Sie starrte mich an. »Bei uns zu Hause werden die Anwälte nur bezahlt, wenn man gewinnt. Dann streichen sie ihren Anteil vom Schadenersatz ein. Vierzig Prozent manchmal.«
»So ist das hier nicht.«
Hier, dachte ich dumpf, wurde mit Drohungen gehandelt. Auf der einen Seite: Ich sorge dafür, daß ihnen der Presserat auf die Pfoten klopft, ich sorge dafür, daß man Fragen im Parlament stellt, ich sehe zu, daß Ihr vorbestrafter Schreiber wieder vor den Kadi kommt. Auf der anderen, ich trenne Ihnen die Sehnen durch, ich bringe Sie wegen Bestechlichkeit um Ihre Lizenz als Jockey, ich bringe
Sie hinter Gitter. Mit Schimpf und Schande, und mit Trompetenschall.
Kriegt mich erst mal, dachte ich.
Ich sah Joe, dem dunkelhäutigen Redakteur, zu, wie er sich mit flinken Fingern durch eine Menge ungesichte-ter, lärmender Filmmeter wühlte, dabei in einer Art privatem Kommentar mit der Zunge schnalzte und die ausgewählten Abschnitte markierte, die er aneinanderreihte, um die grellstmögliche Wirkung zu erzielen. Kaleidoskopische Ankunft von Devil-Boy, früheres Eintreffen geladener Prominenz, zapplige Uraufführung des neuen, unverständlichen Songs.
»Dreißig Sekunden«, sagte er, als er die fertige Sequenz durchlaufen ließ. »Vielleicht nehmen sie alles, vielleicht auch nicht.«
»Ich finde es gut.«
»Dreißig Sekunden sind ein langer Nachrichtenspot.« Er holte das zurückgespulte Band aus dem Gerät, steckte es in eine schon beschriftete Kassette und gab es dem hageren Übertragungsmann, der darauf wartete, es mitzunehmen. »Danielle sagt, Sie wollen schneiden lernen, also was möchten Sie wissen?«
»Ehm ... was diese Geräte können, zunächst mal.«
»Ziemlich viel.« Er ließ seine dunklen Finger über die Tastaturen flattern, die er kaum berührte. »Sie spielen jedes Bandformat, jedes Fabrikat und überspielen auf jedes andere. Man kann damit den Ton verstärken, rausnehmen, versetzen, jeden beliebigen Sound unterlegen. Sie können die Tonspur eines Bandes auf die Bilder eines anderen
bringen, Sie können zwei Bänder so zusammenschneiden, daß es aussieht, als ob die Leute miteinander reden, obwohl sie Stunden und Meilen entfernt aufgenommen wurden, Sie können damit lügen, lügen und nochmals lügen und die Wahrheit als Blendwerk erscheinen lassen.«
»Sonst noch was?«
»Das wär’s so ungefähr.«
Er zeigte mir, wie einige seiner Effekte zu erzielen waren, doch sein Tempo verwirrte mich.
»Haben Sie ein bestimmtes Band, das Sie bearbeiten wollen?« fragte er schließlich.
»Ja, aber das möchte ich erst noch erweitern, wenn ich kann.«
Er sah mich abschätzend an, ein selbstbewußter Schwarzer, vielleicht so alt wie ich, mit einem Anflug von Humor in den Augen, aber selten lächelndem Mund. Ich kam mir unordentlich vor in meinem Anorak neben seinem gepflegten Anzug und cremefarbenen Hemd; außerdem zerschlagen, verschwitzt und begriffsstutzig. Es war ein zu langer Tag gewesen, dachte ich kläglich.
»Danielle meint, Sie sind okay«, sagte er überraschend. »Ich sehe keinen Grund, warum Sie den Boss nicht bitten könnten, daß er Ihnen den Raum hier mal einen Abend überläßt, wenn wir nichts zu tun haben. Sie sagen mir, was Sie möchten, und ich schneide Ihnen Ihre Bänder, wenn Sie wollen.«
»Joe ist ein netter Kerl«, sagte Danielle, träge neben mir ausgestreckt, auf der Heimfahrt in dem gemieteten Mercedes. »Ganz klar, wenn er gesagt hat, er bearbeitet Ihr Band, dann meint er das auch. Er langweilt sich. Heute nacht hat er drei Stunden auf die Devil-Boy-Schote gewartet. Er schneidet schrecklich gern. Eine Leidenschaft von ihm. Er möchte beim Film arbeiten. Er wird sich Ihr Band mit Freuden vornehmen.«
Der befragte Büroleiter hatte sich als ebenso großzügig erwiesen. »Wenn Joe die Geräte benutzt, steht Ihnen nichts im Weg.«
Er hatte zu Danielle hinübergeschaut, die gesenkten Blickes Beiträge in den Morgenzeitungen ankreuzte. »Heute abend noch hat mir New York am Telefon zu unserem jüngsten Leistungsanstieg gratuliert. Das ist ihr Werk. Sie sagt, Sie sind okay, also sind Sie okay.«
Auch für Danielle war es ein langer Tag gewesen.
