Ich duschte, zog mich an, verließ die Rennbahn über den Sattelplatz und ging von dort in die dunkel werdende Stadt, wo ich am Morgen den gemieteten Mercedes auf einem Parkplatz abgestellt hatte. Vielleicht war es ja unwahrscheinlich, daß lange nach dem Schlußrennen ein neuer Hinterhalt auf dem fast verlassenen JockeyParkplatz inszeniert würde, aber ich hatte nichts riskieren wollen. Unbehelligt stieg ich in den Mercedes und fuhr ohne Zwischenfall nach London.
Dort, in meinem komfortablen Schlupfwinkel, erhöhte ich meine sowieso schon astronomische Telefonrechnung, indem ich als erstes mit meiner gefälligen Nachbarin vereinbarte, sie solle am Morgen in mein Cottage gehen und mir einen Anzug, ein paar Hemden und andere Dinge in einen Koffer packen.
»Klar tu ich das, mein lieber Kit, aber ich dachte, wo Sie in Ascot geritten sind, kämen Sie heute abend doch bestimmt mal wieder her.«
»Wohne bei Freunden«, sagte ich. »Ich will sehen, daß morgen früh jemand den Koffer bei Ihnen abholt und mit nach Ascot nimmt. Läßt sich das machen?«
»Natürlich, mein Lieber.«
Ich überredete einen anderen Jockey, der in Lambourn wohnte, den Koffer zu holen und mitzubringen, und er sagte, das ginge schon klar, wenn er dran dächte.
Ich rief Wykeham an, als er nach meiner Schätzung von der abendlichen Stallkontrolle zurück im Haus sein mußte, und sagte ihm, daß sein Sieger gewohnt stark gewesen sei, die zwei von der Prinzessin so gut, wie man hätte erwarten dürfen, und einer von den Ferner-Liefen enttäuschend.
»Und Dusty sagt, im letzten Durchlauf haben Sie die Hürde unten am Swinley Bottom total vermurkst.«
»Jaja«, sagte ich. »Wenn Dusty es fertigbringt, eine halbe Meile weit bei schlechtem Licht durch treibenden Schneeregen deutlich zu sehen, dann hat er bessere Augen, als ich dachte.«
»Ehm ...«:, sagte Wykeham. »Was ist passiert?«
»Der vor mir ist gestürzt. Meiner fiel über ihn. Gesiegt hätte er nicht, wenn Sie das tröstet. Er wurde schon langsam müde, und ihm stank das Wetter.«
Wykeham grunzte zustimmend. »Er ist ein Sonnenfreund, durch und durch. Kit, morgen steht Inchcape für die Prinzessin im großen Rennen, und er ist in Hochform, fährt aus der Haut, hat sich um Klassen gesteigert, seit Sie ihn letzte Woche sahen.«
»Inchcape«, sagte ich resigniert, »ist tot.«
»Was? Hab ich Inchcape gesagt? Nein, nicht Inchcape. Wie heißt das Pferd der Prinzessin?«
»Icefall.«
»Icicles leiblicher Bruder«, sagte er, nicht ausdrücklich als Frage.
»Ja.«
»Klar doch.« Er räusperte sich. »Icefall. Natürlich. Im Ernst, Kit, er müßte gewinnen.«
»Kommen Sie hin?« fragte ich. »Ich hatte Sie fast heute schon erwartet.«
»Bei dem Wetter?« Er klang überrascht. »Nein, nein, Dusty, Sie und die Prinzessin, ihr schafft das schon.«
»Aber Sie hatten einen ganzen Trupp von Siegern diese Woche, und Sie haben nicht einen davon gesehen.«
»Ich seh sie hier im Hof. Ich seh sie auf Video. Sagen Sie Inchcape, er ist der Größte, und er überspringt noch den Ben Nevis.«
»In Ordnung«, sagte ich. Icefall, Inchcape, was lag daran?
»Gut. Großartig. Gute Nacht, Kit.«
»Gute Nacht, Wykeham«, sagte ich.
Ich klingelte meinen Anrufbeantworter an und rief die Nachrichten ab, darunter eine von Eric Olderjohn, dem Staatsbeamten und Besitzer des Pferdes, auf dem ich für den Lambourner Trainer in Towcester gesiegt hatte.
Ich rief ihn unverzüglich unter der angegebenen Londoner Nummer an und erwischte ihn offenbar, als er eben im Begriff stand auszugehen.
»Oh, Kit, ja. Hören Sie, Sie sind wahrscheinlich in Lam-bourn?«
»Nein, momentan nicht. In London.«
»So? Das trifft sich ausgezeichnet. Ich hab etwas, das Sie vielleicht gern sehen würden, aber ich kann es nicht aus der Hand geben.« Er machte eine Denkpause. »Hätten Sie heute abend nach neun Uhr Zeit?«
»Ja«, sagte ich.
