Sie fuhren Richtung Norden durch Newington, dann links nach Sciennes und Marchmont. Hier war nicht viel zu holen, zu viele Studentenwohnungen, die Uni direkt hinter dem Meadows-Park. Außerdem waren viel zu viele Leute auf den Straßen unterwegs, Studenten auf dem Heimweg von den Pubs und Clubs der Old Town. Barry manövrierte sich durch Whitehouse und fuhr am Rand von The Grange nach Morningside. Es war der berühmte noble Teil der Stadt, wo das ganze alte Geld wohnte, im Gegensatz zu den neureichen Hedgefonds-Typen von New Town.
Barry war nach dem ersten Bruch und dem Koks viel zu high, um sich auf die Häuser zu konzentrieren, an denen sie vorbeifuhren. Tyler bemerkte zwei Kandidaten, die Barry übersah, doch er sagte nichts. Es war der Glücksabend der Besitzer. Kelly bekam selbst in den besten Zeiten kein gutes Objekt mit. Blöd wie Scheiße in ’ner Flasche, sagte Barry, selbst wenn sie dabei war, als wär’s ein Kompliment. Sie lächelte nur und streichelte seinen Arm, als hätte sie eine Gehirnwäsche hinter sich. Wie aufs Stichwort lachte sie über irgendwas, das Barry sagte, schnippte mit vom Koks leuchtenden Augen ihre Haare von der Schulter.
Sie erreichten Craiglockhart, fuhren weiter nördlich nach Merchiston, standen dann ewig vor der Ampel an der Holy Corner, während im Radio die neue Single von Lorde lief. Tyler mochte sie, sie hatte was Interessantes, nicht wie die andere Scheiße, die sonst so auf Forth gespielt wurde. Er stand ganz allgemein nicht sonderlich auf die Charts, hörte lieber Electronica und Chill-out. Er fand mal was auf Spotify, versuchte es mit Playlists zur Meditation, suchte etwas, das ihm half, geistig zur Ruhe zu kommen. Jetzt hätte er gern seine Ohrhörer reingeschoben, sein eigenes Zeug von seinem Telefon gehört, aber Barry riss sie ihm immer vom Kopf, wenn er das bei einem Job versuchte. Sich stets seiner Umgebung bewusst zu sein, sagte Barry, das wär entscheidend. Wie das zu einem vollgekoksten Hirn und einer niemals geschlossenen Klappe passen sollte, wusste allein der Teufel.
Die Wartezeit an der Kreuzung schien die zwei vorne runterzubringen. Sie fuhren rüber nach Churchill, die Chamberlain Road entlang und dann rechts auf die Greenhill Gardens. Zu ungeschützt, zu viel los, selbst um diese späte Uhrzeit. Zweimal links, und sie waren auf der Greenhill Place, Reihenhäuser auf der einen Seite, größere, frei stehende Häuser rechts. Sie fuhren bis ans Ende der Straße, bogen rechts ab, fuhren einmal um den Block. Ein Bestattungsunternehmen an einer Ecke. Tyler stellte sich vor, was sie dort wohl finden mochten. Aber Firmen waren immer besser gesichert, hatten Alarmanlagen mit direktem Draht zur Polizei, Videoüberwachung, das Geld in einem verschlossenen Safe.
Barry bog rechts in die St. Margaret’s Road ein und fuhr langsamer. Tyler entdeckte es, bevor er etwas von Barry wahrnahm. Ein frei stehendes Herrenhaus im viktorianischen Stil, Erkerfenster, gepflegte Hecke und eine schmale Kieszufahrt. Efeu zog sich über die Wand um die Haustür. Dunkel, kein Auto, weder in der Einfahrt noch auf der Straße, kein Hinweis auf eine Alarmanlage. Die Fenster nach vorne hinaus sahen wie alte Sprossenschiebefenster aus, auf der Rückseite wahrscheinlich genauso.
Barry fuhr einmal um den Block, um sicherzugehen, gab dabei leise, schnurrende Laute von sich. Kelly packte das Koks aus, bereitete auf ihrem Schoß ein paar weitere Lines vor. Barry verlangsamte das Tempo, als sie erneut in die St. Margaret’s Road einbogen, und nahm Hausnummer vier wieder in Augenschein, dann hielt er zwischen Straßenlaternen und unter einer überhängenden Kastanie an. Die zwei zogen sich vorn eine Line rein, Barry machte ein gurgelndes Geräusch, Kelly schniefte kehlig. Beide waren zugedröhnt, wo sie eigentlich hellwach sein müssten.
»Schwingt die Hufe«, sagte Barry und stieg aus dem Wagen.
