum verschlossen zu halten, weil er meinte, die Leute würden die Glühbirnen mitgehen lassen. Die sind teuer, besonders die für den Operationssaal.«
»Die Leute würden sie stehlen.«
Bobby nickte. »Hank sagte immer, die würden einen heißen Ofen klauen und noch mal wiederkommen, um den Rauch mitzunehmen. Ich selbst hab so was aber nie beobachtet.« Er wartete höflich, während Rick und Cooper den lang gestreckten Raum gründlich untersuchten und die Wände abklopften.
»Okay. Der Nächste«, verlangte Rick.
Hinter der zweiten verschlossenen Tür befanden sich Schreibpapier und Büroartikel.
»Auch heiß begehrte Ware?«, fragte Coop.
»Ja. Komisch, die Leute denken, sich ein Notizheft zu nehmen sei kein Diebstahl.«
»Das Problem hat jeder.« Der Sheriff blätterte ein Dutzend linierte Notizhefte durch. »Hätte ich einen Dollar für jeden Stift, den jemand von meinem Schreibtisch mitgehen ließ, dann hätte ich mein Auto abbezahlt.«
Im dritten Raum, viel größer als die anderen und gut beleuchtet, standen ein paar Apparate - eine Blutinfusionspumpe, ein Oszillator, zwei EEG-Messgeräte.
»Teures Zeug.« Rick stieß einen Pfiff aus.
»Ja. Meistens wird es innerhalb von achtundvierzig Stunden zum Hersteller oder zu der Reparaturfirma transportiert. Für ein Krankenhaus dieser Größe fallen bei uns allerdings wenig Reparaturen an. In dieser Hinsicht haben wir Glück.« Bobby ging mit Rick und Cynthia durch den Raum. »Dafür hat Hank gesorgt. Er war sehr gewissenhaft bei dem teuren Zeug, rief beim Hersteller an, schilderte das Problem, organisierte den Transport. Wenn die Lieferung kam, stand er an der Tür. Hier konnte man ihm nichts vorwerfen.«
»Huch« war alles, was Rick sagte.
»Wo bewahren Sie die Organtransplantate auf?«
Bobbys Augen weiteten sich. »Nicht hier.«
»Sie nehmen sie nicht am Lieferanteneingang in Empfang?«, fragte Coop.
»Oh nein. Die Organtransplantate werden direkt zum Haupteingang geschafft, der Lieferant meldet sich bei der Rezeption, dann werden sie sofort zum Arzt gebracht. Die Ärzte wissen fast auf die Minute genau, wann so was reinkommt. Die meiste Zeit ist der Patient für die Transplantation bereit. Uns würde man so eine Sache nie in die Hand geben.« »Ich verstehe.« Rick fuhr mit dem Zeigefinger über den dunklen Bildschirm eines Oszilloskops.
»Sagen wir mal, jemandem würde ein Bein amputiert. Was passiert mit dem Bein?«, fragte Coop.
Bobby verzog ein wenig das Gesicht. »Hank sagte, früher wurden die Körperteile mitten in der Nacht im Verbrennungsofen verbrannt. Jetzt werden solche Sachen verpackt, versiegelt und täglich von einer Firma abgeholt, die mit gefährlichen biologischen Stoffen handelt. Sie verbrennen sie woanders.«
»Mitten im Nirgendwo, nehme ich an, wegen dem Gestank«, sagte Coop.
»Nein.« Rick schüttelte den Kopf. »Sie arbeiten mit hohen Temperaturen wie ein Krematorium. Das geht schnell.« Er lächelte selbstzufrieden, weil er seine Hausaufgaben gemacht hatte.
»Mir ist's recht so. Ich würde keine Arme und Beine in den Verbrennungsofen werfen wollen.« Bobby schauderte.
»Die Menschen früher waren zäher.« Rick wollte noch eine Zigarette. »Vielen Dank, Bobby. Behalten Sie es für sich, daß wir hier waren.«
»Ja, Sir.«
Rick klopfte ihm auf den Rücken. »Alles so weit in Ordnung?«
»Ja.« Er zuckte mit den Achseln.
»Ist Ihnen hier irgendeine Veränderung im täglichen Ablauf aufgefallen?« Coop knipste ihre Taschenlampe aus, als Bobby mit ihnen zum Hintereingang beim Bahngleis ging.
»Nein. Nicht hier unten. Ich richte mich nach Hanks Routine. Er ist schwer zu ersetzen. Im Augenblick arbeiten wir nicht so wirtschaftlich, glaube ich zumindest.«
»Ist jemand hier runtergekommen, der normalerweise nicht runterkommt?«
»Sam und Jordan sind getrennt aufgetaucht. Aber jetzt, wo sich die Sache ein bißchen gelegt hat, läuft alles wie immer - niemand schert sich viel um unsere Arbeit. Wenn etwas unerledigt bleibt, kriegen wir es zu hören, aber für gute Arbeit kriegen wir kein Lob. Wir sind quasi unsichtbar.« Ein leichtes Feixen huschte über Bobbys Lippen.
»Hat Ihnen schon mal jemand Drogen angeboten? Aufputschmittel, Beruhigungsmittel, Kokain?« »Nein. Man hat mir ja nicht mal ein Bier angeboten.« Seine Mundwinkel bogen sich aufwärts. Wenn er lächelte, erschienen Grübchen.
Rick öffnete die Hintertür. »Hören Sie, wenn Ihnen irgendwas einfällt, egal, wie belanglos es Ihnen vorkommt, können Sie mich oder Coop anrufen.«
Читать дальше