»Zehn Sekunden davon können ein ganzer Tag Arbeit sein.«
Ihr Telefon klingelte wieder, und jetzt war der hubschrauberfliegende Ed Cervano am anderen Ende gelandet. Danielle bat ihn mit sanften Worten, sich eine Verbrennung ersten Grades zu holen, und nach ihrem Lächeln hatte es den Anschein, als sei er gewillt, ihr zuliebe ganz in Flammen aufzugehen.
»Ein goldiger Typ«, sagte sie, als sie den Hörer auflegte. »Und er schreibt wie ein Dichter.« Ihre Augen leuchteten von den Talenten des Machers, ihr Mund war süß vom Honig seiner Komplimente.
»Schreibt?« sagte ich.
»Schreibt, was er in den Nachrichten sagt. Alle unsere Berichterstatter schreiben ihre Sachen.«
Eine weitere Nachricht von der Galavorstellung kam durch: Devil-Boy war angeblich samt Hörnern und allem in einer glockenläutenden Ambulanz unterwegs zum Theater.
»Ist er krank?« fragte Danielle. »Wenn es Schau ist, seht zu, daß ihr’s einfangt.« Sie legte auf, zuckte resigniert die Achseln.
»Der hüftschlängelnde Satansbraten wird doppelt soviel Sendezeit bekommen wie der Ölbrand. Die wahre Hölle hat gegen die nachgemachte keine Chance. Möchten Sie die Schneideräume sehen?«
»Ja«, sagte ich und folgte ihr durch das große Büro und einen Korridor hinunter, während ich ihren hübschen Gang bewunderte und meine Hände gern tief in die Wolken ihres dunklen Haares gelegt hätte, sie gern geküßt hätte, am liebsten mit ihr ins Bett gegangen wäre.
Sie sagte: »Ich zeige Ihnen erst das Studio, das ist interessanter« und schwenkte in einen Seitengang, zu einer Tür mit der warnenden Aufschrift: »Bei Rotlicht nicht eintreten.« Kein rotes Licht brannte. Wir gingen hinein. Der Raum war mittelgroß, karg ausgestattet mit ein paar Armsesseln, einem Couchtisch, einer Fernsehkamera, einem Monitor, einem Teleprompter und einer Kaffeemaschine mit Pappbechern. Die einzige Überraschung, die es hier gab, war das Fenster, durch das man einen Abschnitt der Themse mit der lichterglänzenden, belebten Hammersmith Bridge sehen konnte.
»Hier drin vor dem Fenster machen wir LiveInterviews«, sagte Danielle. »Hauptsächlich Politiker, aber auch Schauspieler, Autoren, Sportler, wer immer in den Nachrichten ist. Rote Busse fahren im Hintergrund über die Brücke. Es ist eindrucksvoll.«
»Bestimmt«, sagte ich.
Sie warf mir einen raschen Blick zu. »Langweile ich Sie?«
»Überhaupt nicht.«
Sie trug rosaroten Lippenstift und hatte Augenbrauen wie Flügel. Dunkle, lächelnde Augen, cremefarbene Haut, ein langer Hals über verhüllten Brüsten wie Äpfel an einem schlanken Stamm ... Um Himmels willen, Kit, dachte ich, reiß dich los davon und stell ein paar vernünftige Fragen.
»Wie kommt Ihr Material von hier nach Amerika?« sagte ich.
»Von dort aus.« Sie ging zu einer geschlossenen Tür auf der Seite und öffnete sie. Dahinter lag ein zweiter, viel kleinerer Raum, schwach beleuchtet und warm, in dem Maschinenbänke leise summten.
»Das ist der Übertragungsraum«, sagte sie. »Alles geht von hier aus über Satellit, aber fragen Sie mich bitte nicht, wie. Wir haben einen Mann mit gehetztem Gesichtsausdruck, der die Knöpfe bedient, und wir überlassen das ihm.«
Sie schloß die Tür des Übertragungsraums, und wir gingen durch das Studio hinaus auf den Gang und zu den Schneideräumen, von denen es insgesamt drei gab.
»Okay«, sie knipste eine Lampe an, und vor uns lag ein kleiner Bereich mit einer Wand aus drei Bildschirmen, mehreren Videorecordern und Kassettenständern. »Wir benutzen das hier immer noch, obwohl ich höre, daß ein ganzer Haufen neue Technik um die Ecke wartet. Unsere Jungs mögen diese Apparate, also denke ich, daß sie uns noch eine Weile erhalten bleiben.«
»Wie funktioniert das Ganze?« frage ich.
