«Alle Anrufe werden zu mir durchgestellt«, sagte sie.»Bambi hat sich hingelegt. Mercer und Xanthe sind unterwegs nach Hope — der Hubschrauber wurde doch für ihn bestellt, damit er Sheridans Leichnam identifizieren kann, der auf dem Straßenweg hingebracht wird.«
«Das hört sich alles so klinisch an.«
«Die Behörden wollen sichergehen, daß es Sheridan ist, ehe sie irgendwelche Anordnungen treffen.«
«Wissen Sie, wann Mercer und Xanthe zurückkommen?«
«Gegen sechs vermutlich.«
«Hm. der Jockey Club bat mich, ein kurzes Treffen anzusetzen. Meinen Sie, Mercer wäre damit einverstanden?«
«Er ist sehr hilfsbereit allen gegenüber. Fast schon zu ruhig.«
Ich dachte nach.»Können Sie ihn in Hope erreichen?«
Sie zögerte.»Ja, wahrscheinlich. Ich habe die Adresse, wo er hin ist, und die Telefonnummer, aber ich glaube, das ist eine Polizeistation. oder eine Leichenhalle.«
«Könnten Sie… könnten Sie ihm ausrichten, daß bei seiner Rückkehr ein Wagen am Hotel bereitstehen wird, um ihn direkt zu einem kurzen Treffen mit dem Jockey Club zu bringen? Sagen Sie ihm, der Jockey Club spricht sein aufrichtiges Beileid aus und möchte seine Zeit nur kurz in Anspruch nehmen.«
«Könnte ich wohl tun«, meinte sie zweifelnd.»Was ist mit Xanthe?«
«Mercer allein«, sagte ich entschieden.
«Ist es wichtig?«fragte sie, und ich konnte mir vorstellen, wie sie dabei die Stirn runzelte.
«Ich glaube, es ist wichtig für Mercer.«
«Na schön. «Sie entschloß sich.»Xanthe kann dann ja die Anrufe für ihre Mutter entgegennehmen, ich muß nämlich zu dieser Cocktailparty. «Ihr fiel etwas ein.»Kommen nicht auch Leute vom Jockey Club zu der Party?«
«Mercer wird nicht hingehen wollen. Sie möchten ungestört mit ihm allein sprechen.«
«Also gut, ich versuch das hinzukriegen.«
«Tausend Dank«, sagte ich inbrünstig.»Ich rufe noch mal an, ob es geklappt hat.«
Ich rief um fünf noch einmal an. Der Hubschrauber war auf dem Rückflug, sagte Nell, und Mercer war damit einverstanden, daß man ihn am Hotel abholte.
«Sie sind fabelhaft.«
«Bitten Sie den Jockey Club, ihn nicht lange aufzuhalten. Er wird müde sein… und er hat Sheridan identifiziert.«
«Ich könnte Sie küssen«, sagte ich.»Der Weg zum Herzen eines Mannes führt übers Reisebüro.«
Sie lachte.»Immer vorausgesetzt, daß man dort auch hin möchte.«
Mit einem leisen Klicken legte sie den Hörer auf. Ich wollte sie nicht verlieren, dachte ich.
Der Wagen, den ich für Mercer bestellte, holte ihn plangemäß ab und brachte ihn zum Hyatt, und wie gewünscht sagte ihm der Chauffeur auch gleich, in welches Zimmer er gehen solle. Er klingelte an der Suite, die ich mehr oder minder ihm zu Ehren belegt hatte, und ich öffnete die Tür, um ihn einzulassen.
Er kam etwa zwei Schritte herein, blieb dann stehen und blickte mir ungehalten ins Gesicht.
«Was soll das denn?«fragte er mit wachsendem Zorn und schickte sich an zu gehen.
Ich schloß die Tür hinter ihm.
«Ich arbeite für den Jockey Club«, sagte ich.»Den britischen Jockey Club. Ich bin für die Dauer des Rennexpreß-Festivals zum kanadischen Jockey Club abgestellt worden.«
«Aber Sie sind. Sie sind doch.«
«Mein Name ist Tor Kelsey«, sagte ich.»Man hielt es für besser, wenn ich nicht offen als eine Art Sicherheitsbeamter des Jockey Club im Zug wäre, deshalb fuhr ich als Kellner mit.«
Er musterte mich. Betrachtete den feinen Anzug, Marke reicher junger Besitzer, den ich für den Anlaß angezogen hatte. Betrachtete das teure Zimmer.
«Mein Gott«, sagte er schwach.»Weshalb bin ich hier?«
«Ich arbeite für Brigadier Catto in England«, sagte ich,»und hier für Bill Baudelaire. Das sind die Sicherheitschefs unserer Jockey Clubs.«
Er nickte. Er kannte sie.
