Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Fuchs trottete mit wippendem Kopf die Straße entlang, den Schwanz gerade, das Fell glänzend im gelben Licht. Er blieb stehen und schnupperte an einer Hecke, hob den Kopf, sah sich um, schien zu verharren und ihn direkt anzustarren. Konnten Füchse gut sehen? Konnte er Tyler hinter dem Fenster stehen sehen? Der Fuchs machte sich aus dem Staub, flitzte die Straße hinunter außer Sicht, und Tyler musste wieder an die Sache mit der Kampf-oder-Flucht-Reaktion denken.
Er drehte sich um und schaltete die Taschenlampe wieder ein. Auf dem Nachttisch lag ein iPad, eine Gucci-Lesebrille oben drauf. In den Kissenbezug damit. Er öffnete die oberste Schublade und fand eine silberne Geldklammer mit reichlich Zwanzigern. Himmel. Er blätterte sie durch, schätzte, dass es alles in allem fünfhundert Pfund sein könnten. Barry würde begeistert sein. Cash war so viel problemloser als das ganze Gefeilsche mit dem Hehler. Tyler streifte einen Handschuh ab, zog fünf Zwanziger aus der Klammer, faltete sie und schob sie unter den elastischen Bund seiner Unterhose. Einmal, nach einem Bruch vor ungefähr drei Monaten, hatte Barry von ihm verlangt, die Taschen auszuleeren. In dieser Nacht waren sie leer gewesen, aber die Drohung war eindeutig. Tyler warf die Scheinklammer in den Kissenbezug und erkundete den Rest des Zimmers. Er fand noch einige weitere Schmuckstücke, allerdings billigeres Zeug als das vorhin.
Wieder auf dem Flur konnte er Barry und Kelly unten hören, wie sie herumwühlten und schnüffelten, eine Schranktür wurde geöffnet und geschlossen, ein metallisches Scheppern. Die Geräusche eben, wenn das Leben von Leuten auf den Kopf gestellt wurde.
Im nächsten Zimmer zog er das große Los. Ein Teenager, ein Gamer, mit einer Xbox One und einer PlayStation 4, jede Menge Spiele, Controller und Headsets sowie weitere Add-ons. Er ging zu dem Schrank im Flur, zog einen Bettbezug heraus, dann zurück ins Zimmer und füllte das Ding. Er sah sich um. Ein Poster der Hibs, die Siegermannschaft des Turniers um den Pokal, auf der gegenüberliegenden Wand ein Foto von Kim Kardashian, die ihren Hintern vorstreckt. Neben dem Bett stapelweise Motorrad- und Autoillustrierte, über den Boden verteilt die Standardkollektion an Trainingshosen, Turnschuhen und Hoodies. Es hätte Tylers Zimmer sein können, wenn er in einer Luxusbude leben würde und Geld wie Heu hätte. Er suchte nach Hinweisen, was für ein Typ der Junge war, fand aber nichts. Mädchen hatten mehr von solchem Zeug als Jungs. Ihre Namen als Lichterkette über dem Bett, Ausdrucke von Selfies mit BFFs an Moodboards oder hinter Spiegel gesteckt, Namen auf Tagebüchern. Tyler fand’s besser, wenn sie in Häuser mit Mädchenzimmern einbrachen, denn dann konnte er immer irgendeine Kleinigkeit als Geschenk für Bean mitgehen lassen. Außerdem war es beruhigender, sich in einem weiblichen Raum aufzuhalten, verglichen mit den Ballerspielen und Hotrods, dem Wrestling und Rugby in typischen Jungszimmern.
Er ging weiter zum nächsten Zimmer, doch das war nur ein Gästezimmer, einfach möbliert, ein Bett und ein Schreibtisch, nichts, was sich mitzunehmen lohnte. Er kniete sich hin und sah unter dem Bett nach. Nichts. Ihm fiel ein, dass er das im Elternschlafzimmer nicht getan hatte, also ging er noch mal zurück, hockte sich hin und leuchtete mit der Taschenlampe.
Er saß in der Hocke und starrte sehr lange hin.
Schließlich streckte er die Hand aus und zog es heraus. Er hatte noch nie zuvor eine abgesägte Schrotflinte gesehen. Er hatte schon oft und viel mit Luftgewehren geschossen, auf unbebauten Grundstücken in der Nähe von zu Hause auf leere Coke-Dosen gezielt, aber das hier war eine andere Liga. Er legte die Taschenlampe hin und hob das Gewehr mit beiden Händen hoch, spürte sein Gewicht. Auf der Unterseite des Laufs ließ sich ein beweglicher Teil vor- und zurückschieben. Eine Pumpgun. Er musste an Call of Duty denken.