»Towcester«, sagte sie gähnend, »scheint Lichtjahre her zu sein.«
»Mm«, meinte ich. »Was hat denn Prinzessin Casilia gesagt, nachdem Sie am Eaton Square ins Haus gegangen waren?«
Danielle sah mich belustigt an. »In der Halle sagte sie mir, daß gute Manieren ein Zeichen von Stärke seien, und im Wohnzimmer fragte sie, ob ich der Meinung wäre, daß Sie wirklich in Ascot starten könnten.«
»Was haben Sie geantwortet?« fragte ich etwas bestürzt.
»Ich sagte, ja, Sie könnten.«
Ich entspannte mich. »Dann ist es gut.«
»Daß Sie verrückt seien«, sagte Danielle mild, »habe ich nicht gesagt; nur, daß Sie anscheinend nicht merken, wenn Sie verletzt sind. Tante Casilia meinte, das sei wohl ziemlich typisch für Hindernisjockeys.«
»Ich merke es schon«, sagte ich.
»Aber?«
»Tja ... wenn ich nicht reite, verdiene ich nichts. Oder schlimmer noch, wenn ich ein Rennen auf einem Pferd auslasse und es gewinnt, stellt der glückliche Besitzer vielleicht beim nächsten Mal den erstplazierten Jockey auf, so daß ich nicht nur das eine Honorar, sondern womöglich alle künftigen Ritte auf diesem Pferd einbüße.«
Sie wirkte beinahe enttäuscht. »Dann ist es die wirtschaftliche Seite, die Sie davon abhält, zerschnittene Rippen zur Kenntnis zu nehmen?«
»Wenigstens halb.«
»Und im übrigen?«
»Das, was Sie für Ihren Job empfinden. Was Joe für seinen fühlt. Ganz ähnlich.«
Sie nickte und sagte nach einer Pause: »Tante Casilia würde das aber nicht tun. Einen anderen Jockey behalten, wenn Sie wieder fit wären.«
»Nein, sie hat es nie getan. Aber Ihre Tante ist etwas Besonderes.«
»Sie meinte«, sagte Danielle nachdenklich, »ich solle von Ihnen nicht als Jockey denken.«
»Ich bin doch einer.«
»Sie sagte das heute morgen, auf dem Weg nach Towcester.«
»Hat sie erklärt, was sie damit meint?«
»Nein. Ich fragte sie. Sie sagte irgend etwas Dunkles über Grundeigenschaften.« Danielle gähnte. »Jedenfalls, heute abend hat sie Onkel Roland ausführlich von diesen, wie sie es nannte, Scheusalen mit den Messern erzählt, und obwohl er schockiert war und meinte, sie solle sich aus so unerquicklichen Raufereien heraushalten, machte sie einen recht heiteren und gelassenen Eindruck. Sie mag aussehen wie Porzellan, aber sie ist ganz schön zäh. Um ehrlich zu sein, je näher ich sie kennenlerne, desto mehr bewundere ich sie.«
Die Straße von Chiswick zum Eaton Square, tagsüber trotz Ampeln verstopft, war um 2 Uhr 15 morgens bedauerlich leer. Rote Ampeln sprangen auf Grün, wenn wir näher kamen, und selbst das strikte Einhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit schien die Reise nicht sonderlich zu verlängern. Viel zu früh hielten wir sacht vor dem Haus der Prinzessin an.
Weder sie noch ich traf Anstalten, gleich aus dem Wagen zu springen. Wir blieben noch einen Augenblick sitzen und ließen den Abend ruhig zu Ende gehen.
Ich sagte: »Wir sehen uns dann Samstag.«
»Ja«, seufzte sie aus keinem ersichtlichen Grund. »Wahrscheinlich.«
»Sie müssen ja nicht«, sagte ich.
»Aber nein.« Sie lachte halb. »Ich meinte eher ... Samstag ist ziemlich weit weg.«
Ich nahm ihre Hand. Sie ließ sie passiv, abwartend in meiner.
»Wir könnten noch viele Samstage haben«, sagte ich.
»Ja, könnten wir.«
Ich lehnte mich hinüber und küßte sie auf den Mund, schmeckte ihren rosa Lippenstift, fühlte ihren Atem auf meiner Wange, spürte das Zittern irgendwo in ihrem Körper. Sie wich nicht zurück, schmiegte sich nicht an, sondern küßte, wie ich geküßt hatte, als Sympathieerklärung, als Versprechen vielleicht, als Einladung.
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