Doug Johnstone
Roman
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Herausgegeben von Wolfgang Franßen
Originaltitel: Breakers Copyright: © Doug Johnstone, 2019
Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2021
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Mit einem Nachwort von Hanspeter Eggenberger
© 2021 Polar Verlag e. K., Stuttgart
www.polar-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Eva Weigl, Nadine Helms
Umschlaggestaltung: Robert Neht, Britta Kuhlmann
Coverfoto: © Eléonore H /Adobe Stock
Autorenfoto: © Chris Scott
Satz/Layout: Martina Stolzmann
Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign
ISBN 978-3-948392-20-8
eISBN 978-3-948392-21-5
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Was würden wir an Tylers Stelle tun? Ein Nachwort von Hanspeter Eggenberger
Tyler starrte seine kleine Schwester an, während sie fernsah und das Licht vom Bildschirm über ihr Gesicht flackerte. Irgendein Zeichentrickfilm über einen Jungen, der einen Zauberring findet und sich in ein Superhelden-Mädel verwandelt, das Ganze also mit einer Portion coolem Gender-Kram. Bean kaute auf ihrer Unterlippe, lächelte dann, und er sah die Lücke vorne, wo der Milchzahn ausgefallen war. Er hatte der Zahnfee zwei Mäuse aus den Rippen geleiert, nachdem er von seiner Schwester erfahren hatte, was aktuell auf dem Schulhof als der übliche Preis galt. Er war überrascht, dass sie angesichts all dessen, was sonst so abging, immer noch daran glaubte.
»Okay, Kurze, Zeit fürs Bett«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf, die Augen weiter auf den Fernseher fixiert.
Er griff nach der Fernbedienung und der Bildschirm wurde schwarz, es blieb nur noch das gedämpfte Licht der Ecklampe.
»Ist schon längst Schlafenszeit«, sagte er. »Und ich muss bald los.«
Bean drehte sich um. »Wo ist Mum?«
»Im Bett.«
»Ist sie betrunken?«
Tyler seufzte. »Sie war müde.«
»Sie ist betrunken.«
Sollte sie denken, Angela wäre betrunken, denn die Wahrheit war viel schlimmer.
Bean spielte mit Pandas Ohr. Tyler hatte das Stofftier vor ein paar Jahren bei einem Bruch in Merchiston mitgehen lassen. Einen Moment lang hatte er sich blöd gefühlt, aber auf dem Bett dieses Mädchens waren Hunderte Kuscheltiere aufgereiht gewesen, und Bean hatte gar nichts. Er fragte sich, ob das andere Mädchen wohl geweint hatte, als es entdeckte, dass Panda weg war.
»Können wir noch aufs Dach?«, fragte Bean.
»Nein, komm jetzt.«
»Bitte.«
»Morgen ist Schule.«
Sie warf ihm einen Blick zu, wie so eine Manga-Figur, das Kinn gesenkt, die Augen nach oben. »Bitteeeee.«
Tyler sah auf die Uhr. Was für eine Rolle spielte es schon? Er blickte sich in dem winzigen Wohnzimmer um, zwei schäbige Sofas, abgewetzte Teppichfliesen, ein Radiator in der Ecke. Der einzige teure Gegenstand war der Sony LCD Breitbildfernseher, den er aus einer Villa an der Cluny Gardens mitgenommen hatte, die an den Blackford Pond angrenzte. Normalerweise ließen sie die Finger von Fernsehern, denn die waren echt scheiße zu transportieren, doch er wollte ihn für Bean.
»Aber nur ganz kurz«, sagte er.
Sie lächelte und umarmte ihn.
»Ich mein’s ernst«, sagte er. »Ich muss noch mal weg. Barry kommt gleich vorbei.«
Bean runzelte die Stirn und Tyler bedauerte, seinen Halbbruder erwähnt zu haben. Er streckte die Hand aus und sie ergriff sie, wobei sich ihre Hand feucht anfühlte, als er mit ihr den Flur hinunterging.
Er nahm die Schlüssel aus einer Holzkiste, die neben der Haustür als Tisch diente. Er nahm die Hakenstange, die er aus einer Gardinenleiste improvisiert hatte, und eine Decke, die auf dem Boden lag. Bean trug ihren Pyjama und darüber den Onesie, und da oben würde es kalt sein, jeder Windhauch verwandelte sich in dieser Höhe in einen Sturm. Er fegte von der Liberton Brae herunter, übers Krankenhaus und die Ebene hinter Craigmillar Castle, und seitdem die meisten anderen Betonsilos abgerissen worden waren, bekam ihr Hochhaus das meiste ab.
Er verriegelte die Wohnungstür und ging den Korridor hinunter, fort vom Fahrstuhl und der anderen Wohnung, in der Barry und Kelly lebten. Barry hatte eine syrische Familie so lange unter Druck gesetzt, bis sie vor einigen Monaten ausgezogen waren, und jetzt hatten die Wallaces die ganze Etage für sich, als wär’s ein billiges Penthouse.
Tyler öffnete mit dem Haken die Falltür aufs Dach und zog die Aluminiumleiter herunter. Mit der Decke über der Schulter und den Schlüsseln in der Hand stieg er hinauf und öffnete das Vorhängeschloss an der Stahltür am oberen Ende. Es war eine Wartungstür, aber er hatte schon vor Jahren das ursprüngliche Schloss aufgebrochen und es durch sein eigenes ersetzt, die Typen von der Hausverwaltung kamen ohnehin nie hier herauf.
Er sah zu Bean hinunter. »Komm rauf, aber schön beide Hände benutzen.«
Sie legte Panda auf den Boden und kletterte die Leiter hinauf. Die letzten paar Stufen half er ihr, dann drückte er die schwere Tür auf und spürte sofort die kalte Luft auf dem Gesicht. Er aktivierte die Taschenlampe seines Smartphones und sie überquerten die schuppige Teerpappe auf dem Dach zur Westseite, wo zwei zusammengelegte Gartenstühle standen. Einen davon klappte er auf und setzte sich, und Bean stieg auf seinen Schoß, während er die Decke über ihnen ausbreitete. Er schaltete die Taschenlampe aus und die Dunkelheit verschluckte sie.
Sie befanden sich im fünfzehnten Stock oben auf dem Greendykes House. Ihnen gegenüber stand das identische Wauchope House – es waren die letzten beiden noch verbliebenen Hochhäuser der Gegend. Umgeben waren sie von Brachland und einer riesigen Baustelle, wo Barratt Developments das neue Viertel Greenacres aus dem Boden stampfte, Hunderte von Wohnungen und Einfamilienhäusern. Das stand zumindest auf dem großen Schild mit der glücklichen, lächelnden Familie darauf. Vorerst waren es nur Bagger und Abraum, eingefasst von Stacheldraht und überwacht von einem privaten Sicherheitsdienst. Vermutlich für den Fall, dass irgendwer Bock hatte, einen Bagger oder ein paar Kabel oder Rohre zu klauen. Tyler dachte über die logistischen Probleme nach, etwas so Großes zu stehlen, er selbst war ja kleinere Gegenstände gewohnt.
Er überlegte, wie es wohl sein würde, Hunderte neuer Nachbarn zu haben, wenn Greenacres erst mal fertig war. Schlimmer als das Dreckloch, das es vorher gewesen war, konnte es nicht werden, ausgebrannte Häuser und baufällige Läden, Drogenhöhlen und Gang-Treffs. Auf den Straßen wurden Rennen mit kurzgeschlossenen Autos und getunten Scramblern gefahren.
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