Er wusste nicht, wie man nachsah, ob das Ding geladen war. Sein behandschuhter Finger glitt über den Abzug. Mit der Schrotflinte in der Hand stand er auf und betrachtete sich im Spiegel der Kommode. Richtete den Lauf der Flinte auf den Spiegel und schnitt eine Grimasse. Er schwang die Waffe herum, damit er sie im Profil sehen konnte, posierte wie ein Soldat, dann wieder zurück, hielt sie wie ein Scharfschütze, das Auge auf einer Linie mit dem Visier. Er kniete sich hin, wirbelte herum, stellte sich vor, wie Barry durch die Schlafzimmertür hereinrauschte und eine Ladung voll ins Gesicht bekam.
Er hörte etwas. Von draußen. Räder auf Kies, ein Motor, der ausgeschaltet wurde. Das dumpfe Zuschlagen einer Wagentür, der Piepton einer Verriegelung.
Er huschte zum Fenster. In der Einfahrt stand ein Auto und er sah flüchtig, wie jemand zur Haustür ging, eine Frau in Leggings und Turnschuhen.
Scheiße.
Er spitzte die Ohren. Er konnte Barry und Kelly unten hören, die immer noch das Wohnzimmer ausräumten. Sie konnten das Auto nicht gehört haben.
Er sah sich im Spiegel. Immer noch mit der Schrotflinte in der Hand.
»Fuck.«
Er durchquerte hastig den Raum, warf die Waffe unters Bett, griff nach seinem Telefon und schaltete die Taschenlampe aus. Steckte es ein, schnappte sich den Bettbezug und das Kopfkissen, gefüllt mit Kram.
Er stand am Kopfende der Treppe, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss der Haustür eingeführt wurde. Die Tür öffnete sich, das Licht im Flur ging an.
Die Geräusche aus dem Wohnzimmer hörten auf.
Tyler stand am oberen Ende der Stufen. Da die Treppe einen Zwischenabsatz hatte, konnte er von seinem Standort aus die Haustür nicht sehen.
Sein Herz klopfte wie verrückt, seine Finger kribbelten. Er machte vorsichtige Schritte die Treppe hinunter. Schaffte es bis zum Zwischenabsatz.
»Was verdammt noch mal …?«
Die Stimme einer Frau, schrill, aber auch derb, nichts, was man in dieser Gegend erwartet hätte.
»Was verdammt noch mal macht ihr da?«
Er kam einige weitere Stufen herunter, konnte jetzt ihre Turnschuhe sehen, als sie in der Tür zum Wohnzimmer stand. Sie waren rosa und himmelblau, teure Skechers. Die Leggings waren dunkelblau, schmiegten sich um ihre schlanken Beine. Sie ging ins Wohnzimmer und die Füße verschwanden aus Tylers Blickfeld.
»Keine Bewegung«, sagte Barry.
Tyler ging noch ein paar Stufen hinunter, zögerte.
»Droh mir nicht«, sagte die Frau. »Das hier ist mein Haus. Du hast ja keine Ahnung, mit wem du es zu tun hast.«
»Leg das Telefon weg«, sagte Barry.
Tyler machte zwei weitere Schritte.
»Wenn du nur einen Funken Grips hast«, sagte die Frau, »verschwindest du sofort aus meinem Haus. Und lass meinen Scheißkram hier. Was fällt dir überhaupt ein?«
»Leg das Telefon weg«, wiederholte Barry. »Ich sag’s nicht noch mal.«
Tyler erkannte etwas in seiner Stimme und spürte ein Kribbeln auf der Haut. Sein Magen war schwer wie ein Stein, der ihn nach unten zog. Er machte einen weiteren Schritt, konnte jetzt ins Wohnzimmer sehen. Bei eingeschalteter Deckenbeleuchtung wirkte alles viel zu hell. Die Frau stand unmittelbar hinter der Tür, ein Handy in der Hand. Barry näherte sich ihr mit langsamen Schritten, sah über die Schulter der Frau hinweg zu Tyler. Kelly stand etwas seitlich, bewegungslos wie eine Statue.
Tyler machte einen weiteren Schritt, und die Xbox und das andere Zeug in dem Bettbezug schepperten gegeneinander.
Die Frau drehte sich um und starrte Tyler an, hielt das Smartphone ans Ohr gedrückt.
Sie trug eine dunkle Adidas-Trainingsjacke, den Reißverschluss hochgezogen, ihr rabenschwarzes Haar zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz gebunden, als käme sie gerade aus dem Fitnessstudio. Sie war etwa Mitte vierzig, schlank und durchtrainiert, hatte hohe Wangenknochen und Feuer in den Augen.
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