»Sie hatten Glück«, sagte er schließlich. »Ich habe heute morgen ein paar Fühler ausgestreckt und erfahren, daß eine gewisse Person eventuell in ihrem Club lunchen würde.« Er hielt inne.
»Ich war genügend an Ihrem Problem interessiert, um in die Wege zu leiten, daß ein Bekannter von mir sich mit dieser ihm gut bekannten Person trifft und sie aushorcht, und man könnte sagen, ihre Unterhaltung war fruchtbar. Die Folge war, daß ich heute nachmittag selbst das Büro einer gewissen Person aufgesucht habe, und das Ergebnis dieser Zusammenkunft waren einige Informationen, die ich Ihnen gleich zeigen werde.«
Seine Vorsicht bei der Wortwahl schien mir typisch zu sein für die Sphäre des Staatsdienstes, die Spezialisten im Andeuten, Offenlassen und Jeinsagen. Ich fand die genaue Identität der gewissen Person nie heraus, zweifellos, weil das als eine Sache galt, die ich nicht unbedingt zu wissen brauchte, und in Anbetracht dessen, was er mir zu sehen gestattete, konnte ich mich kaum beklagen.
»Ich habe einige Briefe«, sagte Eric Olderjohn. »Genauer gesagt, Fotokopien von Briefen. Sie dürfen sie lesen, aber ich habe die ausdrückliche Anweisung, Ihnen nicht zu erlauben, sie mitzunehmen. Ich muß sie Montag zurückgeben. Ist das, ehm ... soweit klar?«
»Ja«, sagte ich.
»Gut.«
Ohne Eile trank er seinen Kaffee aus und setzte die Tasse ab. Dann hob er die Decke des Tisches an, auf dem die Tabletts standen, und holte einen braunen Lederaktenkoffer hervor, den er auf die Knie nahm. Er ließ die Schlösser aufschnappen, klappte den Deckel hoch und zögerte erneut.
»Die sind interessant«, sagte er stirnrunzelnd.
Ich wartete.
Als treffe er eine Entscheidung, die er bis zu diesem Augenblick offengelassen hatte, zog er einen einzelnen Bogen Papier aus dem Koffer und reichte ihn herüber.
Der Brief war an die Premierministerin adressiert und im September von einer Firma geschickt worden, die fernes Porzellan für den Export herstellte. Der Vorstandsvorsitzende, der den Brief verfaßt hatte, erklärte dann, er und der übrige Vorstand seien sich einig, daß Mr. Maynard Al-lardeck als Anerkennung für seine großen und patriotischen Dienste an der Industrie eine ganz besondere Auszeichnung zukomme.
Mr. Allardeck habe der historischen Firma großzügig Hilfe geleistet, und allein dank seiner Bemühungen seien die Arbeitsplätze von zweihundertundfünfzig Menschen erhalten worden. Das Können vieler dieser Leute sei unschätzbar und schließe die Fähigkeit der Porzellanbemalung und -vergoldung nach höchsten internationalen Ansprüchen ein. Das Unternehmen exportiere jetzt mehr als zuvor und sehe einer glänzenden Zukunft entgegen.
Der Vorstand erlaube sich, Mr. Allardeck für die Adelsverleihung vorzuschlagen.
Ich las zu Ende und sah zu Eric Olderjohn hinüber.
»Ist diese Art von Brief normal?« fragte ich.
»Durchaus.« Er nickte. »Die meisten Auszeichnungen sind das Ergebnis von Empfehlungen an das Büro des Premierministers. Jeder kann jeden für alles vorschlagen. Wenn die Sache gerecht erscheint, wird eine Auszeichnung verliehen. Die Sachbearbeiter stellen eine Liste von Auszeichnungen auf, die sie für angemessen halten, und die Liste wird dem Premierminister zur Billigung vorgelegt.«
Ich sagte: »Dann sind die ganzen Träger von Ehrenzeichen - Brandbekämpfer, Musiklehrer, Postboten und andere -, die werden geehrt, weil ihre Kameraden das brieflich vorgeschlagen haben?«
»Ehm, ja. Häufiger ihre Arbeitgeber, manchmal aber auch ihre Kollegen.«
Er holte einen zweiten Brief aus seinem Koffer und gab ihn mir. Auch dieser stammte von einem Exportunternehmen und hob Maynards unschätzbare Beiträge zum Fortbestand wertvoller Industrie hervor, insbesondere die Erhaltung zahlreicher Arbeitsplätze in einem Gebiet mit hoher Arbeitslosigkeit.
Es sei unmöglich, Mr. Allardecks Verdienste um die Wirtschaft seines Landes zu überschätzen, und die Firma spreche sich uneingeschränkt dafür aus, ihn in den Adelsstand zu erheben.
