Doug Johnstone
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Herausgegeben von Wolfgang Franßen
Originaltitel: A Dark Matter
Copyright: © Doug Johnstone 2020
The moral right of the author has been asserted
Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2022
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Mit einem Nachwort von Anthony J. Quinn, © 2021, übersetzt von Jürgen Bürger
© 2022 Polar Verlag e.K., Stuttgart
www.polar-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) oder unter Verwendung elektronischer Systeme ohne schriftliche Genehmigung des Verlags verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Eva Weigl und Jutta Nickel
Umschlaggestaltung: Robert Neth, Britta Kuhlmann
Coverfoto: © S_E/Adobe Stock
Autorenfoto: © Chris Scott
Satz/Layout: Martina Stolzmann
Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck, Deutschland
ISBN: 978-3-948392-42-0
eISBN: 978-3-948392-43-7
Für Chris Brookmyre, der mehr an mich glaubt als ich selbst .
1 JENNY
2 JENNY
3 HANNAH
4 DOROTHY
5 HANNAH
6 JENNY
7 DOROTHY
8 HANNAH
9 DOROTHY
10 HANNAH
11 DOROTHY
12 JENNY
13 HANNAH
14 DOROTHY
15 JENNY
16 DOROTHY
17 HANNAH
18 JENNY
19 HANNAH
20 DOROTHY
21 JENNY
22 HANNAH
23 DOROTHY
24 JENNY
25 HANNAH
26 JENNY
27 DOROTHY
28 JENNY
29 HANNAH
30 JENNY
31 DOROTHY
32 JENNY
33 HANNAH
34 HANNAH
35 DOROTHY
36 JENNY
37 HANNAH
38 DOROTHY
39 JENNY
40 HANNAH
41 DOROTHY
42 HANNAH
43 JENNY
44 DOROTHY
45 JENNY
46 HANNAH
47 JENNY
48 DOROTHY
49 JENNY
50 HANNAH
51 DOROTHY
52 JENNY
53 DOROTHY
54 HANNAH
55 JENNY
56 DOROTHY
57 HANNAH
58 JENNY
59 DOROTHY
60 HANNAH
61 JENNY
62 HANNAH
63 DOROTHY
64 JENNY
DANKSAGUNGEN
Der Verlust und das Unbekannte
Ihr Vater benötigte viel länger als erwartet, um zu verbrennen.
Jenny schaute zu, wie die Flammen an seinem Körper leckten, wie sie sich um seine Brust und Leistengegend kräuselten, in sein Ohr raunten. Sein schütteres Haar ging in Rauch auf, graue Fahnen wehten zum fleckigen Himmel empor. Ein Wacholderzweig in seiner Hand fing Feuer und versprühte blaue Funken, und Jenny roch den Duft, der sie an Gin erinnerte. Die um Jims Körper gestapelten Fichten- und Kiefernscheite loderten hell und kräftig. Das Feuer hatte bereits seinen Anzug verzehrt, und seine Haut spannte sich nun um die Knochen, während Feuchtigkeit aus seinem Körper verdampfte.
Dennoch schien es sehr lange zu dauern.
Der Scheiterhaufen war nicht viel mehr als ein improvisiertes, überdimensioniertes Barbecue, zwei Reihen Ytongblöcke mit einem Metallrost dazwischen. Darunter befand sich ein länglicher silberner Trog aus dem Einbalsamierungsraum, in dem sie seine Überreste sammeln würden, nachdem die Teile klein genug waren, um durch den Rost zu fallen. Archie hatte an dem Scheiterhaufen im Garten gearbeitet, seit Dorothy die letzten Wünsche ihres Ehemanns verkündet hatte.
Es war eigenwillig, zugegeben. Ihr Dad hatte fünfundvierzig Jahre lang die Beerdigungen Tausender Menschen inszeniert, hatte für Musik und Blumen gesorgt, für den Ablauf der Gottesdienste, Fahrzeuge für die Trauernden und angemessene Nachrufe. Hatte darauf geachtet, dass für die Hinterbliebenen jedes Detail stimmte, dafür gesorgt, dass alle konkurrierenden Parteien bekamen, was sie wollten, und der Verstorbene stilvoll verabschiedet wurde. Und seine eigene Beerdigung war das genaue Gegenteil. Ein Scheiterhaufen im Garten hinter ihrem Haus, keine Reden, keine Predigten, weder Freunde oder Blumen noch eine Feier, nur sie fünf ganz nah an der pulsierenden Hitze eines illegalen Feuers.