«Da sie nicht hier sein können, haben beide mich ermächtigt, in ihrem Namen mit Ihnen zu sprechen.«
«Ja, aber… worüber denn?«
«Würden Sie bitte Platz nehmen? Möchten Sie etwas trinken?«
Er blickte mich mit einem gewissen trockenen Humor an.
«Können Sie sich ausweisen?«
«Ja. «Ich nahm meinen Paß heraus. Er klappte ihn auf. Sah sich meinen Namen an, mein Bild und meinen Beruf: Ermittler.
Er gab mir den Paß zurück.»Ja, ich trinke was«, sagte er,»da Sie im Einschenken so geübt sind. Cognac, wenn’s geht.«
Ich öffnete den Schrank, den das Hotel auf meinen Wunsch mit Wein, Wodka, Scotch und Brandy ausgestattet hatte, und goß ihm die Menge ein, die er bevorzugte; auch das frevlerische Eis gab ich hinzu.
Er nahm das Glas mit einem schiefen Lächeln an und setzte sich in einen der Sessel.
«Niemand ist Ihnen draufgekommen«, sagte er.»Keiner hat es auch nur geahnt. «Nachdenklich trank er einen Schluck.»Weshalb waren Sie in dem Zug?«
«Ich wurde wegen einem der Passagiere entsandt. Wegen Julius Filmer.«
Die Ungezwungenheit, die bei ihm aufgekommen war, verschwand abrupt. Er stellte sein Glas auf den Tisch neben sich und starrte mich an.
«Mr. Lorrimore«, sagte ich und setzte mich ihm gegenüber,»ich bedaure den Tod Ihres Sohnes. Es tut mir wirklich leid. Der ganze Jockey Club spricht Ihnen seine Teilnahme aus. Ich glaube aber, ich sollte Ihnen geradeheraus sagen, daß Brigadier Catto, Bill Baudelaire und ich über den, ehm… Vorfall mit den Katzen im Bilde sind.«
Er sah zutiefst bestürzt aus.»Das ist doch nicht möglich!«
«Ich nehme an, Julius Filmer weiß ebenfalls davon.«
Er machte eine hilflose Geste mit der Hand.»Wie hat er das bloß rausbekommen?«
«Das untersucht der Brigadier in England.«
«Und wie haben Sie es rausbekommen?«
«Nicht durch irgend jemand, den Sie zum Schweigen verpflichtet haben.«
«Nicht über das College?«
«Nein.«
Er bedeckte sein Gesicht kurz mit der Hand.
«Julius Filmer könnte auch jetzt noch vorschlagen, daß Sie ihm Voting Right geben, damit er den Mund hält«, sagte ich.
Er ließ die Hand an seinen Hals sinken und schloß die Augen.
«Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte er. Er schlug die Augen wieder auf.»Haben Sie die Schlußszene des Kriminalstücks gesehen?«
«Ja«, sagte ich.
«Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll… seitdem.«
«Das müssen Sie entscheiden«, sagte ich.»Aber… darf ich etwas dazu anmerken?«
Er willigte mit einer unbestimmten Geste ein, und ich sprach auch mit ihm ziemlich lange. Er hörte äußerst konzentriert zu, wobei er mir fast unverwandt ins Gesicht schaute. Leute, die im Geiste jedes Wort, das man sagt, zurückweisen, sehen einen nicht an, sondern blicken auf den Boden, auf einen Tisch oder sonstwohin. Ich wußte zum Schluß, daß er tun würde, worum ich ihn bat, und dafür war ich dankbar, denn es würde ihm nicht leichtfallen.
Als ich geendet hatte, sagte er nachdenklich:»Dieser Krimi war kein Zufall, was? Der mit der Straftat seines Kindes erpreßte Vater, der Pfleger, der ermordet wurde, weil er zuviel wußte, der Mann, der sich umbringen wollte, wenn er seine Rennpferde nicht behalten konnte… Haben Sie das selbst geschrieben?«
«Den Teil schon. Nicht das Ganze.«
Er lächelte schwach.»Sie haben mir vor Augen geführt, was ich da machte… was ich zu tun bereit war. Aber darüber hinaus… haben Sie es Sheridan gezeigt.«
«Es kam mir so vor«, sagte ich.
«Ja? Wieso?«
«Er wirkte anders hinterher. Er hatte sich verändert.«
Mercer sagte:»Woran haben Sie das erkannt?«
«Das ist mein Beruf.«
Er sah verblüfft drein.»So einen Beruf gibt es nicht.«
«Doch«, sagte ich,»es gibt ihn.«
«Erklären Sie«, sagte er.
«Ich achte auf Dinge… die nicht so sind, wie sie waren, und versuche das zu verstehen und herauszufinden, wie es kommt.«
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