»Selbstverständlich«, sagte ich, »haben die Zuständigen überprüft, ob das alles auch stimmt?«
»Selbstverständlich«, sagte Eric Olderjohn.
»Und natürlich stimmt es?«
»So wird mir versichert. Die gewisse Person, mit der ich heute nachmittag sprach, sagte mir, daß sie gelegentlich, wenn sie sechs oder sieben ähnlich lautende Briefe erhalten, die alle jemand vorschlagen, der der breiten Öffentlichkeit unbekannt ist, der leise Verdacht beschleicht, daß sich da jemand selber vorschlägt, indem er seine Freunde zur Feder ruft. Die Verfasser der beiden Briefe, die ich Ihnen gezeigt habe und die sich ja nun sehr ähneln, wurden ausdrücklich gefragt, ob Maynard ihnen nahegelegt habe zu schreiben. Beide bestritten dies energisch.«
»Mm«, sagte ich. »Nun, dazu hätten sie wohl Grund genug, wenn sie von Maynard für seine Adelsverleihung was bekämen.«
»Das ist aber eine sehr forsche Bemerkung.«
»Stimmt«, sagte ich fröhlich. »Und Ihre gewisse Person, hat die Maynard für seinen >Sir< aufgeschrieben?«
»Vorläufig. Als Möglichkeit. Dann erhielten sie einen dritten Brief, der die große Menschenliebe hervorhob, über die sie bereits informiert waren, und das Fragezeichen wurde ausradiert. Maynard Allardeck war definitiv angehender Ritter. Der Brief, der ihm den Titel antrug, wurde aufgesetzt und wäre heute in etwa zehn Tagen losgeschickt worden, zur üblichen Zeit für die Neujahrsliste.« »Wäre worden?« sagte ich.
»Wäre worden.« Er lächelte schief. »Man hält das jetzt nicht mehr für angebracht, nach den Geschichten in der Flag und der Meinungsseite im Towncrier.«
»Rose Quince«, sagte ich.
Er sah verständnislos drein.
»Von ihr stammt der Beitrag im Towncrier«, sagte ich.
»Oh ... ja.«
»Achtet Ihre, ehm, gewisse Person«, fragte ich, »wirklich auf solche Zeitungstexte?«
»Oh, absolut. Zumal ihm die Artikel jeweils eigens ins Büro geliefert wurden, und zwar rot umrandet.«
»Das gibt’s doch nicht!«
Eric Olderjohn hob seine Augenbraue. »Sagt Ihnen das etwas?« fragte er.
Ich berichtete ihm von den Kaufleuten und den Besitzern, die ähnlich gekennzeichnete Exemplare erhalten hatten.
»Na, sehen Sie. Ein regelrechter Vernichtungsfeldzug. Nichts dem Zufall überlassen.«
»Sie erwähnten einen dritten Brief«, sagte ich. »Den entscheidenden.«
Er lugte vorsichtig in seinen Koffer und zog ihn hervor. »Der wird Sie vielleicht überraschen«, sagte er.
Der dritte Brief kam nicht von einem Geschäftsunternehmen, sondern von einer wohltätigen Einrichtung mit einer Liste von Förderern, die sich über die halbe linke Seite des Blattes erstreckte. Empfänger der Wohltätigkeit waren offenbar die notleidenden Angehörigen von toten oder invaliden Staatsangestellten. Witwen, Kinder, die Alten und die Kranken.
»Was verstehen Sie unter Staatsangestellten?« fragte ich.
»Den ganzen öffentlichen Dienst.«
Maynard Allardeck, berichtete der Brief, habe mehrere Jahre hindurch unermüdlich daran gearbeitet, die Lebensumstände derer zu verbessern, die ohne eigenes Verschulden in bittere Not geraten waren. Freigebig habe er Hilfe aus seinem Vermögen gespendet, darüber hinaus seine Zeit geopfert und bedürftigen Familien ein hohes Maß an fortdauernder, barmherziger Fürsorge zuteil werden lassen. Die wohltätige Einrichtung schrieb, sie würde sich selbst geehrt fühlen, wenn man eine ihrer stabilsten Säulen in den Adelsstand erhebe: den Mann, den sie einstimmig zu ihrem nächsten Vorsitzenden gewählt hatten, mit Amtsantritt am 2. Dezember des Jahres.
Der Brief war von nicht weniger als vier Vorstandsmitgliedern der Stiftung unterzeichnet: dem scheidenden Vorsitzenden, dem geschäftsführenden Direktor und zwei der obersten Schirmherren. Es war die vierte von diesen Unterschriften, die mich erstaunt den Kopf heben ließ.
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