»Gut. Kommen Sie zu mir, bis dahin bin ich wieder hier.« Er erklärte mir den Weg zu einer Straße südlich des Sloane Square, höchstens eine Meile von dort, wo ich mich aufhielt. »Kaffee und Brandy, ja? Muß rennen. Tschüs.«
Er hängte abrupt ein, und ich legte meinen Hörer etwas langsamer auf und sagte im stillen »Mann!« zu mir. Ich hatte nicht viel Einsatz von Eric Olderjohn, dem Regierungsbeamten, erwartet, und keinesfalls in diesem Tempo.
Ich dachte eine Weile an das Videoband von Maynard und an die zum Schluß darin aufgezählten Firmen, die unter Maynards Menschenfreundlichkeit gelitten hatten. Bis ich eine Gelegenheit fand, das Band noch einmal abzuspielen, mußte ich mich auf mein Gedächtnis verlassen, und der einzige Name, an den ich mich genau erinnern konnte, war Purfleet Electronics; hauptsächlich deshalb, weil ich dort vor langer Zeit mit einem Schulfreund mal in den Sommerferien gesegelt war.
Purfleet Electronics, teilte mir die Auskunft mit, war nicht verzeichnet. Ich kaute ein wenig auf meiner Unterlippe und sagte mir, die einzige Möglichkeit, was zu finden, sei die, es am richtigen Ort zu suchen. Wie zuvor nach Hitchin, so würde ich morgen früh nach Purfleet fahren.
Ich füllte den Abend mit essen und weiteren Telefonaten aus, und bis neun war ich die Sloane Street hinuntergegangen und hatte das Haus von Eric Olderjohn gefunden. Es war schmal, zweistöckig, eins aus einer langen Reihe ähnlicher Gebäude, die für schlecht verdienende Frühvik-torianer erbaut worden waren, jetzt aber den Wohlhabenden als Stadtwohnung dienten. Das jedenfalls erklärte Eric Olderjohn mir leutselig, als er seine dunkelgrüne Haustür öffnete und mich hereinwinkte.
Von der Straße trat man direkt ins Wohnzimmer, das sich von einer Seite des Hauses bis zur anderen erstreckte; ganze vier Meter. Aber welch ein Glühen, welche Wärme in diesem ungewöhnlich kleinen Raum. Rosa- und helle Grüntöne, gitterartige Streifen in der Tapete, Satinvorhänge mit Girlandenmuster, runde Tische mit Decken, die glockig auf den Boden fielen, Porzellanvögel, silberne Fotorahmen, dicke, mit Knöpfen versehene Armsessel, cremefarbene Chinabrücken. Lampen spendeten ein sanftes Licht, und das Gittermuster der Tapete, die auch die Dek-ke überspannte, gab dem gedrängten Inneren das Flair einer sommerlichen Grotte.
Mein Gastgeber betrachtete mein anerkennendes Lächeln, als hätte er eine andere Reaktion gar nicht erwartet.
»Das ist großartig«, sagte ich.
»Meine Tochter hat es eingerichtet.«
»Dieselbe, die Sie vor der Flag schützen würden?«
»Meine einzige Tochter, ja. Nehmen Sie Platz. Hat es aufgehört zu regnen? Sie mögen doch sicher einen Brandy?« Er tat den erforderlichen einen Schritt zu dem silbernen Flaschentablett auf einem der Tische und schenkte Cognac in zwei mittelgroße Ballongläser. »Ich habe
Kaffee bereitgestellt. Den hole ich eben. Nehmen Sie doch Platz.« Er verschwand durch eine rückwärtige Tapetentür, und ich betrachtete die Fotos in den Rahmen, sah eine gepflegte junge Frau, die vielleicht seine Tochter war, sah das Pferd, das er besaß, mit mir selbst auf dem Rücken.
Er kam mit einem kleinen Tablett wieder, das er neben das andere stellte.
»Meine Tochter«, sagte er nickend, als er sah, daß ich ihr Foto angeschaut hatte. »Sie wohnt zeitweise hier, zeitweise bei ihrer Mutter.« Er zuckte die Achseln. »Kann man nichts machen.«
»Tut mir leid.«
»Ja. Nun, so was passiert. Kaffee?« Er schenkte zwei kleine Tassen voll und gab mir eine. »Zucker? Nein, sicher nicht. Nehmen Sie Platz. Hier ist der Brandy.«
Er war tadellos in seinen Bewegungen wie in der Kleidung, und ich ertappte mich dabei, daß ich dachte »adrett«; aber da war Entschlußkraft unter der Oberfläche, die angelernte Fähigkeit, Dinge zu erledigen. Ich setzte mich in einen der Armsessel, Kaffee und Brandy neben mir, und er setzte sich ebenfalls, nahm einen Schluck und sah mich über seine Tasse hinweg an.
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