Pewter konnte nicht verstehen, warum die Menschen nicht öfter von Thunfisch sprachen. Sie sprachen meistens über einander, deshalb trat sie oft weg und träumte von Thunfisch.
Heute Morgen jedoch trat niemand weg. Die Tiere waren besorgt und wütend zugleich, weil Harry so ein dummes Risiko eingegangen war. Zumal sie sie zu Hause gelassen hatte. Wären sie bei ihr gewesen, wäre das mit dem Schlag auf den Kopf nicht passiert.
Im Laufe des Vormittags machte jeder, der ein Postfach öffnete, eine Bemerkung zu dem rasierten Rechteck und den Stichen auf Harrys Kopf. Sie tischte die Geschichte auf, sie hätte sich im Stall gestoßen. Big Mim, die nicht auf den Kopf gefallen war, betrachtete die Wunde eingehend und wollte wissen, was sie verursacht haben konnte.
Harry flunkerte, sie hätte eine Sichel über den Balken gehängt, der der Heubodenleiter am nächsten war, und als sie die Leiter runterrutschte - sie kletterte nie herunter, sondern stemmte je einen Fuß an eine Seite der Leiter und rutschte runter -, habe sie die Sichel vergessen. Die Geschichte war dämlich genug, um glaubhaft zu sein.
Als Mim gegangen war, sagte Miranda gequält: »Harry, konnten Sie nicht einfach sagen, Sie hätten sich den Kopf gestoßen?«
»Ja, aber ich mußte ihn mir an etwas stoßen, das so hart war, daß die Haut aufplatzte.« Sie berührte die Stelle. »Tut weh.«
»Das kann ich mir denken, und es wird bestimmt noch länger wehtun. Versprechen Sie mir, daß Sie so ein Kunststück nicht noch einmal machen?«
»Ich fand nicht, daß das ein Kunststück war.«
»Wie sollten Sie auch.« Miranda stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Kind. Ich kenne Sie. Ich kenne Sie, seit Sie aus dem Mutterleib gekommen sind. Sie spazieren mir nicht noch mal allein in dem Krankenhaus herum. Ein Mann ist dort ermordet worden.«
»Sie haben Recht. Ich hätte nicht allein gehen sollen.«
Kurz vor der Mittagspause kam Bruce Buxton herein. »Wie geht's meiner Patientin?«
»Ganz gut.«
Er betrachtete sein Werk. »Ein schöner straffer Stich, wenn ich das mal so sagen darf.«
Wie es der Zufall wollte, schaute Sam Mahanes herein. Da niemand Bruce angewiesen hatte, den Mund zu halten, erzählte er Sam, was Harry zugestoßen war.
»Sie haben sie genäht, entlassen und mich nicht informiert?« Sam war bestürzt und fragte sich, warum Rick Shaw ihn nicht sofort verständigt hatte.
»Ich informiere Sie jetzt«, erwiderte Bruce kühl, der sich insgeheim an Sams Empörung weidete.
»Buxton, Sie hätten mich in dem Moment anrufen sollen, als es passierte. Und wer immer da unten war« - er wartete, daß ein Name fallen würde, doch Bruce dachte nicht daran, Booty Weyman zu verpfeifen, woraufhin Sam fortfuhr -, »hätte es mir auch melden müssen.«
»Hören Sie, ich habe die Krankenpfleger angewiesen, Harry nach oben zu bringen, und die Schwester, den Mund zu halten. Ich habe gesagt, ich werde mit Ihnen sprechen. Und ich spreche hier und jetzt mit Ihnen. Wollte Sie heute Morgen anrufen.« Er sah auf die Uhr. »In zwanzig Minuten, um genau zu sein. Bauschen Sie das nicht übermäßig auf.«
»Ich sehe nicht, wie es noch schlimmer werden könnte.« Sams Kinnlade klappte runter.
»Oh, glauben Sie mir, Sam Mahanes, es könnte viel schlimmer sein.«
Diese Bemerkung brachte den Krankenhausdirektor dermaßen in Rage, daß er auf dem Absatz kehrtmachte, ohne den Damen auf Wiedersehen zu sagen, aus dem Postamt marschierte und die Tür hinter sich zuknallte.
Immer noch wütend, blockierte Sam Tussie Logan, als sie auf dem Personalparkplatz rückwärts in eine Lücke setzen wollte.
Er fuhr ruckelnd an seinen Platz, knallte die Tür zu und schloß seinen Wagen ab, als sie schließlich rückwärts in die Parklücke fuhr. Sie wich seinem Blick aus.
Tussie kannte die Wutanfälle des Direktors nur zu gut. Sie wollte ihm nicht in die Quere kommen, und sie wollte nicht, daß ihr neuer VW Passat einen Kratzer bekam.
