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Dick Francis: Gegenzug

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Dick Francis Gegenzug

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Dick Francis "Gegenzug",original: "The Edge".Schauplatz dieser Geschichte voller Dramatik und Intrigen ist ein Millionärsexpreß, der die spektakuläre Landschaft Kanadas durchquert. An Bord sind reiche Pferdebesitzer, die ihre Pferde in Toronto, Winnipeg und Vancouver an den Start begleiten wollen. Und ein eiskalter Erpresser, für den Mord nur eine Alternative unter vielen darstellt.

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Dick Francis

Gegenzug

Kapitel 1

Ich folgte Derry Welfram in einem vorsichtigen Abstand von fünfzig Schritten, als er plötzlich stolperte, mit dem Gesicht auf das nasse Pflaster fiel und liegenblieb. Ich hielt an, beobachtete, wie Hände sich streckten, um ihm aufzuhelfen, und sah den Ausdruck des Zweifels, der Sorge, der Bestürzung in den sich öffnenden Mündern der Gesichter um ihn herum. Das Wort, das sich daraufhin in meinem Kopf formte, war grob, ordinär und blieb unausgesprochen.

Derry Welfram lag reglos auf seinem Gesicht, während die vierzehn Starter des 15-Uhr-30-Rennens in York dicht an ihm vorbeistaksten; die Jockeys in ihrer schon feuchten Kleidung blickten mit gedämpfter Neugier zu ihm runter und wieder hoch, konzentriert auf die bevorstehende Aufgabe, fröstelnd in der regendurchsetzten Kälte des frühen Oktober. Der Mann war betrunken. Man konnte ihre Gedanken lesen. Mitten am Nachmittag umkippende Trinker waren auf Rennbahnen nicht gerade unbekannt. Es war ein lausiger, ungemütlicher Nachmittag. Alles Gute dem Zecher.

Ich zog mich unauffällig ein paar Schritte zurück und sah weiter zu. Einige aus der Gruppe, die am dichtesten bei Welfram gewesen war, als er stürzte, rückten von ihm ab, schauten auf die entschwindenden Pferde, wollten fort, wollten das Rennen sehen. Einige traten von einem Fuß auf den anderen, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu gehen und ihrem Schamgefühl, und einer mit mehr sozialem Verantwortungsbewußtsein hastete davon, um Hilfe zu holen.

Ich wanderte zur offenen Tür der Bar an der Führung hinüber, von wo etliche Besucher die Szene verfolgten. Im Innern war die Bar voll von relativ trockenen Leuten, die sich die LiveBilder auf dem Monitor anschauten, das Leben aus zweiter

Hand.

Einer aus der Gruppe am Eingang sagte zu mir:»Was ist denn los mit dem?«

«Keine Ahnung. «Ich zuckte die Achseln.»Betrunken wahrscheinlich.«

Ich stand still dort, als Teil der Kulisse, drängte mich nicht in die Bar, sondern wartete vor der Tür, unter dem überhängenden Dach, und achtete darauf, daß mir die Tropfen, die vereinzelt herunterkamen, nicht in den Kragen fielen.

Der verantwortungsbewußte Mann kam im Laufschritt zurück, ihm folgte ein stämmiger Mensch in Johanniteruniform. Die Leute hatten Welfram inzwischen halb herumgedreht und seinen Schlips gelockert, schienen aber doch froh zu sein, daß amtliche Hilfe eintraf. Der Johanniter rollte Welfram ganz auf den Rücken und sprach kurz und bestimmt in ein Funkgerät. Dann bog er Welframs Kopf zurück und versuchte Mund-zu-Mund-Beatmung.

Ich konnte mir keine Situation vorstellen, die mich bewogen hätte, meinen Mund auf den von Welfram zu legen. Vielleicht war das zwischen völlig Unbekannten einfacher. Nicht mal, um ihm das Leben zu retten, dachte ich, obwohl ich ihn lieber lebend gehabt hätte.

Ein weiterer Mann kam herbeigeeilt, ein dünner Mann im Regenmantel; vom Sehen kannte ich ihn als den Rennbahnarzt. Er tippte dem Sanitäter auf die Schulter, hieß ihn aufhören und legte erst seine Finger an Welframs Hals, dann sein Stethoskop an die Brust unter dem geöffneten Hemd. Nach längerem Abhorchen, einer halben Minute vielleicht, richtete er sich auf und sagte etwas zu dem Sanitäter, während er das Stethoskop in der Tasche seines Regenmantels verstaute. Dann eilte er wieder fort, da das Rennen bevorstand und der Rennbahnarzt bei jedem Lauf an der Bahn sein mußte, um den Jockeys zu helfen.

Der Sanitäter gab noch einen Funkspruch durch, versuchte aber nicht mehr, Luft in unempfängliche Lungen zu blasen, und bald trafen Kollegen von ihm mit einer Bahre und einer Decke ein und trugen die diskret verhüllte Last davon — das Silberhaar, den prallen marineblauen Anzug und das verstummte Herz eines herzlosen Mannes.