Jennys Blick wanderte von den Flammen zu den anderen, die um das Feuer standen. Ihre Mum stand vorne vor dem Scheiterhaufen. Eine in der Luft tanzende Ascheflocke landete auf ihrem gelben Kleid, und sie schnipste sie mit einem lackierten Fingernagel weg. Sie strich sich eine Haarlocke aus der Stirn und hob das Gesicht zu den Flammen, die Augen geschlossen, als würde sie sonnenbaden.
Neben Dorothy standen Hannah und Indy mit untergehakten Armen, Hannah lehnte den Kopf an die Schulter ihrer Freundin. Zusammen sahen sie umwerfend aus, Hannahs blasses Gesicht mit den langen, schwarzen Haaren das Gegenstück zu Indys brauner Haut und dem blauen Bubikopf. Jenny fragte sich, was ihrer Tochter wohl durch den Kopf ging, während die sterblichen Überreste ihres Großvaters in Flammen und Rauch aufgingen. Es kam Jenny immer noch verrückt vor, dass sie eine erwachsene Tochter hatte, die in einer Beziehung lebte.
Die Flammen waren inzwischen höher, schwarzer Rauch reckte sich in die Luft. Der Geruch von Fichten und Kiefern erinnerte Jenny an Weihnachten. Dorothy hatte Kräuterbüschel auf den Leichnam gelegt, bevor sie anfingen, und nun zogen Jenny Lorbeer und Salbei in die Nase, vermischt mit dem Geruch verbrannten Fleischs, was sie an Abendessen mit Sonntagsbraten erinnerte.
Sie sah zum anderen Ende des Scheiterhaufens, jenseits von Jims schmelzenden Füßen, und wechselte einen Blick mit Archie. Er beschäftigte sich mit den logistischen Anforderungen, warf immer wieder Blicke darunter, vergewisserte sich, dass der Rost Gewicht und Temperatur standhielt, und legte mit einer langen Zange einen Scheit neben Jims Bein zurecht. Auf dem Gras hinter ihm bemerkte Jenny einen eisernen Schürhaken und einen Rechen, um die Asche durchzugehen, nachdem die Flammen erloschen waren.
Archie war klein und stämmig, hatte einen dichten braunen Bart, einen rasierten Schädel und erinnerte in seinen Bewegungen irgendwie an ein Tolkiensches Wesen. Er war so alt wie Jenny, wirkte aber älter. Seit zehn Jahren war er die rechte Hand von Jim und Dorothy, doch es fühlte sich an, als wäre er schon immer da gewesen. Archie war einer von Dorothys Streunern. Sie hatte die Angewohnheit, verlorene Seelen aufzunehmen und zu einem Anker in deren Leben zu werden. Er war eines Tages aufgetaucht, um die Beerdigung seiner Mutter organisieren zu lassen. Im Verlauf des nächsten Monats sah man ihn häufig auf Friedhöfen und bei Einäscherungen, er tauchte uneingeladen auf den Beerdigungen wildfremder Leute auf und suchte nach Nähe und Verbundenheit. Bei einer davon im Craigmillar Castle Park trat Dorothy mit einem Vorschlag an ihn heran, und zwei Wochen später fuhr er in einen Anzug gekleidet den Leichenwagen, wechselte in einen Overall, um Särge zusammenzuzimmern, und übernahm schließlich unter Jims Anleitung das Einbalsamieren. Und Dorothy hielt zu ihm, als die Einzelheiten seines Zustandes ans Licht kamen. Sie holte eine zweite Meinung ein, behielt ein Auge auf seine Medikation und die Therapiesitzungen und vertraute ihm im Geschäft, was einen erheblichen Teil dazu beitrug, ihm das Leben zu retten.
Das Gleiche galt für Indy, eine weitere Streunerin, die drei Jahre zuvor aufgetaucht war, um ihre Hindu-Eltern beizusetzen, Zahnärzte, die bei einem Unfall gestorben waren und eine haltlose Tochter zurückließen. Aber Dorothy sah etwas in ihr, und einen Monat später machte sie Telefondienst, sammelte Informationen von Kunden und kümmerte sich um die Verwaltung. Jetzt machte sie eine Ausbildung zur Bestattungsunternehmerin. Unterdessen hatte sie sich in Hannahs Herz geschlichen und sie überredet, in die Wohnung einzuziehen, die sie von ihrer Mum und ihrem Dad geerbt hatte, zehn Fußminuten entfernt am Argyle Place.
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