Larry Johnson, der Sam in einigem Abstand gefolgt war, hatte den Vorfall beobachtet.
Sam schritt ohne einen Gruß oder ein Winken zum Krankenhaus.
Larry parkte seinen Wagen und stieg aus, als Tussie ihre abgeschabte Ledertasche aus dem Auto holte.
»Guten Morgen, Doktor Johnson.« Sie schob den Arm durch den Lederriemen, während sie die Autotür zumachte.
»Morgen, Tussie. Er hätte Sie um ein Haar gerammt.«
»Er ist mal wieder mies drauf.«
»Ich kann mich nicht erinnern, daß Sam früher so launisch war.« Der ältere Mann ging neben Tussie her.
»Seit letztem Monat, ich weiß nicht, vielleicht auch schon länger. Er ist übernervös, hat dauernd was zu meckern, wir können ihm nichts recht machen. Vielleicht hat er zu Hause Probleme.«
»Möglich, aber Sally wirkt ganz glücklich. Ich war immer stolz darauf, in den Menschen lesen zu können, doch Sam entzieht sich mir.«
»Ich weiß, was Sie meinen.« Sie stellte den Kragen ihres Mantels hoch, eines teuren dreiviertellangen Jäger-Modells, das beim Gehen flatterte. »Ich nehme an, Sie kennen alles und jeden in dieser Stadt.«
»Oh, einige«, erwiderte er bescheiden. »Aber man erlebt trotzdem Überraschungen. Hank Brevard. Ich hätte nicht gedacht, daß er in einem anderen Menschen genug Wut wecken konnte, um ermordet zu werden.«
»Vielleicht hat er jemanden bei einem Autokauf übers Ohr gehauen.« Sie sagte dies ohne große Überzeugung.
Hank hatte sein handwerkliches Geschick dazu benutzt, alte Personenwagen und Transporter zu reparieren. Sein Hobby war zur Leidenschaft geworden und gelegentlich auch zu einer Einkommensquelle, wenn er einen DeSoto oder Morgan reparierte und verkaufte.
»Weiß Gott, er hatte seinen eigenen Wagenpark. Im vergangenen Jahr muß er einem Kaufrausch verfallen sein. Kann mich nicht erinnern, daß er schon mal so viele Autos hatte. Ich würde den 1938er Plymouth gerne kaufen. Aussichtslos.« Larry lachte.
»Wenn der Wirbel sich gelegt hat, wird Lisa seine Sammlung sicher verkaufen.«
»Ach Tussie, selbst wenn, den Plymouth könnte ich mir eh nicht leisten.«
»Vielleicht doch. Man muß sich hin und wieder etwas gönnen. Unsere Arbeit ist aufreibend. Es gibt Tage, da liebe ich sie wie an meinem ersten Tag nach Abschluß der Schwesternausbildung, und an anderen Tagen könnte ich vor Müdigkeit umfallen.«
»Tussie, Sie sind eine wunderbare Krankenschwester.«
»Oh danke, Doktor.«
Er lächelte. »Da wären wir.« Er öffnete die Eingangstür. »Auf in den Kampf.« Nach einer kurzen Pause sagte er: »Wenn Ihnen etwas Ungewöhnliches auffällt, sagen Sie's mir bitte. Im Vertrauen. Wenn hier was faul ist, müssen wir der Sache auf den Grund gehen. Dieses Krankenhaus ist zu gut, um mit Schmutz beworfen zu werden.«
Überrascht schreckte sie zusammen, dann entspannte sie sich. »Ja, sicher. Ich bin im Moment ein bißchen reizbar. Etwas argwöhnisch.«
»Das sind wir alle, Tussie. Das sind wir alle.«
Vier mittelgroße Fluß-Steine beschwerten die Ecken der großen Blaupause, die Sheriff Shaws Schreibtisch bedeckte. Er beugte sich mit einem Vergrößerungsglas darüber, wobei er hektisch an seiner Zigarette paffte. Der Rauch brannte ihm in den Augen, als er den Glimmstengel aus dem Mund nahm, scharf beäugte und wieder hineinsteckte.
Cynthia, die ebenfalls rauchte, stand neben ihm. Sie redete sich ein, sie rauche zur Selbstverteidigung, dabei rauchte sie, weil der kleine Nikotinstoß ihre strapazierten Nerven besänftigte.
Rick zeigte mit seinem dicken Finger auf den Heizungskeller, legte das Vergrößerungsglas hin und plazierte den linken Zeigefinger auf den Raum mit der Verbrennungsanlage. Dabei ließ er die Zigarette aus dem Mund hängen, so daß ihm der Rauch in die Augen stieg.
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