Reinzukommen war einfacher als das letzte Mal. Hinten war ein Wintergarten angebaut worden, der allerdings so alt war, dass der Sperrmechanismus nicht sonderlich viel taugte. Die Glasschiebetür ließ sich ohne großes Murren aus der Führungsschiene heben, was diesmal Tylers Affenkletterei überflüssig machte. Er wünschte, er könnte im Auto bleiben, aber so lief das nicht. Barry wollte, dass immer alle dabei waren. Tyler vermutete, dass er sich sicherer fühlte in dem Wissen, dass sein Bruder und seine Schwester mit ihm in der Scheiße steckten, falls mal ein Bruch total in die Hose ging.
Sie trennten sich wie zuvor, Tyler lief zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf, während Barry und Kelly sich von der Küche ausgehend vorarbeiteten, der eine ins Wohnzimmer, die andere Richtung Arbeitszimmer. Diese großen Häuser hatten so viel Platz, dass Tyler sich fragte, wie man sich daran gewöhnen konnte. Er stellte sich die Wohnung vor, die er sich mit Mum und Bean teilte. Wenigstens waren sie drei allein, nachdem Barry und Kelly die Wohnung nebenan übernommen hatten. Davor war es unerträglich gewesen, man latschte sich permanent gegenseitig auf die Füße. Und es war auch eine große Erleichterung, Bean aus dem Dunstkreis der beiden herauszubekommen. Sie war nicht sicher in ihrer Gegenwart.
In einem Schrank am Kopfende der Treppe fand er einen Kissenbezug, blieb einen Moment stehen und atmete tief durch. Schnupperte. Er fragte sich, ob man Reichtum riechen konnte. Vielleicht roch er ganz genau so, nach Sandelholz nämlich und Bohnerwachs. Überall Hartholzböden, ein teurer Läufer über die gesamte Länge des Flurs. Kein Teppich bedeutete mehr Knarren und Quietschen, aber das spielte keine Rolle, war tatsächlich sogar hilfreich. Falls die Besitzer zu Hause waren, war es schwerer für sie, sich an ihn anzuschleichen.
Elternschlafzimmer. Er ließ den Strahl der Taschenlampe seines Telefons durch den Raum wandern. Er sollte sich wirklich eine dieser Stirnlampen besorgen, die man sich um den Kopf schnallte, um beide Hände frei zu haben, solche wie Bergwanderer und Läufer sie benutzten. Er hatte es Barry schon mal vorgeschlagen, der aber darauf nur lachte und ihn als Schwuchtel beschimpfte.
Das breite Doppelbett hatte lila Laken, unendlich kitschig, passte so überhaupt nicht zum Rest des Hauses. Das Zimmer mit dem Erkerfenster war groß genug für zwei Spiegelkommoden in schlichtem skandinavischen Stil, eine für ihn, eine für sie. Tyler ging zuerst zur Kommode der Frau. Jede Menge Gold und Platin, Armreifen und Fußkettchen, Broschen und Ringe. Er wischte alles in den Kissenbezug, durchsuchte dann die Schubladen. Mehr davon. Diese Leute hier hatten echt kein Problem mit Geldausgeben.
Rüber auf die Seite des Mannes. Drei protzige Armbanduhren obendrauf, die er einsteckte, mehr Ringe, schwer, wahrscheinlich aus massivem Gold. Auch hier mehr davon in den Schubladen. Wer brauchte denn sieben wertvolle Uhren? Manche Leute waren dumm, was Geld betraf. Wenn Tyler so viel Kohle hätte, würde er mit Bean in den Urlaub fahren, dahin wo die Sonne schien, an einen leeren Strand, wo in einer kleinen Hütte gebratene Hähnchen und eisgekühlte Getränke verkauft wurden. Raum und Zeit, das sollte man sich mit Geld kaufen, nicht Cartier und TAG Heuer.
In der untersten Schublade der Kommode lagen sechs brandneue, noch nicht ausgepackte iPhones. Tyler runzelte die Stirn, als er sie in den Kissenbezug legte. Ergab keinen Sinn. Entweder war dieser Kerl wahnsinnig reich oder er führte irgendwas im Schilde.
Er schaltete die Taschenlampe kurz aus und sah aus dem Fenster. Nur eine ruhige Straße im gedämpften gelben Licht der Laterne ein Stück weiter runter. Nirgends in diesem Block ein Schild mit Nachbarschaftswache drauf, aber das war ja sowieso meistens nur Bullshit. In einer Stadt wie Edinburgh, wo kein Mensch miteinander redete, war es schwer, unter Nachbarn ein ineinandergreifendes Sicherheitssystem zu organisieren. Noch schwerer in reichen Gegenden, wo viele Leute sowieso nur die halbe Zeit da waren.
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