Die Gruppe, die bei ihm gestanden hatte, löste sich erleichtert auf; zwei oder drei von ihnen strebten geradewegs zur Bar.

Der Mann, der mich vorhin angesprochen hatte, stellte den Neuankömmlingen die gleiche Frage:»Was ist denn mit dem?«

«Er ist tot«, sagte einer von ihnen knapp, obwohl das kaum noch nötig war.»Gott, ich brauche was zu trinken. «Er drängte sich in die Schankstube, und die Zuschauer vom Eingang, darunter auch ich, folgten ihm, um mehr zu hören.»Der ist einfach umgefallen und gestorben. «Er schüttelte den Kopf.»Mensch, da kommt man ins Nachdenken. «Er versuchte die Aufmerksamkeit des Barmanns auf sich zu ziehen.»Man konnte ihn röcheln hören… dann hat er aufgehört zu atmen… er war schon tot, bevor der Johanniter hinkam… Barmann, einen doppelten Gin. nein, dreistöckig.«

«War Blut zu sehen?«fragte ich.

«Blut?«Er sah halb in meine Richtung.»’türlich nicht. Bei Herzanfällen gibt’s kein Blut… Barmann, einen Gin Tonic… wenig Tonic… nun machen Sie mal, ja?«

«Und wer war das?«sagte jemand.

«Keine Ahnung. Irgendein armer Hund.«

Auf dem Bildschirm begann das Rennen, und alle, mich eingeschlossen, drehten die Köpfe, um zuzusehen, obgleich ich hinterher nicht hätte sagen können, wer gewonnen hatte. Durch Derry Welframs Tod würde meine derzeitige Aufgabe viel schwieriger, wenn nicht vorläufig ganz unlösbar sein. Von daher war das 15-Uhr-30-Rennen belanglos.

Ich verließ die Bar im allgemeinen Aufbruch nach dem

Rennen und wanderte unschlüssig ein wenig umher, hielt Ausschau nach anderen Dingen, die nicht so waren, wie sie sein sollten, und wie an vielen Tagen fiel mir nichts auf. Vor allem wollte ich sehen, ob irgendwer vielleicht Derry Welfram suchte, und lungerte zu diesem Zweck vor der Sanitäts wache herum, doch niemand erkundigte sich nach ihm. Schließlich kam ein Aufruf über die Lautsprecheranlage, der oder die Begleiter eines Mr. D. Welfram möchten sich beim Rennvereinssekretär melden, also lungerte ich auch vor dessen Büro eine Weile herum, doch niemand nahm die Einladung an.

Welfram die Leiche reiste in einem Krankenwagen von der Rennbahn zum Leichenschauhaus, und etwas später fuhr ich in meinem unscheinbaren Audi von York ab und rief um Punkt fünf, wie gewünscht, per Autotelefon meinen unmittelbaren Vorgesetzten John Millington an.

«Was heißt, er ist tot?«wollte er wissen.»Das kann doch nicht sein.«

«Sein Herz ist stehengeblieben«, sagte ich.

«Hat ihn jemand umgebracht?«

Keiner von uns wäre darüber erstaunt gewesen, doch ich sagte:

«Nein, darauf deutet nichts hm. Ich bin ihm eine Ewigkeit gefolgt. Ich habe nicht gesehen, daß ihn jemand angerempelt hätte oder etwas dergleichen. Und es gab offenbar kein Blut. Nichts Verdächtiges. Er ist einfach gestorben.«

«Mist. «Sein ärgerlicher Tonfall klang, als sei es meine Schuld. John Millington, Polizeibeamter i. R. (Chefinspektor), gegenwärtig stellvertretender Leiter des Jockey-ClubSicherheitsdienstes, hatte sich mit meiner heimlichen und formlosen Aufnahme in seine Abteilung anscheinend nie abfinden können, obwohl wir in den drei Jahren, seit ich für ihn tätig war, schon einige Halunken von der Rennbahn vertrieben hatten.

«Der Junge ist doch ein reiner Amateur«, hatte er eingewandt, als ich ihm als vollendete Tatsache, nicht als Vorschlag präsentiert wurde.»Das Ganze ist lächerlich.«

Inzwischen sagte er zwar nicht mehr, es sei lächerlich, aber wir waren keine engen Freunde geworden.

«Hat irgend jemand Wind gemacht? Nach ihm gefragt?«

«Nein.«

«Sind Sie sicher?«Wie immer zog er meine Fähigkeiten in Zweifel.

«Ganz sicher. «Ich erzählte ihm von meiner Wache vor den einzelnen Türen.

«Mit wem hat er sich denn getroffen? Ehe er abgekratzt ist?«

«Ich glaube nicht, daß er jemand getroffen hat, es sei denn ganz früh am Tag, bevor ich ihn entdeckt habe. Jedenfalls hat er niemand gesucht. Er hat ein paarmal am Totalisator gespielt, ein paar Biere getrunken, sich die Pferde angesehen und den Rennen zugeschaut. Er war nicht sehr beschäftigt heute.«

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