»Sie lassen das ungeschnittene Band über den linken Schirm laufen und picken die besten Stücke heraus, dann zeichnen Sie die auf dem zweiten Band auf, das auf dem zweiten Schirm erscheint. Sie können das Ganze hin und her wandern lassen, bis es gut aussieht und Sie ein gutes Gefühl haben. So übertragen wir’s dann, aber New York kürzt häufig, je nachdem, wieviel sie sonst noch unterbringen müssen.«
»Können Sie die Geräte selbst bedienen?« fragte ich.
»Bei mir geht’s langsam. Wenn Sie da wirklich Bescheid wissen wollen, können Sie nachher Joe zusehen, wenn wir die Bänder von dem Ölbrand und von Devil-Boy kriegen -er ist einer der besten.«
»Großartig«, sagte ich.
»Es erstaunt mich, daß Sie so interessiert sind.«
»Tja, ich habe einige Bänder, die ich selbst bearbeiten möchte. Da wär’s ganz gut, das zu lernen.«
»Sind Sie deswegen so früh hierhergekommen?« Sie klang, als könnte ich ja sagen, ohne sie im mindesten zu kränken.
Ich sagte: »Teilweise. Hauptsächlich, um Sie zu sehen ... und was Sie tun.«
Sie war nahe genug, um sie in die Arme zu nehmen, und ich hatte überhaupt keinen Einblick in das, was sie dachte. Eine Ziegelwand zwischen zwei Seelen. Beunruhigend.
Sie sah mir mit einem nichts als freundlichen Ausdruck ins Gesicht, und sicher war ich mir nur darin, daß sie über ein wenig ungehemmte Liebe an Ort und Stelle nicht so dachte wie ich.
Sie fragte, ob ich gern die Bibliothek sehen würde, und ich sagte ja, bitte. Es stellte sich heraus, daß die Bibliothek nicht aus Büchern, sondern aus unzähligen Reihen bespielter Bänder bestand: alte Jahrgänge von Nachrichtenmeldungen, vergessen, aber im Dunkel schlummernd wie Bomben, unleugbare Aufzeichnungen von Gesagtem.
»Vorwiegend für Nachrufe verwendet«, sagte Danielle. »Wiederaufbereitete Skandale. Dergleichen mehr.«
Wir kehrten zurück an ihren Nachrichtentisch, wo ich die nächste Stunde über saß und der fortschreitenden Entwicklung der Ereignisse lauschte (Devil-Boy war heil, gesund und komplett zurechtgemacht am Bühneneingang angekommen, umflammt von Technicolorlicht, hysterisch bejubelt von einer Straße voll Fans). Außerdem lernte ich Danielles Arbeitskollegen kennen, den Büroleiter, den Redakteur Joe, den hageren Übertragungsexperten, zwei Ersatzkameramänner und eine gelangweilte, unbeauftragte Macherin. Rund sechzig Leute arbeiteten insgesamt für das Büro, sagte Danielle, aber natürlich nie alle zur gleichen Zeit. Die Tagschicht von zehn bis halb sieben war viel größer; tagsüber wurde ihr Job von zweien ausgeführt.
Um eins rief Ed Cervano an und teilte mit, sie hätten zwar eine ganze Wagenladung spektakulärer Aufnahmen von dem Ölbrand zusammenbekommen, aber das Feuer sei jetzt unter Kontrolle und die Story so kalt wie Asche von gestern.
»Bringen Sie die Bänder trotzdem her«, sagte Danielle. »Wir haben keine Ölbrand-Archivbilder in der Bibliothek.«
Sie legte resigniert den Hörer auf. »So kann’s gehen.«
Die Crew vom königlichen Galaabend kehrte lärmend mit Devil-Boys Kapriolen im Gepäck zurück, und zur gleichen Zeit legte ein Geschäftsbote einen Stapel Morgenzeitungen auf Danielles Tisch, die sie nach möglichen Stories durchforsten sollte. Es traf sich, daß die Daily Flag zuoberst lag, und ich schlug die Intimen Details auf, um Leggatts Worte noch einmal zu lesen.
»Was schauen Sie?« fragte Danielle.
Ich zeigte es ihr. Sie las die Entschuldigung und staunte.
»Ich dachte, Sie hätten keine Chance«, sagte sie offen. »Haben sie der Entschädigung auch zugestimmt?«
»Bis jetzt nicht.«
»Sie werden’s müssen«, sagte sie. »Die haben ihre Schuld doch praktisch eingestanden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Von britischen Gerichten bekommt man bei Verleumdung nicht viel Schadenersatz zugesprochen. Es ist fraglich, ob Bobby einen Prozeß tatsächlich gewinnen würde, und ebensowenig sicher, ob die Flag seine Kosten übernehmen müßte. Sonst kann er sich einfach die Anwaltshonorare nicht leisten.«
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